Wo beginnen eigentlich Märkte und wo hören sie auf? Diese Frage nach den Grenzen eines Marktes lässt sich in der Praxis oft gar nicht so einfach beantworten. Sie bedingt eine aufwendige Analyse – eine sogenannte Marktabgrenzung –, die unterschiedliche Dimensionen berührt. So ist etwa abzuklären, welche Produkte eigentlich zueinander in Konkurrenz stehen und somit in den gleichen Markt gehören: Sind zum Beispiel Äpfel und Birnen dem gleichen Markt (dem Markt für Kernobst) zuzurechnen oder handelt es sich um unterschiedliche Märkte? Und falls es sich um unterschiedliche Märkte handelt, müssen diese weiter unterteilt werden, beispielsweise in einen Markt für Bio- und Nichtbio-Äpfel?
Ausweichmöglichkeiten sind entscheidend
Eine eindeutige Antwort auf solche Fragen gibt es nicht. Am ehesten kann man sagen: Es ist entscheidend, ob die Konsumenten Äpfel und Birnen als austauschbar erachten. Den verlässlichsten Hinweis dafür liefert die Zahlungsbereitschaft: Wird bei einer Preiserhöhung für Äpfel vermehrt auf Birnen ausgewichen, stellen letztere aus Sicht der Konsumenten offenbar ein Substitut dar und können dem gleichen Markt zugerechnet werden. Weichen die Konsumenten hingegen nicht in genügendem Ausmass auf Birnen aus, bedeutet dies, dass Äpfel und Birnen nicht in denselben Markt gehören.
Märkte charakterisieren sich überdies durch geographische Grenzen. Manche Märkte weisen eine globale, andere hingegen eine nationale oder sogar nur regionale Dimension auf. Für die Bestimmung der geographischen Marktgrenzen sind abermals die Reaktionen der Nachfrager massgebend. Was tun diese, wenn die Preise für Schweizer Äpfel wegen eines schlechten Sommers mit darauffolgender Missernte steigen? Kaufen sie ausländische Äpfel oder «schlucken» sie die Preiserhöhung und reduzieren ihren Konsum? Märkte können zudem auch eine zeitliche Dimension aufweisen: Je nachdem, ob gerade Apfelsaison ist oder nicht, kann die Reaktion der Konsumenten auf Preisveränderungen unterschiedlich ausfallen.
Letztlich sind es also die Substitutionsmöglichkeiten, die die Grenzen der Märkte bestimmen. Aus Konsumentensicht ist es dabei in der Regel vorteilhaft, wenn möglichst viele unterschiedliche Produzenten und Substitute vorhanden sind. Für die Produzenten ist es umgekehrt von Vorteil, wenn die Kunden möglichst nicht ausweichen können, denn je geringer die Ausweichmöglichkeiten der Konsumenten, umso grösser der Preissetzungsspielraum – und somit das Gewinnpotenzial – des Produzenten. Für ein nach Gewinn strebendes Unternehmen ist es deshalb rational, systemische Marktabgrenzungen im Raum, in dem es sein Produkt anbietet, anzustreben. Dafür kann es sich verschiedenster Strategien bedienen.
Abgrenzung durch Leistung ist erwünscht
Im Idealfall schafft es ein Unternehmen, die Nachfrager davon zu überzeugen, dass sein Produkt einzigartig und nicht austauschbar ist. Dies zum Beispiel, weil es anderen Produkten technisch überlegen ist, benutzerfreundlicher gehandhabt werden kann oder ein besonders attraktives Design aufweist. Anstrengungen von Unternehmen, mit besserer Leistung als die Konkurrenz den Markt einzugrenzen, um Gewinne zu erwirtschaften, sind unproblematisch, ja erwünscht. Hier wirkt die vielzitierte «unsichtbare Hand» von Adam Smith, der in seinem berühmtesten Werk «The Wealth of the Nations» darlegte, wie die Orientierung am eigenen Wohl im Interesse der Allgemeinheit ist:
«It is not from the benevolence of the butcher, the brewer, or the baker that we expect our dinner, but from their regard to their own interest.»
Nicht jede Eingrenzung des Marktes durch Unternehmen ist jedoch im Interesse der Allgemeinheit. Wenn zu Strategien gegriffen wird, die die Ausweichmöglichkeiten der Nachfrager künstlich begrenzen, ist dies meist volkswirtschaftlich schädlich. Deshalb kennen die meisten modernen Volkswirtschaften ein Wettbewerbsrecht, das Verhaltensregeln für Unternehmen aufstellt. Internationaler Konsens besteht etwa, dass die Bildung von harten Kartellen, also Preis, Mengen oder Gebietsabsprachen, eine rote Linie darstellt. Setzen sich nämlich alle Produzenten eines bestimmten Gutes zusammen an den Tisch und beschliessen, gemeinsam die Preise zu erhöhen, bleibt dem Nachfrager nur noch die Möglichkeit, die höheren Preise zu bezahlen oder auf den Konsum zu verzichten. Es gibt aber auch subtilere Varianten, den Markt «künstlich» zu verkleinern, etwa durch Unternehmenszusammenschlüsse. Natürlich sind das primäre Ziel der meisten Fusionen Effizienzsteigerungen, aber gerade in oligopolistischen Märkten – d.h. in konzentrierten Märkten mit wenigen Produzenten – kann der fusionsbedingte Wegfall eines Konkurrenten die Ausweichmöglichkeiten der Nachfrager empfindlich beschränken.
Auch ist fraglich, ob eine – durchaus legitim erarbeitete – starke Marktstellung mit allen Mitteln verteidigt werden darf. Dass im Wettbewerb um Kunden mit harten Bandagen gekämpft wird und Unternehmen nicht zimperlich mit ihren Konkurrenten umgehen, liegt in der Natur der Sache. Trotzdem: wird eine starke Marktstellung gezielt dazu ausgenutzt, bestehende Unternehmen aus dem Markt zu drängen oder potenzielle Konkurrenten von einem Markteintritt abzuhalten, wirkt sich dies negativ auf die Ausweichmöglichkeiten der Nachfrager aus. Es ist Aufgabe des Staates zu definieren, welche Verhaltensweisen erlaubt und welche nicht erlaubt sind.
Abgrenzung durch den Staat
Es kann durchaus auch vorkommen, dass der Staat die Marktgrenzen bewusst eng festlegt und die Ausweichmöglichkeiten der Nachfrager limitiert. Ein typisches Beispiel dafür sind Patente. Sie verbieten der Konkurrenz während einer bestimmten Zeitdauer, eine Erfindung kommerziell zu nutzen. Der Patentinhaber wird so vor Imitation seiner Erfindung durch Dritte geschützt, was ihm erlaubt, seine Forschungs und Entwicklungskosten wieder einzuspielen und einen Gewinn zu erwirtschaften. Ohne den Schutz von geistigem Eigentum würde – dies die Befürchtung – aus gesellschaftlicher Sicht zu wenig in die Entwicklung neuer Produkte investiert. Wie weit der Patentschutz gehen soll, ist aber letztlich schwer zu beantworten. Klar ist, dass ein zu grosszügiges Patentrecht nicht im Sinne der Allgemeinheit ist, da es die Nutzung und Weiterentwicklung von Erfindungen behindert.
Neben dem Schutz von geistigem Eigentum gibt es viele weitere Motive, aus welchen der Staat den Marktzugang und somit die Auswahl und Ausweichmöglichkeiten der Nachfrager beschränkt. So werden etwa der Schutz von Sicherheit und Ordnung sowie sozial, umwelt und strukturpolitische Anliegen als Gründe für die Errichtung von staatlichen Markteintrittsbarrieren genannt. Auch das Argument der Grundversorgung («Service public») oder der Versorgungssicherheit muss immer wieder als Rechtfertigung für die Beschränkung des Marktzugangs herhalten. Die Beispiele für staatlich verordnete Markteintrittsbarrieren sind zahlreich: So darf nicht jeder ein Casino betreiben oder Siedlungsabfälle entsorgen, die Herstellung von gebranntem Wasser erfordert eine staatliche Erlaubnis, und gewisse Unternehmen müssen ihre Unfallversicherung zwingend bei der Suva abschliessen. Der Bund regelt, wer berechtigt ist, Personen oder Briefe zu befördern, und die Kantone legen fest, wer Kamine reinigen, Beurkundungen vornehmen und Gebäude versichern darf.
Objektive, allgemeingültige Regeln, wann und in welchem Umfang die staatliche Eingrenzung eines Marktes angezeigt ist, gibt es nicht. Dies zeigt sich deutlich in der Praxis der Kantone. Im Kaminfegerwesen etwa finden sich auf der kantonalen Ebene die unterschiedlichsten Spielarten: vom Staatsmonopol bis zum freien Wettbewerb. Das lässt den Verdacht aufkommen, dass hinter staatlichen Beschränkungen des Marktzugangs oftmals auch fiskalische oder protektionistische Motive stehen. Eindrücklich wird dies durch das Salzregal illustriert, ein aus dem Mittelalter stammendes Hoheitsrecht der Salzgewinnung und des Salzhandels, das seit jeher den Kantonen zusteht. Sogar der Bund hat festgehalten, dass das Salzregal in der heutigen Zeit nicht mehr erforderlich sei und sich nicht mit dem Schweizer Kartellrecht vertrage. Aber die Kantone denken nicht im Entferntesten daran, auf ihr ergiebiges Monopol zu verzichten. Sie haben das Salzregal auf die Schweizer Salinen AG übertragen, die heute alleine berechtigt ist, in der Schweiz Salz zu verkaufen, zu handeln oder zu importieren. Sie ist zudem für die Erhebung von Regalgebühren zuständig, die vollständig an die Kantone abgeführt werden. Weitere Einkünfte beschert die Schweizer Salinen AG den Kantonen in Form von Dividendenausschüttungen, die jährlich 5 bis 10 Mio. Franken betragen.
Nie dem Wohl der Allgemeinheit dienen Markteingrenzungen und abschottungen, deren staatliche Verordnung man dem Phänomen des «Regulatory Capture» – also der regulatorischen Vereinnahmung einer staatlichen Behörde von den zu regulierenden Unternehmen – zuschreiben muss: Des Öfteren setzen sich Unternehmen für branchenspezifische Regulierungen ein, die nur dazu dienen, Markteintrittsschranken zu errichten oder aufrechtzuerhalten. Solche Regulierungen werden also nicht vom Staat angestrebt, sondern von den Unternehmen selbst, die in vielen Fällen einen direkten Draht zu den Behörden haben, während die Interessen der breiten Masse nicht oder nicht gleich konsequent wahrgenommen werden. Um die Eingrenzungen schmackhaft zu machen, werden oft Gründe wie der Schutz von Konsumenten, Arbeitnehmern oder Umwelt vorgeschoben. In einigen Fällen ist «Capturing» allerdings schlicht eine Form der Korruption: Als Gegenleistung für staatliche Regulierungsprivilegien wird den Entscheidungsträgern politische und finanzielle Unterstützung zugesichert.
Natürliche Marktgrenzen
Manchmal sind die Marktgrenzen aber auch von Natur aus eng. Dies ist etwa bei den «natürlichen Monopolen» der Fall, die sich vor allem bei den kapitalintensiven Infrastrukturen finden. Sie charakterisieren sich durch hohe Fixkosten (Investitions und Kapitalkosten) und vergleichsweise geringe Betriebskosten. Diese Konstellation bewirkt, dass die Kosten in der Regel dann minimiert sind, wenn nur ein Unternehmen den Markt bedient. Mit anderen Worten: es lohnt sich schlicht nicht, dass ein zweites Unternehmen das entsprechende Produkt herstellt. Natürliche Monopole sind typischerweise im Bereich der Grundversorgung – etwa bei Eisenbahn, Strom, Gas, Telekommunikation oder Wasser – anzutreffen.
Es ist deshalb kein Zufall, dass Infrastrukturgüter und dienstleistungen oft vom Staat selbst oder von Unternehmen, die einer sektorspezifischen Regulierung unterliegen, bereitgestellt werden. Damit sollen die Konsumenten vor privaten Monopolen und den damit einhergehenden «überhöhten» Preisen geschützt werden. Der technologische Wandel, z.B. im Bereich der Telekommunikation, hat jedoch viele dieser ursprünglichen natürlichen Monopole erodieren lassen. Gerade die staatliche Bereitstellung von Infrastrukturgütern und dienstleistungen bräuchte es in der heutigen Zeit deshalb vielfach nicht mehr. Nicht selten ist es heute sogar so, dass der Staat unter dem Titel des «Service public» künstlich Markteintrittsschranken aufrechterhält und die Ausweich und Auswahlmöglichkeiten der Nachfrager zu deren Nachteil beschränkt. Das passiert beispielsweise im Energiebereich, wo die Haushalte als sogenannte «gefangene Kunden» nach wie vor an die lokalen Stromlieferanten gebunden sind, obwohl sie in einem geöffneten Markt von tieferen Preisen profitieren könnten.
Auch Märkte, in denen ausgeprägte Netzwerkeffekte bestehen, tendieren zu einer Begrenzung der Ausweichmöglichkeiten der Nachfrager. Netzwerkeffekt liegt dabei dann vor, wenn der Nutzen eines Produktes umso höher ist, je mehr Konsumenten es besitzen und benutzen. Das klassische Beispiel für ein solches Produkt ist das Telefon: Je mehr Personen über ein Telefon verfügen, umso attraktiver ist es, eines zu besitzen. Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter oder Internetplattformen wie Amazon, Uber und Airbnb beruhen weitgehend auf demselben Prinzip. Typisch für solche Märkte ist, dass die Nutzerzahl überproportional ansteigt, wenn eine kritische Masse erreicht wird. Es sind «Winnertakesitall»Märkte, die zu Konzentration neigen, da es in der Regel nur wenige – allenfalls sogar nur einer – schaffen, die kritische Masse zu erreichen.
Führt diese Konzentrationsbewegung zu marktmachtmissbrauchenden «Internetriesen», denen spezielle politische und wettbewerbsrechtliche Grenzen gesetzt werden sollten? Eher nicht: generell charakterisieren sich digitale Plattformmärkte durch kurze Innovationszyklen, die überdies oftmals disruptiv verlaufen. Der rasante technologische Wandel führt dazu, dass immer wieder neue Anbieter auftauchen und die alten «Platzhirsche» vom Markt verdrängt werden – dieses Schicksal ereilte z.B. den Suchdienst Altavista oder das soziale Netzwerk Myspace. Im Querschnitt mag es zwar bisweilen zu monopolartigen Stellungen kommen, im Längsschnitt werden diese Monopole jedoch immer wieder aufgebrochen. Solange dieser zeitliche «Wettbewerb um den Markt» funktioniert, braucht es keine Spezialregeln für die digitale Ökonomie.
Der Staat soll die Spielregeln und nicht die Grenzen festlegen
Marktgrenzen sind letztlich also nichts Statisches. Technologischer Wandel, sich verändernde Präferenzen, zunehmende Kaufkraft, Netzwerkeffekte und viele andere Faktoren führen dazu, dass sich Marktgrenzen stetig verändern. Expansion und Kontraktion von Marktgrenzen sind in diesem Sinn Ausdruck eines funktionierenden Wettbewerbs und einer sich verändernden Gesellschaft. Deshalb sollte die Dynamik dieses Prozesses möglichst weder von privaten Akteuren noch vom Staat behindert werden. Im Gegenteil: eine der wichtigsten ordnungspolitischen Aufgaben des Staates sollte es sein, die Errichtung von unnötigen Markteintrittsschranken zu verhindern bzw. diese abzubauen. Dies ist keinesfalls mit der Forderung nach grenzenlosem Wildwest auf den Märkten gleichzusetzen: Der Staat soll den Rahmen und die Spielregeln fest und durchsetzen. Er soll aber möglichst kein Einfluss auf Spielfluss und verlauf nehmen.
Die Beiträge unserer Sommerreihe «Grenzen sprengen!» sind als Sonderpublikation der Zeitschrift «Schweizer Monat» erschienen.