Avenir Suisse hat kürzlich ein Diskussionspapier zur Volksinitiative publiziert, welches sich mit dem Reformbedarf dieses unverzichtbaren Instruments der direkten Demokratie befasst. Die Reformvorschläge von Avenir Suisse umfassen fünf Punkte:
  1. Die Gültigkeitsprüfung von Volksinitiativen soll verbessert werden und bereits vor der Unterchriftensammlung erfolgen.
  2. Die nötige Unterschriftenzahl für das Zustandekommen einer Verfassungsinitiative sollte bei 4 Prozent der Stimmberechtigten, also rund 210’000 Unterschriften, liegen.
  3. Das Volk soll im Rahmen eines obligatorischen Referendums über jede Ausführungsgesetzgebung zu einer angenommenen Volksinitiative abstimmen.
  4. Die Einführung einer Gesetzesinitiative erlaubt es, Bundesgesetze direkt – d.h. ohne Umweg über die Verfassung – zu ändern. Die nötige Unterschriftenzahl für das Zustandekommen einer Gesetzesinitiative sollte bei 2 Prozent der Stimmberechtigten, also rund 105’000 Unterschriften, liegen.
  5. Pro Abstimmungstag sollte nur noch über eine Initiative abgestimmt werden, um die Seriosität der politischen Debatte zu fördern und uninformiertes Abstimmen zu verhindern.

Die Volksinitiative verkommt zum Instrument der Parteipolitik. Die mit der Verfassung 1891 eingeführte Volksinitiative ist längst zu einem identitätsstiftenden Merkmal der Schweizer Politik geworden. Seit ihrem Bestehen wurden dem Stimmvolk 198 Volksinitiativen vorgelegt, wobei nur 22 davon angenommen wurden. Im letzten Jahrzehnt wurde so häufig wie nie zuvor von der Volksinitiative Gebrauch gemacht, gleichzeitig wurden viele der Volksbegehren angenommen (7 seit 2008). Die regelrechte Flut an Initiativen und deren steigende Erfolgschancen haben die Schweizer Politik der letzten Jahre wesentlich geprägt. Der permanente Abstimmungskampf, den die vielen Initiativen verursachen, verleiht einem das Gefühl einer Schweiz, die sich ihrer selbst nicht mehr so sicher ist. Dies wiederum schadet dem Ruf der Schweiz als stabiles und verlässliches Land, ein Standortvorteil, der in der Vergangenheit sehr wesentlich zu unserem Wohlstand beigetragen hat.Auch wenn eine Initiative nicht angenommen wird, hinterlässt sie fast in der Hälfte der Fälle – direkt oder indirekt – ihre Spuren in der Rechtsordnung. Kein anderes politisches Instrument vermag es, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit derart stark auf sich zu ziehen. Diese Schlagkraft der Volksinitiative erklärt auch, warum sie immer stärker zu einem Instrument der Parteipolitik und der Vertretung von Partikularinteressen verkommt. Zwei grosse Bundesratsparteien (SVP und SP) lancieren regelmässig Volksinitiativen, statt im Parlament politische Mehrheiten zu suchen. Kleinere Interessenverbände benützen Initiativen immer öfter um ihrer eigenen Bekanntheit willen und bringen dazu Anliegen zur Abstimmung, die nicht auf Stufe Verfassung geregelt gehören.

Dazu kommt, dass viele der in den letzten Jahren angenommenen Volksinitiativen (beispielsweise Minder-, Zweitwohnungs-, Masseneinwanderungs-, Verwahrungs-, Ausschaffungsinitiative) Schwierigkeiten bei der Umsetzung verursachten oder immer noch verursachen. Obwohl es Ziel einer Initiative sein sollte, eine politische Debatte endgültig abzuschliessen, entstehen regelmässig heftige politische Kontroversen um deren «korrekte» Umsetzung. Das Volk wird dadurch des letzten Wortes beraubt.

Schliesslich hat sich die Welt grundlegend verändert. Während die Anzahl der Stimmberechtigten stark gestiegen ist, blieb die Hürde von 100’000 Unterschriften unverändert: Mussten 1891 fast 8 Prozent der Stimmberechtigten eine Initiative unterschreiben, so sind es heute viermal weniger (1,7 Prozent). Die Globalisierung und die damit einhergehende internationale Verflechtung haben zu einer starken Zunahme des internationalen Rechtes geführt. Immer öfter kommen daher Volksinitiativen zur
Abstimmung, die in Konflikt zu internationalen Verträgen stehen. Um sich diesen neuen Gegebenheiten anzupassen, tut eine Reform der Volksinitiative not.

Dieser Artikel erschien im «Tages-Anzeiger» vom 21. April 2015.