«20 Minuten»: Frau Vogt, Sie sind 29. Denken Sie schon an Ihre Pensionierung?

Salomè Vogt: Der Zeitpunkt scheint weit weg, aber in Anbetracht der bevorstehenden Abstimmung über die Altersvorsorge muss man sich zwangsläufig damit beschäftigen. Es geht um sehr viel.

Wie werden Sie im September abstimmen und warum?

Die Alterung der Bevölkerung, die Lage an den Finanzmärkten, die Pensionierung der Babyboomer-Generation machen es nötig, dass wir das System umkrempeln. Eine Reform sollte dafür sorgen, dass alle ein sicheres Einkommen haben, wenn sie in Rente gehen – meine Generation inklusive. Bei aller Solidarität gegenüber den Älteren: Wir können es uns in dieser Situation schlicht nicht leisten, die AHV noch wie geplant auszubauen. Auch wenn Avenir Jeunesse keine Abstimmungsempfehlung herausgibt: Bei einem Nein ist der Druck da, eine weitsichtigere Reform zu machen, die auch die Anliegen der Jungen besser berücksichtigt.

Ist es eine unfaire Reform?

Die Reform sichert die Renten für das kommende Jahrzehnt. Und dann? Ich als junge Frau weiss nicht, was mit meiner Rente passieren wird. Die Reform bedeutet weiterhin Ungewissheit für die junge Generation, da es sich nur um eine Übergangslösung handelt. Es wäre schön, zu wissen, dass ich irgendwann auch etwas zurückbekomme. Die Reform löst die strukturellen Probleme der Altersvorsorge nicht. Es braucht bessere Lösungen, die der Alterung der Bevölkerung und dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung tragen.

Was schlagen Sie vor?

Eigentlich ist es schön: Wir werden immer älter. Mit knapp 30 ist man immer noch jung. Dass Politiker darüber streiten, ob das Pensionsalter erhöht wird oder der Umwandlungssatz bei der Pensionskasse gesenkt wird, ist unnötig. Denn es ist logisch, dass wir länger arbeiten müssen. Das Referenzalter sollte darum automatisch mit der Lebenserwartung steigen. Genauso sollte der Umwandlungssatz bei der 2. Säule an die Lebenserwartung und das aktuelle Zinsniveau gekoppelt sein.

Bei den Aussichten auf eine eigene Rente kommt bei der jungen Generation keine Feierstimmung mehr auf. (Quelle: Fotolia)

Wie lange würden Sie denn arbeiten?

Ich werde sicher länger als bis 65 arbeiten müssen. Darauf bin ich bereits eingestellt – ganz ehrlich. Der Stellenwert der Arbeit ist in der Schweiz besonders gross. Ich kann mir gut vorstellen, dass viele auch länger sinnstiftende Aufgaben erledigen wollen. Was macht man sonst noch 30 Jahre lang?

Ein Büezer kann gar nicht so lange arbeiten.

Wichtig ist, dass die Pension flexibel ist, je nach Gesundheitszustand. Es wird weiterhin bestimmte Tätigkeiten geben, bei denen eine frühere Pension legitim ist.

Viele Stimmbürger sind älter – diese werden kaum für ein höhres Rentenalter stimmen.

Da sage ich: Junge, studiert die Unterlagen und geht an die Urnen. Ich hoffe, die ältere Generation wird an die Enkel denken. Wir sollten aber die Generationen nicht gegeneinander ausspielen, es müssen einfach alle ihren Beitrag leisten.

Für Bundesrat Alain Berset ist die Reform der Altersvorsorge dringend notwendig. In der beruflichen Vorsorge finde wegen der tiefen Renditen eine «unglaubliche, schlechte, illegale Umverteilung» zwischen der aktiven Generation und den Rentnern statt. Das belaste insbesondere die jüngere Generation. Wie sehen Sie das?

Die Idee bei der 2. Säule ist das Kapitaldeckungsverfahren: Während der Erwerbszeit wird Geld für die eigene Pension angespart und angelegt. Die Rentner sollten ihr eigenes Altersguthaben nicht überziehen. Das gelingt wegen der Situation an den Kapitalmärkten und der steigenden Lebenserwartungen nicht mehr. Die letzten fünf Lebensjahre müssen die Pensionskassen auf Kosten der Aktiven bezahlen. Dies widerspricht dem Sinn und Geist der beruflichen Vorsorge. Angesichts dieses Systemfehlers sollte der Umwandlungssatz entpolitisiert, sprich automatisch an die steigende Lebenserwartung angepasst werden – dem würde Herr Bundesrat Berset aber kaum zustimmen.

Warum hört man kaum Junge bei der Debatte der Altersreform? Sind die Generationen Y und Z unpolitisch?

Nein, denn viele Themen, mit denen sich auch Junge auseinandersetzen, sind in irgendeiner Form politisch. Ohnehin nerven mich die Zuschreibungen, mit denen man Junge heute versieht. Die Rede ist von der «Generation Praktikum» oder der «Generation Maybe». Man kann doch nicht alle in einen Topf werfen. Klar ist, dass sich meine Generation vielen Herausforderungen gegenübersieht – von der Digitalisierung bis zu neuen Arbeitsformen. Solche Dinge betreffen Junge vielleicht unmittelbarer als die Rentenreform. Man kann sich auch nicht für alles gleich stark interessieren.

In einem Beitrag im «Schweizer Monat» schrieben Sie, dass es kein Zufall ist, dass etwa Emmanuel Macron oder die Operation Libero Jüngere erreichen. Warum?

Macron oder die Operation Libero in der Schweiz zeigen, dass sich viele Junge durch die traditionellen Parteien nur schlecht vertreten fühlen. Die Fragen sind heute so komplex, dass selten nur eine Partei die richtige Antwort hat. Viele Themen können parteiübergreifend angegangen werden – ohne dass man sich einer Parteidoktrin unterwerfen müsste.

Dieser Beitrag ist am 11. Juli 2017 in der Printausgabe von «20Minuten» und online erschienen.