Diesen Freitag sind die Frauen zum Streik aufgerufen. Zum zweiten Mal seit 28 Jahren findet der nationale Frauenstreik mit Protesten und Aktionen in zahlreichen Schweizer Städten statt. Damals streikten die Frauen für die Umsetzung des Gleichstellungsartikels, der seit 1981 in der Verfassung verankert ist. In der Zwischenzeit hat sich in der Schweiz in Sachen Gleichstellung zum Glück einiges getan. So sind heute Frauen besser in der Politik und Wirtschaft vertreten als noch vor 28 Jahren. Dennoch gibt es weiterhin einiges an Verbesserungspotenzial im Hinblick auf die Chancengleichheit.  Diskussionspotenzial liefern vor allem der tiefere Frauenanteil in Führungspositionen von Unternehmen, strukturell unterschiedliche Erwerbsbiografien zwischen Männern und Frauen zumeist ab dem Zeitpunkt der Familiengründung, gesellschaftlich-kulturelle Vorurteile oder die Diskussion um Lohnunterschiede. Die Forderungen von heute ähneln sich denen von 1991: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Chancengleichheit.

Federführend in der Organisation des Frauenstreiks ist der Verband Personal öffentlicher Dienste VPOD und der Schweizerische Gewerkschaftsbund SGB. Der VPOD nennt in dem Schreiben «10 Gründe warum wir streiken» neben den oben beschriebenen Forderungen weitere konkrete Streikgründe: Mehr finanzielle Unterstützung für den Service Public, kürzere Arbeitszeiten und höhere Renten bei gleichbleibendem Rentenalter. Zwar können diese Forderungen im weiteren Sinne mit der Gleichstellung in Verbindung gebracht werden, vor allem aber handelt es sich um gängige politische Anliegen aus dem linken politischen Lager. Ähnlich sind auch die Streikforderungen der SP, die unter anderem eine gratis KiTa für alle fordert oder höhere Löhne für Frauenberufe.

Diese Durchmischung bringt liberal gesinnte Frauen in einen Zwiespalt. In Gesprächen zeigt sich schnell: Gleichstellung liegt allen am Herzen, doch dem bunten Strauss an politischen Forderungen, die besonders dem linken Spektrum nahestehen, ist man skeptisch gegenüber. Unter den Parteien der bürgerlichen Frauen herrscht denn auch Uneinigkeit, wenn es um die Teilnahme am Frauenstreik geht. Die FDP-Frauen lehnen den Streik ab, sie stören sich insbesondere am Begriff «Streik» und betiteln den 14. Juni als Aktionstag. Anstatt für den Streik aufzurufen lancierten sie eine Gleichstellungskampagne mit Plakaten, um mit Vorurteilen gegenüber Frauen in der Wirtschaft aufzuräumen. Auch die CVP-Frauen rufen nicht zum nationalen Streik auf, sondern überlassen den Kantonalsektionen den Tag für die individuelle Ausgestaltung, obwohl gerade in Kirchenkreisen den Frauen nicht dieselben Rechte zustehen wie den Männern. Der katholische und evangelische Frauenverband hingegen spricht sich für den Streiktag aus. Ähnlich ist die Situation bei den Bäuerinnen und Landfrauen, die sich zum Streik bekennen, wohingegen die SVP keinen Bedarf sieht, die Gleichstellung zu verbessern und den Streik ablehnt.

Daraus ergibt sich ein selbstverstärkender Effekt: Durch die Fokussierung von Gleichstellungsfragen auf Anliegen der politisch Linken tendieren bürgerliche Frauen dazu, sich vom Frauenstreik abzuwenden. Die Bewegung wird dadurch noch homogener, was den Effekt zusätzlich verstärkt. Im Worst-Case-Szenario geht die Kernaussage, nämlich die gelebte Gleichstellung, zwischen den politischen Grabenkämpfen unter. Damit droht die Gleichstellungsthematik einem politischen Lager zugeordnet zu werden, was der der Tragweite und Glaubwürdigkeit des Themas schadet.

Männer bitte ruhig hintanstellen? In der Gleichstellung sind beide Geschlechter gefragt

Andere wiederum, die potenziell am Streik teilnehmen möchten, werden nicht sonderlich willkommen geheissen. Männern ist die Teilnahme am Frauenstreik zwar nicht untersagt, geduldet werden sie aber nur am Ende des Streikzugs, und das möglichst ruhig. Paradox: Eine Bewegung, die sich gegen die Diskriminierung und Bevormundung der Frauen stark macht, schreibt für eben diesen Anlass den Männern vor, wie sie sich zu verhalten haben. Dadurch entsteht ein weiterer Nebeneffekt: Da Männer von den Streikorganisatoren gezielt nicht angesprochen werden, droht unter ihnen das Bewusstsein für den anstehenden Frauenstreik und die Anliegen der Streikenden geringer auszufallen.

Die Gleichstellung in der Schweiz ist noch nicht in allen Bereichen vorhanden. Dem Frauenstreik kommt dabei eine relevante Funktion zu, indem Aufmerksamkeit geschaffen wird. Das Thema Gleichstellung ist sehr facettenreich und reicht von der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie über die Gewalt gegen Frauen bis zu den beruflichen Aufstiegschancen und gesellschaftlichen Vorurteilen. Dementsprechend vielfältig sind die Frauen, ihre politischen Hintergründe und konkreten Forderungen, um die gelebte Gleichstellung umzusetzen. Deshalb sollte der 14. Juni, ob man ihn Frauenstreik oder Aktionstag nennen will, möglichst losgelöst von Parteipolitik stattfinden und Platz für die Anliegen sämtlicher Frauen bieten. Dies bedingt andererseits auch, dass Frauen mit unterschiedlichen politischen Positionen daran teilnehmen.

Schlussendlich geht die Umsetzung der Gleichstellung auch nach dem 14. Juni weiter. Dabei liegt es an jedem Einzelnen von uns, verstaubte Rollenbilder in der Vergangenheit zu lassen und jedermann bzw. jederfrau die Möglichkeiten zur freien Entfaltung zu bieten, ohne dass Abhängigkeiten entstehen oder Erwerbsbiografien strukturell anders ausfallen. Dies kann nicht einseitig erreicht werden, sondern bedingt die Zusammenarbeit von Frauen wie auch Männern. Schliesslich geht die Gleichstellung uns alle an.

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