Gerhard Schwarz, welches sind die gewichtigsten wirtschaftlichen Probleme, welche die Schweiz bewältigen muss?
Ich sehe drei Herausforderungen: die Sozialversicherungen, die den demografischen und wirtschaftlichen Realitäten nicht gerecht werden, die aussenwirtschaftliche Front – dazu gehören die Währungssituation ebenso wie die Frage, wie die Schweiz künftig ihre Beziehungen zur EU gestalten will – und schliesslich die Zuwanderung. Das Ausmass der Zuwanderung ist seit einigen Jahren hoch, dies führt in den Agglomerationen zunehmend zu einem gewissen Dichtestress. Manchmal scheint mir das zwar mehr ein gefühltes als ein tatsächliches Problem zu sein, aber auch gefühlte Probleme sind Probleme.
Soll die Schweiz die Grenzen schliessen?
Das halte ich für völlig verkehrt. Über Jahrhunderte hinweg hat sich das Land wirtschaftlich so gut entwickelt, weil es offen war. Die Schweiz profitiert von der Zuwanderung, sie zu blockieren, wäre keine Lösung.
Was dann?
Die Situation ist schwierig: Einerseits verlangt eine funktionierende Wirtschaft nach einem offenen Arbeitsmarkt, anderseits bringt die Zuwanderung gesellschaftliche Probleme mit sich. Wir müssen auf eine selektive Zuwanderung achten, sicherstellen, dass sie arbeitsmarktgetrieben ist. Und dann gehören unter den Schweizer Arbeitskräften zwei Reservoire besser ausgeschöpft: Frauen und ältere Arbeitnehmer. Dazu drängt sich aber die Erhöhung des Rentenbezugsalters auf.
Der Tourismus bleibt vor allem auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen.
Wenn Sie mich fragen, ist das eines der grössten Probleme, das die Branche hat. Wenn das Gastgewerbe die Gästepflege zu 90 Prozent ausländischen Arbeitskräften überlässt, kann das auf lange Sicht nicht funktionieren. Für den Touristen ist es doch eine Freude, wenn er an der Réception, im Restaurant mit der Lokalbevölkerung in Kontakt kommt. Deshalb reist man ja. Ich erlebe aber oft, dass Angestellte schlecht Deutsch sprechen, keine Ahnung von der Region haben. Das ist ein Problem.
Wie soll man es lösen?
Das ist eine schwierige Frage. In Österreich haben Sie im Tourismus einen viel höheren Anteil von Beschäftigten, die aus dem Land oder der Region kommen. Als Grund dafür führten die Schweizer oft an, dass sich der dortige Tourismus eben noch in der Entwicklung befinde. Diese Erklärung gilt heute nicht mehr. Ich glaube eher, dass wir hier einen Fehler gemacht haben.
Und zwar?
In der Schweiz gilt gastgewerbliche Arbeit als minderwertig, es fehlt der Berufsstolz. Man holt seit Jahren ungelernte Arbeitskräfte aus dem Ausland, weil es günstig ist. Das schreckt junge Leute ab, einen solchen Beruf zu ergreifen – ein Teufelskreis. Die Kehrtwende muss in der Berufsbildung stattfinden, man muss ein anderes Berufsbild vermitteln, den Jungen klarmachen, dass diese Jobs viel Attraktives zu bieten haben.
Zurück zu einem eingangs erwähnten Problem: der Währungssituation. Wird die Schweizerische Nationalbank an der Franken-Untergrenze von 1.20 festhalten?
Im Moment sehe ich keine Alternative. Der Franken würde sonst überschiessen, es ginge wieder in Richtung Parität oder gar darunter. Sobald sich der Euro erholt, ist wieder an Freigabe zu denken.
Wann dürfte dies Ihrer Meinung nach so weit sein?
Wechselkursprognosen sind in der Ökonomie das Gefährlichste. Man fällt damit immer aufs Maul. Was man vermuten kann: Es wird nicht schnell gehen. Die Schwierigkeiten im Euroraum sprechen dafür, dass der Euro noch lange unter Druck sein wird. So lange bleibt der Franken stark.
Der Schweizer Tourismus lebt auch vom Finanzplatz. Wie wird dieser sich entwickeln?
Er wird schrumpfen. Wir werden den Verlust von vielen Tausend Arbeitsplätzen sehen. Ich bin trotzdem optimistisch, dass sich die Schweiz als Zentrum für Vermögensverwaltung wird behaupten können. Dort liegt der Konnex zum Tourismus, nicht im Investmentbanking, das uns mehr Verlust als Gewinn gebracht hat. Aber insgesamt wird der finanzabhängige Tourismus sicher zurückgehen, auch wegen der Aufweichung des Bankengeheimnisses: Wer deklariertes Geld hat, muss nicht extra über die Schweizer Grenze fahren, um es abzuheben.
Wie kann die Tourismusbranche ihre Situation verbessern?
Hoteliers sollten vermehrt Nischen besetzen, sich stärker spezialisieren. Dann können sie auch einen höheren Preis verlangen. Die Schweiz setzte immer auf grosse Märkte, früher waren es die Amerikaner, heute betreibt man einen Riesenaufwand für die Chinesen. Ich sehe das kritisch, der Wiederholungsgast kommt eher nicht aus dieser Zielgruppe. Österreich hat sich stärker bemüht, ein beständiges Publikum nicht zuletzt aus den Nachbarländern zu gewinnen. Es hat sich gelohnt.
Dieses Interview erschien in der «htr Hotel Revue» vom 25. Oktober 2012.