Die Invasion in die Ukraine erschüttert nicht nur die europäische, sondern die globale Nachkriegsordnung. Nach mutmasslich massivsten Menschenrechtsverletzungen durch russisches Militär besteht seit neustem sogar die Gefahr bewusst provozierter Hungersnöte, um Migrationsströme als Mittel der Kriegsführung gegen den Westen einzusetzen.

Weitere geopolitische Verwerfungen drohen durch die sich akzentuierende Rivalität zwischen den Grossmächten USA und China. Angesichts der ausgeprägten globalen Verflechtung unserer Volkswirtschaft erweist es sich als diplomatisches Kunststück, nicht im Kräftemessen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Reich der Mitte aufgerieben zu werden. Gerade der Ukraine-Krieg hat gezeigt, wie wichtig eine Vorbereitung von Regierung und Verwaltung zu Neutralitäts-, Sicherheits- und Wirtschaftssanktionsfragen ist.

Politik im strategischen Vakuum

Mit der inoffiziellen Doktrin des Durchwurstelns zwischen den Machtblöcken, aber auch in der Europapolitik ist die offizielle Schweiz jahrzehntelang gut gefahren. Heikle Fragen mussten damit nicht immer gleich beantwortet werden. Wird man aber von exogenen Ereignissen unter zeitlichen Zugzwang gesetzt, zeigt sich schnell das strategische Vakuum einer solchen Politik. Die Bundespolitik wirkte überrascht und unvorbereitet. Dass die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nicht im aussenpolitischen Blindflug unterwegs sein wollen, haben sie am vergangenen Wochenende mit einem glasklaren Ja zu Frontex bewiesen.

Die globale Verflechtung unserer Volkswirtschaft erfordert eine klare Positionierung im Kräftemessen zwischen den Machtblöcken. (Jean Wimmerlin, Unsplash)

Nachdem Avenir Suisse im Frühjahr 2022 – wenige Wochen nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs – eine Studie zu den Perspektiven zur Schweizer Sicherheitspolitik vorgelegt hat, werden wir in Ende dieses Monats eine Publikation präsentieren, in der die strategische Handlungsoptionen unseres Landes im Umgang mit der Volksrepublik China diskutiert werden.

Dabei wird sich zeigen, dass die Schweiz nicht isoliert auf «Peking» fokussieren kann. Trotz der wirtschaftlichen Aufholjagd Chinas in den letzten Jahrzehnten bleiben die EU und die USA wirtschaftlich, politisch und kulturell die wichtigsten Bezugspunkte der Schweizer Aussen- und Wirtschaftspolitik. Die ökonomischen Verflechtungen sind hier deutlich grösser als mit China – von den kulturellen und gesellschaftlichen Verbindungen ganz zu schweigen. Die wirtschaftliche Aufholjagd Chinas in den letzten Jahrzehnten mag noch so eindrücklich sein. Der vom Westen erhoffte «Wandel durch Handel» hat sich trotz starkem Wohlstandszuwachs im bevölkerungsreichsten Land der Erde nicht bewahrheitet; der Systemwettbewerb zwischen den USA und China bleibt Realität – und kann weiter zunehmen.

Balancieren auf einem schmalen Grat

Das autoritär regierte China steht nicht nur aufgrund aggressiver wirtschaftspolitischer Expansion, sondern zunehmend auch aufgrund fehlender Rechtsstaatlichkeit, rigider Verhinderung von Meinungsfreiheit und repressiven Vorgehens gegenüber Minderheiten und Demokratiebewegungen in der Kritik. Unser Land balanciert auf einem schmalen Grat zwischen der Einbindung in die westliche Welt und der Sicherung des Marktzugangs zum drittwichtigsten Partner China.

Diese Zielkonflikte bewältigt die Schweiz am besten, indem sie global das Netzwerk an Handelsbeziehungen weiter vertieft und Freihandelsabkommen gerade auch mit den USA oder Australien anstreben sollte, mit denen uns eine demokratische Wertebasis verbindet. Damit wird die Resilienz der einheimischen Volkswirtschaft gestärkt. Zielkonflikte müssen bewusster angesprochen und mögliche Entwicklungen rechtzeitig vorbereitet werden. Wir dürfen uns nicht mehr kalt erwischen lassen wie im Ukrainekrieg.

Man muss die Welt nicht vollends verstehen, man muss sich nur darin zurechtfinden, hat sinngemäss einst Albert Einstein formuliert. Das gilt insbesondere für die Schweizer China-Politik.