In der europäischen Klimapolitik hat eine Gewichtsverschiebung stattgefunden: Während der CO2-Zertifikatehandel an Relevanz verloren hat, werden die Strommärkte immer mehr durch die Subventionierung von erneuerbaren Energien beeinflusst. Für die Wasserkraft sind das keine guten Nachrichten. Schliesslich würden sie über das höhere Preisniveau direkt von einer Belastung des CO2-Ausstosses profitieren. Ganz im Gegenteil reduziert nun die wachsende Einspeisung subventionierter emeuerbarer Energien den Strompreis und damit die Wirtschaftlichkeit grosser Wasserkraftwerke und anderer konventioneller Anlagen ohne Subventionen. Weil steuerbare Kraftwerke aber weiterhin als Back-up nötig sind, um die fluktuierende Produktion auszugleichen, erwägen immer mehr Länder die Einführung sogenannter Kapazitätsmechanismen bzw. -märkte. Diese sollen eine finanzielle Abgeltung der blossen Bereitstellung von Kraftwerkskapazitäten möglich machen. Auch die Wasserkraftbetreiber erhoffen sich dadurch neue Ertragsmöglichkeiten. Doch das tatsächliche Potenzial für die Wasserkraft dürfte beschränkt sein, für Pumpspeicherwerke könnte die Rechnung sogar negativ ausfallen. Werden die Kapazitätsmechanismen effizient und marktnahe implementiert, profitieren eher Kraftwerkstypen mit tiefen Fixkosten und hoher Verfügbarkeit während den Wintermonaten. Ausserdem reduzieren solche Mechanismen die Preisvolatilität und damit die Wirtschaftlichkeit von Speichern.
1. Sinkende Preise und Neugewichtung der Klimapolitik in Europa
Energiewende und Klimapolitik waren im Grunde gute Nachrichten für die Wasserkraft in Europa. Weil üblicherweise fossile Anlagen am Strommarkt die Preise bestimmen, profitieren Wasserkraftwerke direkt von der finanziellen Belastung des CO2-Ausstosses mittels Steuer oder einem Preis für CO2-Emissionszertifikate. In eine ähnliche Richtung weist der politisch beschlossene schrittweise Ausstieg aus der Kernkraft in Deutschland und der Schweiz: Die Ausserbetriebnahme von Kraftwerkskapazitäten stützt das durch schnittliche Preisniveau im Grosshandel. Weil Energiemärkte grenzüberschreitend sind, wirkt sich dies auch positiv auf die Wirtschlaftlichkeit der Schweizer Wasserkraft aus unabhängig davon, ob im Inland eine Energiewende umgesetzt wird oder nicht. Doch die Erwartung steigender Strompreise musste in den vergangenen Jahren relativiert werden. Am Terminmarkt der deutschen Strombörse sinken die Preise praktisch kontinuierlich. Der Preis für Grundlast, die im Jahr 2014 geliefert wird, liegt mittlerweile unter 39 Euro/ MWh Mitte 2008 waren es noch gegen 100 Euro/MWh. Und auch die längerfristigen Lieferungen für 2018 oder 2019 geben keinen Hinweis auf ein bald signifikant steigendes Preisniveau.
Die Gründe für die anhaltend tiefen Preise im Stromgrosshandel sind vielfältig und hängen miteinander zusammen: Durch den Rückgang der industriellen Produktion im Zuge der Wirtschaftskrise nahmen Energieverbrauch und CO2-Emissionen in den meisten europäischen Staaten ab. Dadurch bildete sich ein Überhang an Kraftwerkskapazitäten. Parallel dazu bildete sich auch auf dem Markt für CO2-Zertifikate der eigentlich das Herzstück der der eigentlich das Herzstück der europäischen Klimapolitik sein sollte – ein Überangebot. Der Preis für den Ausstoss einer Tonne CO2 liegt heute bei etwa fünf Euro -2005 waren es noch etwa 30 Euro. Die tiefen Zertifikatspreise entfalten dadurch keine relevante lenkende Wirkung, denn sie beeinflussen die – für den Kraftwerkseinsatz entscheidenden – variablen Kosten fossiler Kraftwerke nur geringfügig. Entsprechend gering ist daher auch ihr Einfluss auf die Grosshandelspreise, die sich üblicherweise auf Basis der variablen Kosten von Kohle- oder Gaskraftwerken bilden. In der europäischen Energie- und Klimapolitik hat sich in den vergangenen Jahren eine eigentliche Gewichtsverschiebung abgezeichnet: Während die Relevanz des CO2-Zertifikatehandels als steuerndes Instrument in der Klimapolitik an Bedeutung verloren hat, wächst der Einfluss subventionierter erneuerbarer Energien. Die rasant steigenden Mengen an Strom aus Windkraft und Photovoltaik (PV) führen zu immer grösseren Verzerrungen am Strommarkt.
2. Nachteile für die Wasserkraft
Für die Wasserkraft sind dies keine guten Nachrichten, schliesslich ist sie als CO2- freie Technologie mit tiefen variablen Kosten «Preisnehmerin» am Markt. Sie würde von einer Belastung des CO2-Ausstosses mittels Steuer oder CO2-Zertifikatspreis und den damit verbundenen höheren Grosshandelspreisen im Strommarkt direkt profitieren. Ganz im Gegenteil belastet nun die wachsende Einspeisung subventionierter erneuerbarer Energien das Preisniveau und die Wirtschaftlichkeit von konventionellen Kraftwerken, die ohne Subventionen auskommen müssen. Weil solche konventionellen, steuerbaren Kraftwerke aber als Back-up dringend nötig sind, um die fluktuierende Produktion erneuerbarer erneuerbarer Energien auszugleichen, erwägen immer mehr Länder in Europa die Einführung sogenannter Kapazitätsmechanismen oder -märkte, die eine finanzielle Förderung der blossen Bereitstellung von Kraftwerkskapazitäten möglich machen. Auch Betreiber von grossen Wasserkraftwerken erhoffen sich dadurch neue Ertragsmöglichkeiten.
Ob solche Mechanismen aber tatsächlich Vorteile für die Wasserkraft generieren, ist alles andere als sicher. Denn Kapazitätsmärkte sind kein Ersatz für den bisherigen Energiemarkt, auf dem Megawattstunden als Produkt gehandelt wird. Vielmehr handelt es sich um ein ergänzendes Instrument. Das heisst, auch im Falle einer Einführung eines Kapazitätsmarktes generieren die Kraftwerke weiterhin einen Grossteil ihres Ertrages über den Verkauf von Energie. Kapazitätsmechanismen sind komplementär und sollen Anreize für den Neubau und den Weiterbetrieb von konventionellen Kraftwerken schaffen. Kapazitätsmechanismen haben aber einen Rückkoppelungseffekt auf den Energiemarkt und verändern die Ertragsmöglichkeiten beim Verkauf der produzierten Megawattstunde. Um die konkreten Vorund Nachteile für die Wasserkraft abzuwägen, ist es sinnvoll, sich den Zweck und die Funktionsweise von Kapazitätsmechanismen genauer anzuschauen. Avenir Suisse hat im April 2013 eine Studie über die Auswirkungen solcher Mechanismen veröffentlicht.
3. Mangelnde Investitionsanreize in der Spitzenlast
Versorgungssicherheit hat bei der Stromversorgung eine grössere Bedeutung als in anderen Märkten. Erstens sind die volkswirtschaftlichen Kosten eines Blackouts ausserordentlich hoch. Zweitens stellt in einem liberalisierten Strommarkt die Versorgungsstabilität eine Art öffentliches Gut dar. Grundsätzlich muss die Stromeinspeisung ins Netz zu jeder Zeit dem Verbrauch entsprechen. Schon eine kurzzeitige Differenz kann zu Spannungsverlusten und Instabilität führen. Fällt ein Kraftwerk aus, ist nicht nur der vertragliche Abnehmer des Stroms vom Lieferunterbruch betroffen. Vielmehr droht dadurch die Versorgung als Ganzes zusammenzubrechen. Ein einzelner Marktakteur berücksichtigt bei seinen Entscheidungen die immensen Kosten eines solchen Systemausfalls zu wenig. Aus diesem Grund wird im liberalisierten Markt dem Übertragungsnetzbetreiber die Funktion eines Systemoperators übertragen. Im Falle kurzzeitiger Ungleichgewichte kann er durch die Bereitstellung von Kraftwerksreserven einen Ausgleich und damit Systemstabilität schaffen. Doch solche Systemdienstleistungen sind nicht dafür konstruiert, die langfristige Versorgungssicherheit im Sinne ausreichender (Back-up-)Kraftwerkskapazitäten zu garantieren. Dieses Ziel wird im liberalisierten Strommarkt grundsätzlich durch die Preisbildung im Grosshandel erreicht. Bereitszu Beginn vieler Marktöffnungen in den 1990er-Jahren gab es verbreitet Zweifel an der Stabilität eines Strommarktdesigns, das ausschliesslich auf dem Handel von Energie basiert.
Ungewissheit besteht vor allem darüber, ob der Markt ausreichend Investitionsanreize für jene (Spitzenlast-) Kraftwerke gibt, die relativ selten zum Einsatz kommen, aber für die Systemstabilität etwa in Extremsituationen nötig sind. Denn in einem funktionierenden Markt basiert die Abgeltung des letzten eingesetzten Kraftwerks auf dessen Grenzkosten. Kraftwerke in der Grund- und Mittellast mit tiefen variablen Kosten profitieren von den höheren Preisen während Spitzenlastzeiten. Kraftwerke zur Abdeckung der Spitzenlast – die üblicherweise tiefere Fixkosten, aber höhere variable Kosten aufweisen – kommen dagegen weniger häufig zum Einsatz und profitieren nicht unbedingt von Marktpreisen, die (deutlich) über ihren Grenzkosten liegen. Existieren ausreichend Kraftwerkskapazitäten und funktioniert der Wettbewerb, bilden sich auch in der Spitzenlast Preise auf Basis der variablen Kraftwerkskosten. Im theoretischen Marktgleichgewicht würden Spitzenlastkraftwerke keinen positiven Deckungsbeitrag erwirtschaften. Das aber würde bedeuten, dass es auch keine Anreize gibt, in solche Anlagen zu investieren. In der Theorie wird dieser Umstand als «Missing Money Problem» bezeichnet – es fehlt das Geld, um die (Fix-)Kosten dieser Kraftwerke zu decken. Dagegen lässt sich einwenden, dass kurzzeitige, aber besonders hohe Preise im Strommarkt ausreichende Investitionsanreize vermitteln könnten. Denn wegen der geringen Elastizität von Stromnachfrage und -angebot bilden sich in Knappheitssituationen ausserordentlich hohe Preise. Diese würden sich in einem perfekten Markt an den sehr hohen Kosten eines Stromausfalls orientieren. Mindestens theoretisch könnten dabei die Preise auf das 100- bis 500- Fache des üblichen Niveaus ansteigen. Profitieren Spitzenlastkraftwerke von derart hohen Preisen, lassen sie sich auch mit wenigen Betriebsstunden profitabel betreiben. Doch in der Praxis sind die Risiken für einen Investor bedeutend. Einerseits ist die Häufigkeit und die Höhe der Knappheitspreise schwer zu prognostizieren, anderseits würden derart hohe Preise vermutlich eine Intervention des Regulators provozieren.
Das «Missing Money Problem» ist keineswegs ein neues Phänomen, das erst im Zusammenhang mit der Energiewende entstanden ist. Vielmehr stellt sich die Herausforderung der Investitionsanreize für Spitzenlast- bzw. Back-up-Kraftwerke im offenen Markt grundsätzlich. Allerdings wird das dargestellte Problem durch die rasant wachsende Einspeisung subventionierter erneuerbarer Energie zweifellos akzentuiert. Weil erneuerbare Energien wie Wind oder PV vernachlässigbare variable Kosten aufweisen, schieben sie die Angebotskurve (Merit Order) im Markt parallel nach rechts. Einerseits senkt das zusätzliche, subventionierte Angebot die durchschnittlichen Preise am Markt. Anderseits nimmt die Auslastung konventioneller Kraftwerke rechts in der Merit Order (also vor allem der Spitzenlastkraftwerke) zusätzlich ab. Damit verbunden ist eine weitere Schwächung der Investitionsanreize bei den konventionellen, nicht-subventionierten Kraftwerken.
4. Formen und Wirkungen von Kapazitätsmechanismen
Kapazitätsmechanismen sollen Investitionsanreize für Spitzenlast- oder Backup- Kraftwerke stimulieren. Sie erschliessen den Investoren eine zusätzliche Ertragsquelle und erhöhen die Investitionssicherheit. Weil das «Missing Money Problem» keine neue Erscheinung ist, existieren solche Mechanismen in der einen oder anderen Form schon seit Jahren. Eine einheitliche Kategorisierung gibt es nicht. Häufig wird zwischen preis- und mengenbasierten Mechanismen unterschieden (Tietjen 2012, Barrera et al. 2011, Siegmeier 2011). Bei den preisbasierten Mechanismen entscheidet eine zentrale Instanz über eine finanzielle Abgeltung (administrative Kapazitätszahlungen, strategische Reserve), bei den mengenbasierten Instrumenten entscheidet sie über die Kapazitäten, während sich der Preis dafür in einem Markt bildet (Kapazitätsverpflichtungen). Häufig werden lediglich mengenbasierte Instrumente als Kapazitätsmärkte im engeren Sinn bezeichnet. Die administrative Kapazitätszahlung gilt als einfache Form eines preisbasierten Kapazitätsmechanismus. Solche Zahlungen wie sie beispielsweise in Spanien Spanien existieren werden den Kraftwerksbetreibern als Ergänzung zu den Erträgen aus dem Energiemarkt ausgerichtet. Die Zuschüsse werden nicht durch den Markt, sondern durch einen administrativen Prozess festgelegt. Sie werden etwa so berechnet, dass (Spitzenlast-)Kraftwerke ihre ungedeckten Fixkosten finanzieren können. Als Benchmark kann beispielsweise ein neues Gasturbinenkraftwerk mit tiefen Investitionskosten dienen. Die konkrete Ausgestaltung der Zahlung kann unterschiedlich sein, etwa als fixer jährlicher Beitrag, als Zuschuss, basierend auf der tatsächlichen Verfügbarkeit, der effektiven Produktion während bestimmter Zeitperioden oder als Kombination daraus (vgl. Pfeifenberger et al. 2009). Produktionsbezogene Zahlungen sollen verhindern, dass Kraftwerksbetreiber Anlagen vom Netz nehmen, um während Knappheitssituationen eine künstliche preistreibende Wirkung zu erzielen. Allerdings entstehen mit den produktionsbezogenen Zahlungen zusätzliche Marktverzerrungen, ähnlich wie im Modell der Einspeisevergütung. Erfahrungen aus Argentinien und Peru illustrieren, dass damit ineffiziente (Über-) Produktionsanreize einhergehen denn Kraftwerksbetreiber würden ihre Produktion auch unter den Grenzkosten anbieten.
Ein alternativer preisbasierter Mechanismus stellt die strategische Reserve dar. In diesem Modell beschafft der Systemoperator zusätzliche Kraftwerkskapazitäten, beispielsweise im Rahmen eines Auktionsverfahrens. Diese Kraftwerkskapazitäten gibt er bei Knappheit bzw. einem bestimmten Preisniveau zur Entlastung in den Markt. Der administrativ festgelegte Auslösungspreis, bei dem die Reservekapazitäten aktiviert und auch angeboten werden, wird damit zur faktischen Preisobergrenze im Markt. DerAuslösungspreis bestimmt zudem, wie gross die Reserve längerfristig sein muss (vgl. auch EWI 2012). Wird der Auslösungspreis sehr tief angesetzt, nehmen nicht nur die Investitionsanreize im freien Markt ab, sondern auch die Anreize, in eine Flexibilisierung des Verbrauchs oder Speicher zu investieren. Ein hoher Auslösungspreis geht umgekehrt mit der Gefahr eines ineffizienten Kraftwerkseinsatzes einher: Stellt sich bei hoher Nachfrage ein Spotmarktpreis zwischen den Grenzkosten des letzten produzierenden Kraftwerks und dem Auslösungspreis ein, werden von Verbrauchern womöglich Massnahmen zur Lastreduktion getroffen, deren marginale Kosten über denjenigen der (noch nicht eingesetzten) Kraftwerksreserven liegen. Die strategische Reserve wird heute beispielsweise in Schweden oder Finnland angewendet.
Sogenannte Kapazitätsverpflichtungen stellen ein mengenbasiertes Instrument dar. Versorger (oder einzelne Grossverbraucher) werden dazu angehalten, Produktionskapazitäten, basierend auf ihren Bedarfsspitzen, vorzuhalten (vgl. beispielsweise Cramton und Stoff 2006, Cramton und Stoff 2008, Bidwell 2005, EWI 2012). Dies können sie auf unterschiedliche Art machen. Sie können eigene Kraftwerke betreiben, Verträge mit Dritten abschliessen oder entsprechende Zertifikate für Kraftwerksleistung auf einem zentral organisierten Markt beschaffen. An einem solchen Forward- Markt für Produktionskapazitäten können auch Verbraucher durch das Angebot von Lastreduktionsmassnahmen teilnemen. Sinnvollerweise werden die Produktionskapazitäten (oder Lastreduktionsmassnahmen) auf Basis ihres Beitrags zur Systemstabilität gewichtet, etwa aufgrund ihrer technischen Verfügbarkeit während potenzieller Knappheitsperioden. Dabei können grundsätzlich auch erneuerbare Technologien mit fluktuierender Produktion wie Wind, PV oder Wasser mindestens einen Teil ihrer Kraftwerksleistung anbieten anbieten. Dazu kann etwa auf historischen Daten basierend berechnet werden, welche Kraftwerksleistung während besonders ausgeprägten Spitzenlastzeiten mit hoher Wahrscheinlichkeit als «gesichert» angenommen werden kann. Ein Vorteil des häufig in den USA angewendeten Modells liegt in der Marktnähe. Erstens wird der Ansatz üblicherweise nicht selektiv angewendet. Das heisst, er bevorzugt weder neue noch alte oder spezifische Kraftwerke, zudem können auch Verbraucher am Markt teilnehmen. Dadurch werden Verzerrungen von Investitionsanreizen minimiert. Zweitens resultiert kein positiver Preis für Kraftwerkskapazitäten, wenn sich auch längerfristig Kraftwerksüberkapazitäten abzeichnen sollten. Und drittens geht mit dem Modell nicht unbedingt eine Preisobergrenze im börslichen Energiehandel einher. Um dennoch Produktionsanreize zu vermitteln bzw. die strategische Zurückhaltung von Kraftwerkskapazitäten zu verhindern kann das Modell mit sogenannten Verfügbarkeitsoptionen (Reliability Options) ergänzt werden. Kraftwerksbetreiber zeichnen eine Art Call-Option und verpflichten sich zu einer Zahlung an den Käufer der Kraftwerkskapazität, also die Versorger. Die Zahlung entspricht der Differenz zwischen dem Spotmarktpreis und einem Ausübungspreis. Dadurch werden bei den Kraftwerksbetreibern einerseits Anreize geschaffen werden, ihre Anlagen während Knappheitssituationen tatsächlich im Markt anzubieten. Anderseits werden die Verbraucher vor besonders starken Preisausschlägen am Energiemarkt abgesichert.
Die Ausgestaltung und die Wirkungen der dargestellten Grundmodelle von Kapazitätsmechanismen unterscheiden sich grundlegend. Dennoch weisen sie Gemeinsamkeiten auf. Sie vermitteln den Kraftwerksinvestoren eine höhere Sicherheit, indem sie zusätzliche Ertragsmöglickeiten neben dem Energiemarkt schaffen. Dadurch entstehen stärkere Investitionsanreize vor allem bei jenen Kraftwerken, die relativ wenige Vollbenutzungsstunden haben. Die Verbraucher finanzieren die Kosten des Mechanismus separat, etwa über einen Aufschlag auf dem Netz- oder Energietarif. Umgekehrt profitieren sie von der Verhinderung besonders ausgeprägter Preisspitzen, die sich bei einer Angebotsknappheit im «Energy-only-Markt» einstellen würden. In der Praxis geht die Einführung eines Kapazitätsmechanismus häufig mit einer regulierten Preisobergrenze (Price Cap) einher schliesslich möchte der Regulator oder die Politik nicht, dass Kraftwerksbetreiber gleichzeitig von Erträgen aus den Mechanismen und allfälligen (künstlich herbeigeführten) Knappheitspreisen profitieren. Durch die implizite oder explizite Preisbegrenzung im Markt nimmt gleichzeitig die Preisvolatilität ab. In Kombination mit der Subventionierung von erneuerbaren Energien reduzieren die Kapazitätsmechanismen schliesslich das durchschnittliche Preisniveau am Markt. Die Betreiber von konventionellen Kraftwerken haben daher eine Einbusse bei den Erträgen aus dem Energiemarkt, profitieinstalren aber umgekehrt von den Erträgen aus dem Kapazitätsmechanismus.
5. Entwicklungen in Europa
Kapazitätsmechanismen oder -märkte sind bislang nicht sehr verbreitet in Europa (vgl. Bild 1). Kapazitätsmechanismen auf Basis einer strategischen Reserve, Kapazitätszahlungen oder gar Kapazitäts märkte existieren nur vereinzelt. Doch vor dem Hintergrund der Energiewende und sinkender Energiepreise nimmt in vielen Ländern der Druck auf Veränderungen in der Marktorganisation zu. Ein Blick auf die Landkarte illustriert, dass sich die Ansätze tendenziell in Richtung der vorteilhafterenmengenbasierten Instrumente bewegen, also Kapazitätsmärkte. In Deutschland hat sich noch keine einheitliche Position herauskristallisiert diskutiert werden alle Modelle. Im europäischen Kontext existie ren bisher weder ein einheitliches Konzept Noch zwingende zentrale Vorgaben. Allerdingsist zu erwarten, dass die EU-Kommission im Hinblick auf die vollständige Umsetzung des Elektrizitätsbinnenmarktes bis 2014 gewisse Regeln schaffen wird- etwa bezüglich (grenzüberschreitendem) Wettbewerb. In der Schweiz bestehen bislang noch keine konkreten Pläne zur Einführung von Kapazitätsmechanismen. Aufgrund der relativ grossen inländischen Produktionskapazitäten besteht auch kein unmittelbarer Handlungsbedarf. Selbst bei einer Ausserbetriebnahme der älteren Kernkraftwerke gäbe es noch ausreichend Kapazitäten zur Deckung der Spitzennachfrage. Allerdings würden die Importe vor allem in den Wintermonaten zunehmen, In Kombination mit der Subventionierung denn die Speicherwerke könnten aufgrund ihres beschränkten Speicherinhalts (sowie der im Winter geringeren natürlichen Zuflüsse) nicht dauerhaft betrieben werden (vgl. Bild 2).
Doch auch wenn die Schweiz selber keinen Kapazitätsmechanismus installiert, so sind die inländischen Kraftwerksbetreiber aufgrund der engen Vernetzung mit den Nachbarländern und der hohen Relevanz des Stromhandels von den Entwicklungen in Europa direkt betroffen.Denn die Schweiz «importiert» nicht nur die von den subventionierten erneuerbaren Energien verursachten Marktverzerrungen, sondern auch die potenziell preisbegrenzenden Effekte allfälliger Kapazitätsmechanismen. Deshalb wäre es für die Schweiz wohl schwierig, bei einer Einführung von Kapazitätsmechanismen in den Nachbarländern abseits zu stehen. Zwar könnten inländische Verbraucher von durchschnittlich tieferen Marktpreisen profitieren, doch würden gleichzeitig die Erträge der Stromproduzenten unter Druck geraten. Längerfristig könnte die Versorgungssicherheit gefährdet werden, da der Bau neuer Kraftwerke im Inland weniger attraktiv würde. Umgekehrt wäre die unilaterale Einführung eines Fördermechanismus für konventionelle Kraftwerke in einem kleinen Land wie der Schweiz wegen der engen Vernetzung mit den Nachbarn und der hohen Bedeutung des grenzüberschreitenden Handels wenig sinnvoll und nur begrenzt funktionsfähig. Die inländischen Verbraucher würden die Kosten tragen, hätten aber keinen Gegenwert in Form tieferer Grosshandelspreise oder geringerer bzw. seltenerer Preisausschläge (Knappheitspreise). Denn die Energiepreise auf dem kleinen inländischen Markt würden weiterhin durch die Nachbarn bestimmt. Zudem wäre ein auf die Schweiz beschränkter Kapazitätsmarkt aufgrund der hohen administrativen Aufwendungen, der fehlenden Liquidität und des mangelnden Wettbewerbs auf jeden Fall ineffizient. Eine enge Koordination mit den Nachbarn wäre daher fast zwingend.
6. Beschränktes Ertragspotenzial für die Wasserkraft
Um herauszufinden, wie sich Kapazitätsmärkte auf die Erträge einzelner Stromproduzenten auswirken, gilt es einige grundsätzliche Überlegungen zu berücksichtigen. Erstens sind Kapazitätsmärkte kein Substitut, sondern ein Komplement für den Energiehandel an der Strombörse. Das heisst, einen Grossteil ihres Ertrages generieren die Kraftwerke weiterhin über den Verkauf der Energie im Grosshandel. Zweitens würde bei einem marktnahen Kapazitätsmechanismus nur dann ein positiver Preis für die Vorhaltung von Kraftwerksleistung resultieren, wenn sich in den nächsten Jahren ein Kraftwerksmangelabzeichnet. Drittens würden sich allfällige Zahlungen aus einem Kapazitätsmechanismus an den fehlenden Deckungsbeiträgen von selten eingesetzten Spitzenlastkraftwerken orientieren. Üblicherweise sind dies Kraftwerke mit tiefen fixen und hohen variablen Kosten, z.B. Gasturbinenkraftwerke. Kraftwerke mit einem hohen Investitionsanteil eignen sich dagegen aus ökonomischer Sicht kaum als Backup- Technologie. Ihre Kosten würden unabhängig von ihrem (seltenen) Einsatz anfallen eine explizite Förderung ist daher ausgesprochen teuer. Viertens werden allfällige Zahlungen aus den Kapazitätsmechanismen häufig an die tatsächliche Verfügbarkeit oder Produktion gebunden. Damit soll sichergestellt werden, dass nur jene Kraftwerke profitieren, die während den potenziellen Knappheitssituationen am Netz sind und über eine gewisse Dauer produzieren können. Für die Betreiber von (Schweizer) Wasserkraftwerken sind dies nicht in jedem Fall die besten Voraussetzungen. Erstens dürfte das Kraftwerksüberangebot in Europa noch eine Weile anhalten darauf hin weisen jedenfalls die Preise am Terminmarkt. Zweitens sind die Kosten von Wasserkraftwerken durch hohe fixe Investitionskosten geprägt. Anhaltend tiefe Preise für Gas, Kohle und CO2-Zertifikate schmälern weiterhin das Ertragspotenzial der Wasserkraft im herkömmlichen Energiemarkt. Drittens wird der Wert der Wasserkraft auf den Kapazitätsmärkten durch ihre begrenzte Verfügbarkeit im Winter eingeschränkt (vgl. Bild 2). Mittelfristig dürften in Europa (inklusive der Schweiz) vor allem während kalten Wintermonaten und zeitgleichen Perioden mit wenig Wind Knappheitssituationen auftreten. Kapazitätsmechanismen müssten diesen Umstand adressieren und vor allem jene Kraftwerke fördern, die zur Entlastung beitragen. Profitieren werden daher eher fossil betriebene Anlagen als Wasserkraftwerke.
Während Wasserkraftwerke ganz allgemein nur beschränkt von Kapazitätsmechanismen profitieren, könnten Pumpspeicherwerke im Speziellen sogar negativ betroffen sein. Ihre Wirtschaftlichkeit bemisst sich weniger an der absoluten Höhe der Marktpreise, sondern hat vor allem mit den Preisvolatilitäten bzw. den Preisunterschieden zwischen Peak-Load und Off-Peak zu tun. Kapazitätsmärkte tendieren jedoch dazu, Preisvolatilität aus dem Energiemarkt zu nehmen, indem sie Knappheitspreise während Nachfrage spitzen verhindern. Die Einführung einer parallelen, expliziten Preisobergrenzenregulierung würde die Ertragssituation von Pumpspeichern zusätzlich schwächen. Allgemein gilt, dass Kapazitätsmechanismen Investitionsanreize in Speichertechnologien und die Flexibilisierung der Nachfrage schwächen. Wie andere Kraftwerke auch, könnten Pumpspeicherwerke umgekehrt von allfälligen Zahlungen aus den Kapazitätsmechanismen profitieren. Dabei aber müsste ihre tatsächlich Verfügbarkeit berücksichtigt werden. Vor allem Pumpspeicherwerke mit geringem Speichervolumen könnten wohl nur Schweizeinen Teil ihrer maximalen Leistung im Rahmen eines Kapazitätsmarktes anbieten. Schliesslich wären sie nicht fähig, ihre volle Erzeugungskapazität während mehrerer Tage oder gar Wochen aufrechtzuerhalten. Pumpspeicherwerke werden daher wohl auch in Zukunft eher vom Angebot im Markt für Systemdienstleistung profitieren als von allfälligen Zahlungen aus einem Kapazitätsmarkt – ein solcher könnte sich, netto sogar negativ auf die Erträge auswirken.
Aus einer schweizerischen Optik stellt sich ausserdem die Frage, ob inländische Wasserkraftwerke an allfälligen Kapazitätsmechanismen im benachbarten Ausland teilnehmen könnten. Vor allem dann, wenn in der Schweiz kein solcher Mechanismus installiert ist und gleichzeitigs die Erträge aus dem Energiemarkt abnehmen, dürfen die Anreize gross sein, Kraftwerkskapazitäten grenzüberschreitend zu vermarkten. Mindestens theoretisch ist es denkbar, dass ihnen ein solcher Marktzugang gewährt wird. Allerdings bestehen relevante technische Barrieren. Einerseits müssten allfällige Beschränkungen im Zusammenhang mit den saisonal unterschiedlich knappen Kapazitäten im grenzüberschreitenden Übertragungsnetz (NTC) berücksichtigt werden. Andererseits muss davn ausgegangen werden, dass schweizerische Kraftwerke, die an ausländischen Kapazitätsmärkten teilnehmen, dazu verplichtet werden, ihre Verfügbarkeit an den Knappheitssituationen im Ausland auszurichten. Besonders kritishc wäre das im Zusammenhang mit der Speicherbewirtschaftung. DSies könnte wiederum die Systemstabilität in der Schweiz gefährden – weshalb eine Intervention des inländischen Systemoperators nötig werden könnte. Und schliesslich dürfte ein grenzüberschreitendes Angebot in einem Kapazitätsmarkt den Avschluss eines bilateralen Energieabkommen Schweiz-EU voraussetzen.
Dieser Artikel erschien in der Fachzeitschrift «Wasser Energie Luft» des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbands vom Dezember 2013. Mit freundlicher Genehmigung der Fachzeitschrift «Wasser Energie Luft».