Beinahe 40 Prozent des gesamten Steueraufkommens der Schweiz fliessen an die Gemeinden und die Kantone. Einen kleineren Anteil für den Nationalstaat weist nur Kanada auf (s. Abb.), das sich kaum mit der Schweiz vergleichen lässt. Ein ausgeprägter Steuerwettbewerb auf einem derart engen Terrain wie in unserem Land ist weltweit einmalig. Der Steuerföderalismus ist wohl der originellste Beitrag der Schweiz zum Verhältnis von Bürger und Staat in Sachen Finanzen: Eigentlich müsste ihn die Unesco als Weltkulturerbe würdigen.
Wie ist dieser Beitrag zu werten? Finanzwissenschafter stehen dem Steuerwettbewerb in der Regel positiv gegenüber: Er zwingt staatliche Einheiten zu Effizienz, Kundenorientierung und Innovation. Gemeinden gedeihen, wenn sie ein attraktives Preis- Leistungs-Verhältnis für ihre Dienstleistungen bieten; den anderen droht der Verlust von Steuersubstrat, Arbeitsplätzen und Einwohnern. Die Gegner des Steuerwettbewerbs befürchten hingegen einen Steuersenkungswettlauf, bei dem die Steuersätze unter das volkswirtschaftlich optimale Niveau fallen. Sie glauben, Gemeinden, die eine Steuererhöhung zur Finanzierung zusätzlicher Dienstleistungen beschliessen, müssten mit dem Wegzug von Unternehmen und mit einer Aushöhlung ihrer Steuerbasis rechnen. Daraus folge, dass sämtliche Gemeinden tiefere Steuersätze verlangten und ein geringeres Angebot an öffentlichen Gütern bereitstellten, als es sich ihre Bewohner eigeneich wünschten.
Viele Studien zeigen allerdings, dass die Befürchtungen unberechtigt sind. Insgesamt ist der Steuerföderalismus sowohl als Ausdruck der Vielfalt als auch mit Blick auf die Disziplinierung des Steuerappetits des Staates zu begrüssen. Die Schweiz hat die Parole der amerikanischen Revolution umfassend umgesetzt «No taxation without representation» (keine Besteuerung ohne Mitsprache). So gesehen, bildet der Steuerföderalismus zweifelsohne eine der Besonderheiten der Schweiz, die es verdient, als Standortvorteil verteidigt zu werden.
Dieser Artikel erschien in der «Zürcher Wirtschaft» vom 19.01.2012.
In der gleicher Ausgabe erschienen auch die Artikel «Gefährliche Erbschaftssteuer» und «Viel Arbeit auf den (Steuer-)Baustellen».