Wer heute die Zeitung aufschlägt, erlebt ein Paradox. Der Auslandteil ist voll von Artikeln über die dramatische Schuldensituation in Griechenland, Italien, Spanien oder den USA. Gegenüber diesen Ländern gilt die Schweiz mit einer Staatsverschuldung von weniger als 40% des BIP als Vorbild. Wer aber in der Zeitung zum Inlandteil weiterblättert, stellt mit Schrecken fest, wie sich die Politiker über die Sanierung der Sozialversicherungen streiten.

Bei der AHV diskutiert man, ob der Reservefonds zwei Jahre früher oder später auf 50% eines Jahresbetreffnisses schwindet, nicht aber über mögliche Wege, die defizitäre Entwicklung einzudämmen. Bei der IV zweifeln viele Politiker die Notwendigkeit der Revision 6b an. Damit kommt eine gewaltige Verschuldung auf uns zu: Das Defizit in den Sozialversicherungen könnte 2050 bis zu 40-50 Milliarden Franken pro Jahr betragen, entsprechend 8% des BIP.

Fesseln wie Odysseus

Offensichtlich packt die Politik solche Reformen ungern an. Das ist nachvollziehbar: Kein Parlamentarier streicht gerne Leistungen oder führt neue Steuern ein, wenn sich diese Massnahmen erst in zwanzig Jahren auszahlen, also lange nach seiner Legislatur. Deshalb ist es wichtig, Massnahmen zur Selbstdisziplinierung frühzeitig zu verankern. Wie Odysseus sich an den Mast binden liess, um den lockenden Gesängen der Sirenen zu widerstehen, braucht unsere Politik Fesseln, also eine Schuldenbremse, die sie dazu zwingt, rechtzeitig zu handeln, wenn bei den Sozialversicherungen ein Defizit droht. Solche Fiskalregeln werden in einer neuen Publikation von Avenir Suisse ausführlich präsentiert.

Ein Autopilot für die AHV?

Bei der AHV, die von der finanziellen Tragweite wie vom langfristigen Problemdruck her neben der Beruflichen Vorsorge den grössten Handlungsbedarf aufweist, könnte eine solche Schuldenbremse konkret in Form eines «Autopiloten» implementiert werden. Dieser könnte zum Beispiel nach dem Vorbild Dänemarks eine automatische Anpassung des Renteneintrittsalters an die Erhöhung (oder Senkung) der Lebenserwartung vorsehen, damit die durchschnittliche Lebenserwartung im Ruhestand konstant bleibt.

Navigationshilfe als Alternative

Lässt sich ein solcher «Autopilot» politisch nicht durchsetzen, empfiehlt sich als zweitbeste Lösung eine «Navigationshilfe ». Das bedeutet, dass die Politik beim Erreichen eines Schwellenwerts, z.B. eines bestimmten Niveaus des AHV-Fonds, aufgefordert wird, Korrekturmassnahmen einzuleiten wobei vordefinierte Sofortmassnahmen automatisch in Kraft treten. Die Korrekturmassnahmen dürften allerdings keineswegs nur Mehreinnahmen anpeilen, sondern müssten auch die Leistungsseite einbeziehen, etwa durch Berücksichtigung der Anzahl Beitragsjahre oder der durchschnittlichen Lebenserwartung.

Ob Autopilot oder Navigationshilfe: Die Politik ist aufgrund der steigenden Ausgaben in den Sozialversicherungen aufgefordert, heute institutionelle Regeln zu definieren, um drohenden Defiziten von morgen vorzubeugen.

 

Dieser Artikel erschien in «AWP Soziale Sicherheit» vom 21. Dezember 2011.