Momentan herrscht immer noch Lehrermangel an diversen Schweizer Primar- und Mittelschulen, trotz den staatlichen Massnahmen wie Förderung der Quereinsteiger und Erhöhung der Lehrerlöhne. Doch damit ist meiner Meinung nach die Wurzel des Lehrerproblems in der Schweiz noch lange nicht gelöst, denn es ist nicht die externe, sondern die interne Motivation, die Menschen jeweils zu Höchstleistungen anspornt.

Schweizer Lehrer sind unter anderem auch deshalb demotiviert, weil es in vielen Pri mar- und Sekundarschulen nicht wenige un moti vierte Problemschüler gibt, die die Stimmung einer gesamten Klasse nach unten ziehen können. Anstatt fleissig zu lernen, verschwenden sie ihre Zeit mit destruktiven Aktivitäten: Streiche, Schulschwänzen, mitunter auch Mobbing von Lehrern und Mitschülern. Schweizer Lehrkräfte werden im internationalen Vergleich anständig bezahlt, und trotzdem ist es kein Wunder, dass immer weniger Pädagogen Lust auf ihren Beruf haben und die Absolventen der pädagogischen Hochschulen letztlich oft andere, Nicht-Lehrer-Berufe anstreben.

Mein Kritikpunkt am Schweizer Bildungssystem ist der kontinuierliche Selektionsprozess, der dem einer europäischen Fussballliga ähnelt: Schüler mit ungenügenden Gesamtnoten «steigen ab». Das ist meines Erachtens fatal, weil gute Leistungen nicht belohnt, schlechte Leistungen hingegen hart bestraft werden. Das führt zu Risikoaversion und hemmt die Eigeninitiative. Ein gutes Beispiel sind die Mangelpunkte für ungenügende Fachnoten: Warum gibt es nicht eine Aufzählung der Pluspunkte für überdurchschnittliche Leistungen? Wäre es nicht sinnvoll, sehr gute Leistungen mit einer Auszeichnung zu würdigen?

Wäre ich ein Mitglied der Schweizerischen Bildungskommission, würde ich versuchen, die innere Motivation der Schüler (und Lehrer) über schulische Wettbewerbe zu fördern. Solche «Olympiaden », die durchaus sportlichen Wettkämpfen ähneln, werden an vielen Orten der Welt erfolgreich durchgeführt, z.B. in China, in den USA oder in Grossbritannien. Über Wettbewerbe kann der Schulstoff abgefragt oder auch vertieft werden. Die Schüler haben – im Unterschied zu Prüfungen – auch keine Nachteile zu befürchten, sollten sie schlecht abschneiden. Bei einem guten Ergebnis aber winken ihnen viele Vorteile, da ihr Name in einem positiven Zusammenhang genannt wird. Gute Leistungen in regionalen, nationalen oder internationalen Schulwettbewerben könnten aber auch im Gesamtdurchschnitt der Abschlussprüfung berücksichtigt werden. Weil die Schüler bei einem derartigen Kräftemessen intrinsisch motivierter sind, werden sie lieber zur Schule gehen, im Unterricht höheres Engagement zeigen und bessere Leistungen erbringen. Das bringt auch erhebliche Vorteile für die Klassen und Fachlehrer mit sich, und diese haben wiederum einen Anreiz, ihre eigenen Schulklassen möglichst weit vorne in den Bildungswettbewerben zu sehen. Auch der Lehrermangel könnte damit vielleicht etwas abgeschwächt werden, und die Schweiz müsste weniger Lehrer vom Ausland importieren oder Quereinsteiger für den Lehrerberuf einsetzen.

Ein weiterer Berufssektor mit akutem Mangel an inländischen Fachkräften ist das Gesundheitswesen. Auch hier wurde die intrinsische Motivation zur Ausübung des Arztberufs nur ungenügend gefördert: Anstatt motivierter Kandidaten werden zu sehr jene zum Medizinstudium zugelassen, die am prüfungstauglichsten waren (und gute Noten vorweisen konnten). Für die Ausübung des Arztberufes ist aber ebenso die soziale Kompetenz wichtig. Die Schweiz braucht in bildungs- und gesundheitspolitischen Fragen einen Paradigmenwechsel. Und die innere Motivation ist ein wichtiger Ansatzpunkt, damit die Menschen ihren Beruf gewissenhaft und erfolgreich ausüben können.

* Xinyi Zhou studiert Business and Economics an der Universität Basel.

Dieser Text erschien in der Sonderbeilage «Reformideen – Rohstoff für die Schweiz» des Schweizer Monats (Sonderthema 9/Februar 2013).

Weitere Artikel in dieser Publikation:

Ideen braucht das Land (Einleitender Essay von Gerhard Schwarz) 

Neue Becken für die Schweiz (Niklaus Bieri, Universität Bern)

Flexibles Rentenalter und Altersarbeit (Marion Haemmerli, Université de Lausanne)

Bodenabgaben gegen die Zersiedelung (Piet Justus Wolf, Universität Zürich)

Eine Lizenz zum Rauchen (Martin Eschenmoser, Universität St. Gallen)

Autofreie Sonntage  (Yannick Charpié, ETH Zürich)

Die Schweiz exportieren! (Harold James)