Es sind klare Strukturfehler, die das Verkehrssystem der Schweiz auf Strasse und Schiene zeitweise an den Rand des Kollaps bringen. Mit einer konsequenten Reform zu mehr Kostenwahrheit können Finanzierung und Funktionalität des Systems auf Dauer sichergestellt werden.

Die Schweiz hat ein hochwertiges Verkehrssystem, das zunehmend an seine Belastungsgrenzen stösst. Allein auf den Nationalstrassen summieren sich die Staustunden auf 20 000 pro Jahr, und auch weite Teile des ÖV-Systems sind in der Rushhour überlastet. Zudem ist das Schweizer Verkehrssystem sehr teuer. Gemäss Transportrechnung des Bundes betragen die Gesamtkosten des Strassenverkehrs 70,5 Mrd. Franken und die des Schienenverkehrs 11,4 Mrd. Franken pro Jahr.

Aufgrund falscher Weichenstellungen befindet sich die Verkehrspolitik in einer Kostenspirale zwischen wachsenden Mobilitätsbedürfnissen und subventioniertem Kapazitätsausbau. So hat die Mobilität in den letzten Jahren rasant zugenommen: Während 2000-2011 die Bevölkerung um 10% wuchs und das BIP um 21%, stiegen die Fahrleistung auf den Nationalstrassen doppelt so schnell (um 41%) und die auf der Schiene gefahrenen Personenkilometer sogar um 54%. Seit 1990 hat sich der Verkehr auf den Nationalstrassen gar verdoppelt.

Strukturfehler sind endscheidend

Ursache für viele der heutigen Verkehrsprobleme sind drei Strukturfehler der Verkehrspolitik:

  1. Die massive Subventionierung des Verkehrs mit Steuergeldern. Diese heizt die Nachfrage zusätzlich an. Der Eigenfinanzierungsgrad im Schienenverkehr liegt bei nur 41%.
  2. Die fehlende Differenzierung der Preise. Sie verhindert eine gleichmässigere Auslastung der Verkehrssysteme. Während die Züge zu den Stosszeiten überfüllt sind, beträgt die durchschnittliche Sitzplatzauslastung der SBB im Regionalverkehr nur 20%. Durch höhere Preise in den Stosszeiten liessen sich die Verkehrsspitzen glätten und die Kapazität besser auslasten.
  3. Die Politisierung der Investitionsentscheide. Sie sorgt für die Fehlleitung von Milliardenbeträgen. Während das Nationalstrassennetz auf den Hauptrouten überlastet ist, werden auf kaum befahrenen Nebenstrecken im Jura und Oberwallis Autobahnen für 9 Mrd. Franken durch den Berg getrieben.

Die Lösung für diese Strukturfehler liegt im «Mobility Pricing», also der Anwendung marktwirtschaftlicher Preismechanismen im Verkehr. Konkret bedeutet dies einen höheren Grad an Benutzerfinanzierung, eine stärkere Differenzierung der Preise nach Zeiten und Strecken sowie Investitionsentscheide, die auf Kosten-Nutzen-Erwägungen basieren, nicht auf einem föderalen Wunschkonzert. Mobility Pricing bedeutet in seiner Essenz möglichst grosse Kostenwahrheit. Die Folge wären geringere Kosten, weniger Staus und bessere Kapazitätsauslastung. Es gibt bereits viele erfolgreiche Beispiele für Mobility Pricing: In Österreich wurden alpenquerende Tunnel über eine Maut finanziert. In Stockholm reduzierte eine Citymaut die Staus und trifft inzwischen auf breite Zustimmung. In den Niederlanden kombiniert ein landesweites E-Ticket den Komfortfaktor des GA mit differenzierten Preisen. Singapur hat ein umfassendes Mobility Pricing für Strasse und Schiene. In der Schweiz setzt die 2001 eingeführte LKW-Maut (LSVA) die richtigen Anreize und brachte bisher 14 Milliarden Franken für Infrastrukturinvestitionen.

Verkehrspolitisch bedeutet die Einführung von Mobility Pricing eine Umschichtung der Verkehrsfinanzierung weg von Steuern und hin zu benutzerabhängigen Tarifen. Diese Umschichtung sollte aufkommensneutral erfolgen, Tariferhöhungen sollten durch Steuersenkungen kompensiert werden. Die Einführung des Mobility Pricing sollte zudem auf Schiene und Strasse gleichermassen erfolgen.

Dank Kostenwahrheit mehr Gerechtigkeit

Oft hört man, Mobility Pricing sei ungerecht. Aber ist der Status quo gerechter, in dem die Nutzer einen erheblichen Teil der von ihnen verursachten Kosten auf die Allgemeinheit abwälzen und pauschale Subventionen unabhängig vom Einkommen verteilt werden (z.B. der Rentner-Rabatt beim GA)? Richtig ist, dass es im Gegenzug zu mehr Benutzerfinanzierung entsprechende Steuersenkungen geben muss und dass damit die richtigen Gruppen entlastet werden (z. B. der arbeitende Mittelstand oder auch Schüler).

Es gibt viele Wege hin zur Kostenwahrheit im Verkehr, und sie können schrittweise umgesetzt werden. Erste Reformmassnahmen in diese Richtung könnten eine Tunnelmaut am Gotthard sein, höhere ÖV-Preise in der Rushhour oder der Ersatz des Rentner-GAs durch ein Talzeiten-GA, also ein vergünstigtes Generalabonnement, das nur ausserhalb der Stosszeiten gilt. Ziel des Mobility Pricing ist nicht ein radikaler Systembruch, sondern eine behutsame Reform der Verkehrsfinanzierung.

Dieser Artikel erschien in der «Zürcher Wirtschaft» vom 17.10.2013, zusammen mit 
«Zürich – und die 25 anderen Kantone» und «Wo bleibt die Dialogkultur?».