Fakt ist: Die Schweiz hat ein dichtes, qualitativ hochwertiges Verkehrssystem mit entsprechend hohen Kosten. Durch die rasant steigende Mobilität stösst das System zusehends an die Grenzen seiner Kapazität und Finanzierbarkeit. So sind die Pro-Kopf-Investitionen in die Schieneninfrastruktur sechsmal so hoch wie in Deutschland. Gemäss Transportrechnung des Bundes betragen die Gesamtkosten des Strassenverkehrs 70,5 Milliarden Franken und die des Schienenverkehrs 11,4 Milliarden Franken pro Jahr (BFS, 2009).

abb_01: Mobilität wächst schneller als Bevölkerung und Wirtschaft

Ein Treiber des Mobilitätswachstums ist die Bevölkerungszunahme. In den letzten 30 Jahren wuchs die Schweiz um 1,5 Millionen Personen, also um 50000 pro Jahr. Gleichzeitig wurden die Menschen jedoch mobiler – die Arbeitswege wurden länger, die Menschen waren öfter unterwegs. Seit 1970 nahmen die mit dem Auto gefahrenen Kilometer um 50 Prozent pro Kopf zu. Der Pendleranteil unter den Erwerbstätigen verdoppelte sich derweil auf 60 Prozent – Tendenz weiterhin steigend.

Zwei Bereiche, in denen das Mobilitätswachstum im letzten Jahrzehnt besonders ausgeprägt war, sind die gefahrenen Kilometer auf den Nationalstrassen und der Personenverkehr auf der Schiene: Während von 2000 bis 2011 die Bevölkerung um 10 Prozent wuchs und die Wirtschaftsleistung um 21 Prozent, stieg die Fahrleistung auf den Nationalstrassen doppelt so schnell an (um 41 Prozent) und die auf der Schiene geleisteten Personenkilometer sogar um 54 Prozent (ASTRA, 2013) (s. Abb. 1). In diesen Bereichen hat sich also das Mobilitätswachstum von wirtschaftlichen und demographischen Wachstumstrends entkoppelt. Und der wesentliche Punkt, auf den es ankommt: dies ist auch eine Folge verkehrspolitischer Fehlanreize.

Drei Strukturfehler der Verkehrspolitik

Aus ökonomischer Sicht weist die Verkehrspolitik drei fundamentale Strukturfehler auf: massive Subventionierung, fehlende Preisdifferenzierung und politisierte Investitionsentscheide.

  1. Der Verkehr in der Schweiz wird jährlich mit Milliardenbeträgen subventioniert. Dies heizt die Mobilitätsnachfrage an, denn alles, was man künstlich verbilligt, wird im Übermass konsumiert. Der Eigenfinanzierungsgrad im Bahnverkehr liegt bei einer Vollkostenrechnung bei bloss 41 Prozent’ – und dies, obwohl viele Kunden die bestehenden Preise bereits als hoch empfinden. Die Ticketpreise decken also nicht einmal die Hälfte der vom Nutzer verursachten Kosten. Die Differenz zahlt der Staat, sprich die Steuerzahler. Im Strassenverkehr liegt der Kostendeckungsgrad unter Berücksichtigung externer Kosten (Unfälle, Staus, Emissionen) bei etwa 90 Prozent. Nicht berücksichtigt ist in diesen Quoten der Pendlerabzug bei der Steuer, der circa 1,8 Milliarden Franken pro Jahr ausmacht und die Eigenfinanzierung von Schiene und Strasse um diesen Betrag weiter reduziert.
  2. Schweizer Verkehrspolitik: Das Problem der Verkehrsspitzen am Beispiel des BahnverkehrsDer zweite Strukturfehler der Verkehrspolitik ist eine fehlende Differenzierung der Preise. Dies erschwert die Drosselung der Nachfrage während der Stosszeiten und auf Engpassstrecken. Während weite Teile des Strassen- und Schienennetzes schwach ausgelastet sind, staut sich der Verkehr regelmässig auf bestimmten Strecken. Vor allem aber ist die Infrastruktur aufgrund der zeitlich schwankenden Nachfrage («Verkehrsspitzen») sehr ungleichmässig ausgelastet: Während der Stosszeiten sind die Züge überfüllt (s. Abb. 2), aber die durchschnittliche Sitzplatzbelegung der SBB liegt bei lediglich 32 Prozent im Fernverkehr und gar 20 Prozent im Regionalverkehr (SBB, 2013).
  3. Es wäre daher sinnvoll, durch eine zeitliche Differenzierung der Billettpreise die Nachfragespitzen zu glätten und die Kapazität gleichmässiger auszulasten. Ein solches Vorgehen ist in anderen Bereichen längst etabliert. Im Flugverkehr ist es selbstverständlich, dass der Kunde zu Stosszeiten mehr zahlt, und wer in der Hauptsaison ein Hotel bucht, muss mehr berappen als in der Nebensaison. Aber in der Politik scheinen solche fairen Preise auf Strasse und Schiene weiterhin ein Tabu zu sein. Stattdessen lässt man teure zusätzliche Infrastruktur bauen – deren Kapazität nur zwei bis drei Stunden täglich genutzt wird. Oder man mutet den mobilen Bürgern Staus und überfüllte Züge zu. Allein die Kosten der Strassenstaus werden auf 1,5 Milliarden Franken im Jahr geschätzt (ARE, 2007). Die Dauer der gemeldeten Staustunden auf Nationalstrassen nahm von 2009 bis 2012 um zwei Drittel zu – auf 20000 Stunden pro Jahr. Das ist eine ganze Menge.

Schweizer Verkehrspolitik: Ungleichmässige Verkehrsauslastung am Beispiel Nationalstrassen

Der dritte Strukturfehler der Verkehrspolitik ist die Politisierung der Investitionsentscheide, durch die Milliarden fehlgeleitet werden. Die Auswahl der Projekte folgt häufig regionalpolitischen Erwägungen anstatt verkehrspolitischen Kosten-Nutzen-Rechnungen im Interesse der Mobilitätsteilnehmer. Während etwa das Nationalstrassennetz auf den Hauptarterien im Mittelland teils stark belastet ist (Abb. 3), liegen die aktuell grössten Ausbauprojekte auf kaum befahrenen Nebenstrecken im Jura (6,3 Milliarden Franken) und im Wallis (2,3 Milliarden Franken). Das föderale Wunschkonzert führt zu einem Überausbau der Infrastruktur ohne Rücksicht auf langfristige Folgekosten in Betrieb und Unterhalt.

Die drei genannten Strukturfehler lassen sich auf einen gemeinsamen Nenner bringen: In der Verkehrspolitik wird in vielfältiger Weise gegen die Kostenwahrheit und das Verursacherprinzip verstossen – zwei Grundsätze, die in der Bevölkerung sonst grosse Zustimmung geniessen. Als Folge dieses Systemfehlers befindet sich die Schweizer Verkehrspolitik in einer Kostenspirale zwischen subventioniertem Verkehrsausbau und wachsenden Mobilitätsbedürfnissen. «Mobility Pricing» wäre die Lösung für die Strukturfehler und würde den Ausbruch aus der Kostenspirale erlauben.

Das längerfristige Ziel all dieser Reformmassnahmen ist die Umschichtung der Finanzierungsbasis im Verkehrssystem weg von allgemeinen Steuermitteln und hin zu benutzungsabhängigen Gebühren und Abgaben. Dabei gilt es auch die Zweckbindung bisheriger Abgaben zu verbessern, weil vor allem Steuern und Abgaben aus dem Strassenverkehr vielfach noch in den allgemeinen Haushalt fliessen.

Die Umschichtung sollte aufkommensneutral erfolgen, Einsparungen werden also kompensiert durch entsprechende Steuersenkungen an anderer Stelle. Da sich durch verbesserte Anreize Kosten in Milliardenhöhe einsparen liessen, wäre unter dem Strich sogar eine Entlastung der Bürger möglich. Nicht beabsichtigte Verteilungswirkungen der Umschichtung – etwa zwischen verschiedenen Einkommensgruppen – sollten, soweit möglich, neutralisiert werden, auch um die politische Akzeptanz der Reformen zu erhöhen. Bestimmte Verteilungseffekte sind jedoch gewollt: Wer mehr Mobilität konsumiert, sollte mehr zahlen.

Auch in einem dritten Punkt sollten die Reformen Neutralität wahren, nämlich zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern. Es geht darum, die Erhöhung der benutzungsabhängigen Gebühren und Abgaben zwischen Strasse und Schiene zu synchronisieren. Eine asymmetrische Be- oder Entlastung würde nämlich zu einer Veränderung der relativen Preise und damit zu einer Verschiebung der Nachfrage führen. Da beide Verkehrsträger bereits heute an ihre Kapazitätsgrenzen stossen, würde dies wiederum zu erheblichen zusätzlichen Engpässen führen.

Gemessen am Kostendeckungsgrad besteht im Strassenverkehr weniger Bedarf für Preissteigerungen als im Bahnverkehr. Wenn man jedoch die zu erwartenden Investitionen in einen Kapazitätsausbau mitberücksichtigt, gibt es durchaus gute Gründe für eine höhere Belastung der Autofahrer. Die Fahrleistung auf dem Nationalstrassennetz hat sich in nur zwei Jahrzehnten (1990 bis 2011) verdoppelt, und ein solches Wachstumstempo dürfte in Zukunft nur noch mit einem massiven Kapazitätsausbau möglich sein. Auch wenn es die Automobilisten nicht gerne hören: Zur Überwälzung dieser Kosten auf die Nutzer, aber auch zu deren teilweiser Vermeidung durch Nachfragedrosselung scheint eine Erhöhung strassenbezogener Steuern und Abgaben geboten.

Schweizer Verkehrspolitik: Geringe Akzeptant des Mobility PricingDie politische Akzeptanz der Kostenwahrheit und des Verursacherprinzips in der Verkehrspolitik scheint bisher gering, obwohl die beiden Prinzipien in anderen Lebensbereichen hohe Zustimmung geniessen.Im Mikrozensus Mobilität und Verkehr sprachen sich 54 Prozent «für» oder zumindest «unter Umständen für» Tunnelgebühren aus (BFS/ARE, 2012). Die Zustimmungsquote zur Citymaut lag nur bei 33 Prozent und für eine Benzinpreiserhöhung gar bei mageren 21 Prozent. Die einzige populäre Massnahme scheint gemäss der Umfrage die Förderung umweltfreundlicher Autos zu sein – also die Schaffung neuer Subventionen (Abb. 4).

Auf den ersten Blick also eine ernüchternde Bilanz für all jene, die sich für eine nachhaltige Verkehrspolitik einsetzen. Doch lohnt es sich, genauer hinzuschauen. In der Umfrage wurde nach der Akzeptanz höherer Gebühren gefragt, wobei die Kosten und negativen Folgeerscheinungen ausbleibender Reformen ausgeblendet wurden. Man erhielte sicherlich andere Ergebnisse, wenn man die Bürger stattdessen fragen würde:

  1. Sollten Kostenwahrheit und Verursacherprinzip auch in der Verkehrspolitik gelten?
  2. Halten Sie es für fair, dass Bahnfahrer weniger als die Hälfte jener Kosten zahlen, die sie verursachen, und die übrigen Kosten auf den Steuerzahler abgewälzt werden?
  3. Würden Sie streckenabhängigen Autobahngebühren zustimmen, wenn die eingenommenen Mittel zur Senkung der Einkommenssteuer verwendet würden?
  4. Wären Sie für eine Citymaut, wenn sich dadurch die täglichen Staus und die damit verbundene Umweltbelastung, der Zeitverlust und der Lärm vermeiden liessen?
  5. Würden Sie an einem Osterwochenende am Gotthardtunnel lieber drei Stunden im Stau stehen oder 20 Franken Tunnelgebühren entrichten?

Hier gilt es in der öffentlichen Debatte anzusetzen. Das grundlegende Problem der Schweizer Verkehrspolitik besteht nämlich darin, dass derartige Zusammenhänge, Widersprüche und Zielkonflikte sowohl von der Politik wie auch von vielen Bürgern ausgeblendet werden. Wenn es gelingt, diese Probleme ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, dürfte auch die Akzeptanz für ökonomisch und ökologisch sinnvolle Reformen in der Verkehrspolitik steigen. Der steigende Problemdruck durch Staus, überfüllte Züge und Milliardenlöcher wird in den nächsten Jahren die Einsicht in die Notwendigkeit eines Mobility Pricing auf jeden Fall fördern.

Dieser Artikel erschien in der Sonderbeilage «Der Preis ist der Weg» 
des «Schweizer Monat» (Oktoberausgabe).
Mit freundlicher Genehmigung des Schweizer Monats.