Oft lacht er, bevor er spricht. Was kein Ausdruck von Verlegenheit ist, dafür klingt es zu herzhaft, eher Anzeichen seiner inneren Befindlichkeit. Die steht bei ihm derzeit konstant auf «heiter bis sonnig». Peter Grünenfelder ist angekommen.

Seit nicht einmal hundert Tagen sitzt er auf dem Direktorensessel des Thinktanks Avenir Suisse. In diesem akademisch geprägten Biotop am Schnittpunkt von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft scheint er sich pudelwohl zu fühlen – wie einer, der seine neue Spielwiese abgeschritten und sie für passend befunden hat.

Fast drei Legislaturperioden lang war er als Staatsschreiber, wie er sagt, der «oberste Verwaltungsmanager» des Kantons Aargau oder, wie die «Aargauer Zeitung» meint, «der sechste Regierungsrat». In jedem Fall war er zwölf Jahre lang ein loyaler Staatsbeamter. Bei Avenir Suisse arbeitet er nun für über hundert Firmen von ABB bis Zurich Versicherung und steht einer Organisation vor, die sich unabhängig nennt, von linken Ideologen aber nie ohne das Etikett «neoliberal» genannt wird.

Grünenfelder quittiert solche Wortklaubereien mit Lachen. Dann erzählt er, wie sein Vater als Regionaldirektor Zürich-Zürichsee der Kreditanstalt am Limmatquai seinen Arbeitsplatz im Schatten des Rathauses hatte, und wie Küsnacht am See, wo die Familie lebte, eine FDP-Hochburg war.

Das Politische, das beim alten Freisinn oft mit dem Pragmatischen übereinstimmte, ist in diesem Leben stets präsent gewesen. Das Ideologische nicht so. Grünenfelder ist der dritte Direktor in der Geschichte der Denkfabrik. Die Wahl von Gründungs-Direktor Thomas Held folgte taktischen Motiven: Ein Ex-Linker, später Unternehmensberater, der für die bürgerliche Schweiz das KKL Luzern realisiert hat, sollte der neuen Organisation ein Gesicht geben. Direktor Nummer zwei, Ex-NZZ-Wirtschaftschef Gerhard Schwarz, bedeutete die Verankerung der Denkfabrik auf ordoliberalem Fundament.

Nun also Grünenfelder, der einst unter dem New-Public-Management-Guru Ernst Buschor wirkte, im neuseeländischen Christchurch zehn Monate lang «die bestgeführte Stadt der Welt studiert» und schliesslich im Aargau sein Gesellenstück geliefert hat. Durch das Staatsschreiberamt waren die Headhunter von Egon Zehnder auf ihn aufmerksam geworden. Sie gehören dem Avenir-Suisse-Förderkreis an und waren mit der Neubesetzung beauftragt.

Im kantonalen Raum hat Grünenfelder vorexerziert, worum es nun bei Avenir Suisse im nationalen Kontext geht. Der Aargau, sagt er, habe seine landwirtschaftliche und industrielle Vergangenheit hinter sich gelassen und sei heute «auf der Zielgeraden zum Top-Hightech-Kanton»; dabei arbeite die Verwaltung nach Leistungsvorgaben, «die aus privatwirtschaftlicher Optik definiert sind»; dies alles folge dem «Steuergeldansatz», nach dem der Einsatz öffentlicher Gelder möglichst hohe Wirkung auslösen soll. Eine Maxime, die in höchstem Masse pragmatisch ist. Neoliberal klingt jedenfalls anders.

Peter Grünenfelder zückt an diesem zweitletzten Tag im Juni, seinem 90. als Avenir-Suisse-Direktor, ein Papier. Darin hat er festgehalten, wie er das im Kanton Erfahrene nun breiter anwenden, auf die gesamte Eidgenossenschaft übertragen will. Er braucht dafür nur ein einziges Blatt.

Zuoberst steht als zentrale Handlungsanweisung: «Fokussierung auf die Prosperitätstreiber der Schweiz.» Auch das tönt pragmatisch, ist aber eine Revolution, ein Programm gegen «national-restaurative und links-konservative Kräfte», deren Wirken laut Grünenfelder nicht selten zur Blockade des grossen Ganzen führt. Prominentestes Beispiel: das sich anbahnende Freihandelsabkommen zwischen EU und USA, bei dem die Schweiz abseits steht. Der Bundesrat hatte 2006 Verhandlungen abgelehnt. Unter anderem, weil die grössten Subventionsempfänger im Land massiven Widerstand angekündigt hatten. In Grünenfelders Optik aber bedeutet Freihandel Prosperität für die Schweiz; strukturerhaltende Subventionen sind für ihn das Gegenteil: verkehrte Welt. Deshalb kommen die Bauern in seinem Programm nicht vor.

So entpuppt sich das Pragmatische eben doch als politisch. Im Kleinen hat Grünenfelder bereits getestet, welches Echo sein Programm auslösen könnte. Im Interview mit der NZZ geisselte er die Zürcher Kantonsregierung als selbstzufrieden. Die Schweizer Aussenpolitik: zu schwach. Der Arbeitsmarkt: zu bürokratisch. Der Finanzplatz: politisch zu wenig unterstützt. Die Digitalisierung: zu weit unten auf der politischen Agenda. Die Reaktionen liessen nicht auf sich warten: «Der hat noch nie einen Bleistift verkauft», griff ihn ein Kantonsrat an, «Wachstumsapostel», schäumte ein Leserbriefschreiber, «der könnte mit seiner Antreibermentalität genauso gut Trainer einer Fussballmannschaft sein.» Vielleicht braucht das in die Jahre gekommene Team Schweiz genau so einen.

Dieser Text ist am 3. Juli 2016 im Sonntagsblick erschienen.