In der Regel geben die Angelsachsen den Ton an, wenn es um Wirtschaftskonzepte geht. Ein zentraler Begriff aus der Ökonomie ist jedoch kaum vom Deutschen ins Englische zu übersetzen: der «Mitnahmeeffekt». Das ist überraschend. Denn damit wird etwas beschrieben, was für die Beurteilung guter Wirtschaftspolitik essenziell ist. Um was geht es?

Staatliche Begünstigungen wie etwa Subventionen verfolgen in der Regel ein übergeordnetes politisches Ziel. Der Mitnahmeeffekt beschreibt jenen Teil der Begünstigung, der von Privaten «mitgenommen» wird, ohne damit dem eigentlichen Ziel näher zu kommen – es wird etwas gefördert, was auch ohne Förderung erreicht würde. Was abstrakt klingt, kann gut anhand von drei aktuellen Beispielen illustriert werden: der Tourismuspolitik, der Energiewende sowie der Altersvorsorge.

Zuerst zum Tourismus. Hier werden über das Programm «Neue Regionalpolitik» (NRP) vergünstigte Darlehen gesprochen, so beispielsweise für einen Hotelausbau in St. Moritz oder den Bau einer Jugendherberge mit Wellnessbereich in Laax. Viele solcher Bergbahn- und Hotellerieprojekte wären auch ohne Förderung umgesetzt worden. So schätzt die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) die Mitnahmeeffekte auf rund 40 Prozent – zwei von fünf Steuerfranken fliessen also ohne zusätzliche Wirkung in die Taschen von Privaten.

Hunderternote, Zehnernote, Franken-Münzen (Mitnahmeeffekt)

Schlechte Wirtschaftspolitik fördert Dinge, die auch ohne Förderung erreicht würden. (Adobe Stock)

Auch bei der Energiepolitik sind solche Ineffizienzen an der Tagesordnung. Die Schweiz leistet sich seit langem ein suboptimales Förderwesen im Bereich der Erneuerbaren. Dabei werden unter anderem viele Photovoltaikanlagen subventioniert, die so oder so erstellt worden wären. Die EFK hat auch hier die Mitnahmeeffekte geschätzt und beziffert diese auf rund 50 Prozent. Somit bringt uns jeder zweite Franken dieser Subventionen nicht näher zum Ziel der Klimaneutralität.

Schliesslich stimmt der Schweizer Souverän demnächst über eine 13. AHV-Rente ab. Das Initiativkomitee schreibt dazu unter anderem: «Die Rente reicht nicht mehr.» In der Tat reicht die Rente für gewisse Personen nicht mehr, 12 Prozent der AHV-Rentner erhalten etwa Ergänzungsleistungen (EL). Eine 13. AHV-Rente verbessert aber nicht gezielt ihre Situation, sondern die aller Rentner. Bei der Verfolgung dieses sozialpolitischen Ziels sind die Mitnahmeeffekte der Vorlage entsprechend hoch.

Weshalb entscheidet sich die Politik überhaupt für Massnahmen mit Mitnahmeeffekten? Einerseits sind Mitnahmeeffekte manchmal nicht zu vermeiden, da das Ausmerzen von ihnen mit hohen Kosten verbunden wäre. Andererseits gilt auch: Volkswirtschaftlich sind Mitnahmeeffekte zwar nicht erwünscht, im politischen Tagesgeschäft aber durchaus. Ohne diese Effekte stellt eine Subvention niemanden privat besser, denn es würde ja nur gerade der Zusatzaufwand für die Erreichung des gesetzten Ziels entschädigt werden. Die eigene Klientel kann so nicht optimal bedient werden.

Dass dieser Faktor relevant ist, zeigen die erwähnten Beispiele. Hier wäre eine bessere Wirtschaftspolitik mit geringeren Mitnahmeeffekten möglich. So gilt es, der Altersarmut mit gezielter Subjekthilfe zu begegnen, etwa über das Instrument der EL. Langfristig sollte zudem das Problem an der Wurzel gepackt werden: Ein grosser Teil der Personen, die nach der Pensionierung Unterstützung brauchen, war schon davor unterstützungsbedürftig. Entsprechend würde eine umsichtige Wirtschaftspolitik bei den Armutsrisiken im Erwerbsleben ansetzen.

Bei der Energiewende ist wiederum seit langem bekannt: Ideal ist eine CO2-Lenkungsabgabe mit einer Pro-Kopf-Rückverteilung an die Bevölkerung. In der Regel korreliert Wohlstand mit dem CO2-Ausstoss, weshalb eine solche Lenkungsabgabe auch sozialpolitisch vorteilhaft ist. Zudem erreicht eine Lenkungsabgabe das klimapolitische Ziel effizient. Leider dürfte genau das mit ein Grund sein, weshalb sie politisch chancenlos ist: Partikularinteressen lassen sich damit nur schwer bedienen.

Das bringt uns schliesslich zum Tourismus. Dass diese Kolumne sich dem Ende nähert, ist hier kein Problem, denn die Antwort ist rasch gegeben: Es braucht keine Subventionen. Weshalb soll der Ausbau eines Hotels mit öffentlichen Geldern alimentiert werden, der Ausbau einer Bäckerei aber nicht? Es gibt schlicht keinen Grund, die Wirtschaft in der Breite zu subventionieren.

Das heisst, einen Grund gibt es: das politische Tagesgeschäft. Dort gilt es also, die Partikularinteressen im Zaum zu halten. Dafür werden Mitnahmeeffekte mit Vorteil transparent gemacht und thematisiert. Denn wo diese gebilligt werden, wird kein hehres politisches Ziel gefördert, sondern der Klientelismus – und ein solcher untergräbt über kurz oder lang das Erfolgsmodell Schweiz.

Dieser Beitrag ist am 28. Januar 2024 als Kolumne in der «NZZ am Sonntag» erschienen.