Was sollte die Schweiz unbedingt besser machen? Sie muss sich nicht neu erfinden. Aber sich weiterentwickeln. Dafür braucht das Land mehr Selbstbewusstsein und klare Ziele.

Alles Nachdenken über die Zukunft eines Landes, einer Region, eines Unternehmens steht letztlich unter der Fuchtel der Nachhaltigkeit. Was nicht nachhaltig ist, hat keine Zukunft. Die Forderung nach Nachhaltigkeit darf aber nicht zur totalen Veränderungs- und Fortschrittsverweigerung führen. Im Gegenteil: Sie verlangt, wie es Giuseppe Tomasi di Lampedusa in seinem «Gattopardo» sagt, dass sich alles ändert, wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Was also sollte die Schweiz ändern, damit sie auch morgen und übermorgen noch ein erfolgreiches, so lebens- wie liebenswertes Land ist? Nur wenige Baustellen, auf denen Avenir Suisse arbeitet, seien hier genannt ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Es mag wie ein Paradox tönen: Zunächst sollte das Land mehr Selbstbewusstsein entwickeln nicht Überheblichkeit, nicht Selbstzufriedenheit, sondern schlicht Selbstbewusstsein , was seine eigenwilligen und einzigartigen politischen Institutionen betrifft. Das weitverbreitete Minderwertigkeitsgefühl wegen dieser Andersartigkeit sollte der Erkenntnis weichen, dass sich die helvetischen Besonderheiten im internationalen Vergleich bewährt haben: Wettbewerb der Kantone und Gemeinden, Subsidiarität, Konkordanz, direkte Demokratie all das sollte weiterentwickelt werden. Nicht Einheitlichkeit hat dieses Land stark gemacht, sondern einzig (gelegentliche) Einigkeit, und nicht Grösse, sondern oft Kleinheit.

Berufslehre gehört zum Erfolgsmodell

Ein Potenzial, das die Schweiz auszeichnet, aber viel zu wenig genutzt wird, ist die Sprachenvielfalt. Die Schweiz ist an der Schnittstelle von wichtigen Kulturen des alten Kontinents seit je das europäischste Land Europas. Deshalb sollte man diese Vielsprachigkeit weitertreiben und neben den Landessprachen schon früh und intensiv Englisch, Chinesisch, Japanisch, Russisch oder Spanisch vermitteln, damit die Schweiz auch zu einem der globalsten Länder werden kann. Wäre da nicht die normative Kraft der Geografie die Tatsache, dass wir mitten in Europa leben , müsste man auch bei der Einwanderungspolitik global denken, also durchaus kontrolliert die besten und zugleich integrationswilligen Kräfte aus aller Welt ins Land holen. Bei der Bildung gehört die Berufslehre zum Erfolgsmodell Schweiz. Sie ist nachhaltig, weil sie mit geringen Kosten zu einer niedrigen Arbeitslosigkeit führt. Deshalb sollte sie unbedingt gepflegt, aber das heisst eben auch weiterentwickelt werden. Hingegen ist nicht einzusehen, warum die Schweiz die Kinder so spät einschult. Noch weniger nachhaltig, geradezu grotesk ist das Ende des Berufslebens. Beim Austritt aus der Arbeitswelt muss das Ziel eine weitestgehende Flexibilisierung sein nicht nur und nicht einmal in erster Linie aus finanziellen Gründen, sondern weil die Altersguillotine, wie es ihr Name sagt, zutiefst unmenschlich ist. Wenn es auf dem Schweizer Arbeitsmarkt eine diskriminierte Bevölkerungsgruppe gibt, sind es die Alten. Ideal wäre für viele von ihnen wohl ein fading out, ein allmähliches Zurückfahren der Arbeitsbeanspruchung bei entsprechender Lohnkürzung, aber eine Beschäftigung (weit) über 65 hinaus. Von der Arbeit im Alter ist der Schritt nicht weit zur Sozialpolitik, die besonders ausgeprägt gegen den Grundsatz der Nachhaltigkeit verstösst. Auch die Schweiz, die bei der impliziten Staatsverschuldung noch nicht auf ein Debakel zusteuert wie andere Länder, verspricht mehr Leistungen für Alte und Kranke, als sie dereinst bezahlen kann. Deshalb ist eine Schuldenbremse bei den Sozialwerken wohl noch wichtiger als in der Finanzpolitik. Gleichzeitig muss man unbedingt von der Giesskannenpolitik wegkommen, will man den wirtschaftlich wirklich Leistungsunfähigen ausreichend helfen, ohne mit dem Umverteilen die künftigen Generationen untragbar zu belasten. In der Finanz- und Steuerpolitik könnten wir die Wettbewerbsfähigkeit wie die Lebensqualität erhöhen durch eine massive Vereinfachung der persönlichen Einkommenssteuer, also die Steuererklärung auf der Postkarte, und durch das Begrenzen der Staatsquote in der Verfassung. Dies wäre zwar angesichts der drei Staatsebenen hierzulande etwas schwieriger als in Zentralstaaten, aber sowohl möglich als auch sinnvoll.

Illusion einer risikolosen Gesellschaft

Die Energie- und Umweltpolitik sollte sich auf die Internalisierung der Kosten und der Risiken ausrichten, aber nicht auf die Illusion einer risikolosen Gesellschaft. Auch könnte es strategisch sinnvoll sein, dass sich die Schweiz vermehrt um das Sichern der Versorgung mit Energie und Rohstoffen im Ausland kümmert, etwa durch einen privat (beispielsweise über Pensionskassen) finanzierten Staatsfonds. Letztlich bedeutet Nachhaltigkeit auch Berechenbarkeit. Klare Ziele und klare Botschaften, frühzeitiges Angehen von Problemen statt Verdrängen, einige wenige, durchaus mutige und langfristig angelegte Reformen, nicht Hektik, sondern Bedächtigkeit, Einstehen für die eigenen Interessen und zugleich Verlässlichkeit in den internationalen Beziehungen das dürfte der Schweiz auch in Zukunft Erfolg versprechen.

Dieser Artikel erschien in der Weltwoche am 28. Juli 2011.
Der Originaltitel lautete: «Verändern, um zu bewahren».