asut-bulletin: So wie er heute daherkommt, ist Service public nicht unbedingt ein Dienst an der Öffentlichkeit, sagen Sie…

Urs Meister: So sagen wir es nicht. Natürlich ist Service public ein Dienst an der Öffentlichkeit. Aber wir zeigen in unserem Buch auf, dass Service public durchaus auch mit Wettbewerb und einem funktionierenden markt verknüpft sein kann. Service public braucht kein Monopol. Häufig wird angenommen, die Liberalisierung bedrohe die Grundversorgung. Wir zeigen, dass das Gegenteil wahr ist: Es sind die extensive Definition und die intransparente Förderung und Finanzierung des Service public,welche die Funktionsfähigkeit der Infrastrukturmärkte behindern.

Wettbewerb, schreiben Sie, würde einen besseren Service public schaffen. Zumal öffentliche Unternehmen schon längst keine reinen Wohltäter mehr seien…

Dass Wettbewerb im Allgemeinen günstigere Preise und höhere Qualität schafft, ist eigentlich unbestritten. Wir argumentieren, dass Wettbewerb auch bei Infrastrukturdienstleistungen möglich ist. Hier sind die Herausforderungen zwar gross, denn es gibt gewisse technische, institutionelle bzw. politische und regulatorische Hürden. Aber sie sind zum Teil künstlich und können abgebaut werden.

Die schlechteste aller Welten ist eine gewinnorientierte öffentliche Gesellschaft.

Öffentliche Unternehmen sind oft so aufgestellt, dass der Staat als Eigentümer nicht nur Versorgungsziele verfolgt, sondern sich auch direkt an finanziellen Interessen orientiert. Solche Unternehmen sind häufig nicht mehr nur im Bereich der Grundversorgung engagiert, für die sie ursprünglich konzipiert wurden, sondern expandieren auch in ganz neue Märkte, wo sie zusätzliche Gewinne und Ertragsmöglichkeiten erschliessen. Von einem wettbewerblichen Standpunkt aus gesehen, ist das kritisch, vor allem wenn sie gleichzeitig von Subventionen oder regulatorischen Vorteilen bei der Grundversorgung sowie einer faktischen Staatsgarantie profitieren.

Immerhin ein guter Punkt: Im Bereich der Telekommunikation sei die Marktverzerrung am geringsten, sagen Sie.

Die Liberalisirung wurde im Schweizer Telekommarkt 1998 eingeleitet, die Marktöffnung ist heute im Vergleich zu den anderen Infrastrukturmärkten relativ weit fortgeschritten. Schaut man den markt genauer an, dann zeigt sich allerdings, dass die Dynamik des Wettbewerbs nicht allzu gross ist. Mit dem vormaligen Monopolisten Swisscom haben wir noch immer ein sehr dominantes und staatlich beherrschtes Unternehmen im Markt.

Ist eine halbe Marktöffnung schlimmer als gar keine?

Ich würde es so sagen: Im Fall der Telekom wurde der Markt zu Beginn ausgesprochen zögerlich geöffnet. Das hat dazu geführt, dass sich Dritte darin nur sehr begrenzt etablieren konnten. Angefangen hat das mit dem sehr langwierigen Prozess der Entbündelung der letzten Meile. Jetzt zeichnen sich bei der Glasfaser neue Verzerrungen ab. Die fehlende Entbündelung beim Fiber to the Home soll durch den Markteintritt der Stadtwerke kompensiert werden. Mit dem zusätzlichen staatlichen Engagement nimmt die Intensität der Konkurrenz kaum zu, während umgekehrt die Gefahr vielfältiger wettbewerbsverzerrender Subventionen entsteht – dazu gehören nicht zuletzt die potentielle Suventionierung des Kooperationspartners Swisscom.

Sie skizzieren eine Roadmap für die Neudefinition des Service public, für dessen Finanzierung und für mehr Wettbewerb. Wie müssten diese drei Schritte in der Telekommunikation aussehen?

In einem ersten Schritt geht es darum, den Staat auf seine subsidiäre Rolle zu beschränken. Im Fall der Telekom könnte das heissen, dass sich eine allfällige Förderung auf jene Gebiete beschränkt, wo Private nicht investieren. Dennoch würde ich nicht so weit gehen, Fiber to the Home als Grundversorgung zu definieren, die vom Staat subventioniert werden muss. Gleichzeitig sollten Grundlagen für eine subsidiäre und differenzierte Entbündelung des Glasfasernetzes geschaffen werden, die im Fall eines fehlenden Infrastrukturwettbewerbs Anwendung finden – Avenir Suisse hatte bereits 2009 ein solches Modell skizziert. Zweitens geht es um die Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen, die mit staatlichem Eigentum und Subventionen entstehen. Hier könnte allenfalls ein Beihilfegesetz nach europäischem Vorbild die nötigen Schranken schaffen. Das Engagement der Städte und ihre Kooperationen mit Swisscom müssten transparent gemacht werden, allfällige Subventionen und Quersubventionen etwa im Zusammenhang mit der Investitionsteilung würden verhindert. Der dritte logische Schritt ist angesichts der schon relativ weit vorangeschrittenen Marktöffnung die Privatisierung des ehemaligen Monopolisten.

Die Swisscom privatisieren, ist das Ihr Ernst?

Natürlich sind die Chancen dafür politisch derzeit sehr gering. Ein Unternehmen, das im Markt derart stark positioniert ist, möchte man nicht in private Hände geben. Umso wichtiger ist es, dass man im Vorfeld tatsächlich einen funktionierenden Markt schafft. Wäre Swisscom nicht mehr ein derart dominantes Unternehmen, dann würde auch die Angst vor der Privatisierung abnehmen.

Der Steuerzahler glaubt immer noch, Tafelsilber zu besitzen, das er längst verloren hat …

Im Moment ist die Swisscom im Markt derart gut aufgestellt, dass sie zumindest teilweise noch immer das Tafelsilber darstellt. Ihre Position garantiert in der Tat attraktive Gewinne. Das relativiert sich aber auf zwei Arten. Erstens expandieren öffentliche Unternehmen wie Swisscom ja in ganz neue Geschäftsmodelle, zum Teil auch ins Ausland, und damit werden relevante Risiken eingegangen. Das Tafelsilber wird also zumindest teilweise aufs Spiel gesetzt – das Italienengagement von Swisscom ist ein Beispiel dafür. Ähnliches passiert etwa im Strommarkt, wo Schweizer Unternehmen derzeit grosse Abschreibungen auf ihren Auslandinvestitionen vornehmen müssen. Das Argument des Tafelsilbers relativiert sich zweitens auch dann, wenn im Inland ein effektiverer Wettbewerb entsteht. Je offener der Markt und je grösser die Konkurrenz, desto geringer sind die möglichen Gewinne, gleichzeitig nimmt das Investitionsrisiko zu. Damit wächst auch das mit dem Eigentum verbundene Risiko.

Service public hat auch etwas mit Lebensqualität zu tun – eine Lebensqualität, die sich viele in der Schweiz bewusst leisten wollen. Haben Sie mit Ihren Thesen einen Riesenaufschrei provoziert?

Die Reaktionen sind sehr gemischt ausgefallen. Die Gewerkschaften beispielsweise haben rasch ablehnend reagiert und ganz grundsätzlich ausgeschlossen, dass in den angesprochenen Bereichen wettbewerbliche Märkte geschaffen werden sollten. Zum Teil wurde sehr pauschal auf vermeintliche Nachteile des privatwirtschaftlichen Gewinnstrebens hingewiesen. Inzwischen haben sich viele allerdings differenzierter mit unseren Thesen auseinandergesetzt. Wer das Buch liest, sieht ja, dass wir den Service public nicht als solchen abschaffen wollen. Aber wir verlangen, dass seine Förderung und Finanzierung transparent gemacht werden und den Wettbewerb nicht verzerren dürfen. In den meisten Fällen besteht ja durchaus ein gewisser Konsens darüber, dass auch bei den Infrastrukturen ein Markt geschaffen werden sollte: Nicht umsonst sind überall Liberalisierungsschritte eingeleitet worden. Aber wir sind auf halbem Weg stehen geblieben, haben Markteintrittsbarrieren geschaffen und tolerieren, dass Restmonopole und die damit einhergehenden Subventionen Konkurrenz, Effizienz und Innovation behindern. In vielen Fällen hängt das mit der Definition und der Finanzierung des Service public zusammen.

Sie nehmen es also sozusagen im Dienste der Öffentlichkeit auf sich, den Begriff sauber zu analysieren?

Das ist ein Ziel dieses Buches. Wir gehen dem Begriff aus historischer, ökonomischer, aber auch internationaler Perspektive auf den Grund. Dabei zeigen wir, wie das Funktionieren – oder eben das Nichtfunktionieren – dieser Märkte mit dem in der Praxis unscharfen Begriff des Service public zusammenhängt. Die oft sehr breit gefasste und undurchsichtige Service-public-Förderung verhindert nötige Reformen und den Markteintritt privater Anbieter. Mit dem Begriff operieren Gewerkschaften genauso wie Randregionen oder sogar finanzstarke Agglomerationen und nicht zuletzt die öffentlichen Unternehmen selber, die sich den Grundversorgungsauftrag besonders grosszügig finanzieren lassen oder von regulatorischen Vorteilen profitieren. Das alles analysieren wir nicht zuletzt mit dem Ziel, zu zeigen, wie die Eintrittshürden abgebaut werden können, ohne dass man den Service public als solchen gleich abschaffen muss.

Dieses Interview erschien am 23. April 2012 im «asut bulletin».