Gleichstellung bewegt. Am 14. Juni 2019 werden die Frauen in der Schweiz zu einem erneuten Protesttag aufgerufen. Viele der Forderungen sind ähnlich wie beim ersten Frauenstreik 1991. Hat sich denn in Bezug auf Gleichstellung in den vergangenen drei Jahrzehnten nichts verändert? In unserer Publikation fassen wir die Entwicklung der Gleichstellung seit 1991 auf dem Arbeitsmarkt, in der Familie und in der Politik kurz zusammen. Wir zeigen, wo ein Fortschritt stattgefunden hat – und wo nicht.

Unser Fazit: Bei diesem Thema wurde einiges erreicht, es gibt aber noch Luft nach oben.Die letzten Jahrzehnte waren durch eine erhöhte Partizipation der Frauen in der (bislang von Männern dominierten) Arbeitswelt und in der Politik charakterisiert. Ein entsprechendes, stärkeres Engagement der Männer zugunsten der Familien- und Hausarbeit stellt man jedoch nicht im gleichen Umfang fest. Vielmehr wurde die unbezahlte Familien- und Hausarbeit zugunsten der bezahlten Arbeit substituiert.

Diesen Trend gilt es zu unterstützen. Frauen könnten in ihren beruflichen Ambitionen am besten unterstützt werden, wenn es gelänge, jene Hürden aus dem Weg zu schaffen, die einem stärkeren beruflichen Engagement entgegenstehen. Dazu stellt der Übergang zur Individualbesteuerung wohl die effektivste Massnahme dar, zusammen mit einer Erweiterung des Betreuungsangebots, flexiblen Arbeitszeitmodellen und der Einrichtung eines Elternurlaubs.

Gleichstellung ist ein Thema, das alle etwas angeht und bei dem jeder mitreden kann. Der mitunter emotionalen Diskussion soll eine datenbasierte Analyse gegenübergestellt werden. Man kann beim Thema Gleichstellung durchaus eine optimistische Sichtweise einnehmen, ohne gleichzeitig die Notwendigkeit von weiteren politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen herunterzuspielen.

«Wenn Frau will, steht alles still!», unter diesem Motto beteiligten sich vor 28 Jahren Hunderttausende Frauen in der ganzen Schweiz an verschiedenen Streik- und Protestaktionen. Sie forderten die Umsetzung des Gleichstellungsartikels, der seit 1981 in der Verfassung verankert ist. Am 14. Juni 2019 werden die Frauen in der Schweiz zu einem erneuten Streik aufgerufen. Viele der Forderungen sind ähnlich. Dies wirft die Frage auf, ob sich denn in Bezug auf Gleichstellung in den vergangenen drei Jahrzehnten nichts verändert hat?

Die gute Nachricht vorweg: Es hat sich bereits einiges getan. Dank all den Frauen und Männern, die sich auf politischer oder gesellschaftlicher Ebene für die Gleichstellung einsetzen oder diese im Alltag leben, ist die Schweiz heute im Thema Gleichstellung weiter als 1991. Es gibt jedoch noch deutliches Verbesserungspotenzial. Mit vorliegender Analyse wird die Entwicklung der Stellung der Frau seit 1991 nachgezeichnet, und es werden liberale Konzeptionen zur künftigen Weiterentwicklung der Gleichstellung in der Schweiz aufgezeigt.

Frauenrechte in der Schweiz: kein Vorzeigebeispiel

Die Schweiz kann sich für vieles rühmen: schöne Berge, guter Käse, tolle Lebensqualität. Doch bei Frauenrechten hatte sie bis jetzt keine Vorreiterrolle. Als eines der letzten europäischen Länder führte die Schweiz 1971 das Frauenstimmrecht auf nationaler Ebene ein. Erst 1990 durften auch die Frauen in Appenzell Innerrhoden auf kantonaler Ebene mitbestimmen – aufgrund eines Bundesgerichtsbeschlusses, nicht etwa, weil die Männer ihnen das Wahlrecht zugestanden hätten (EKF 2009a).

Auch bei anderen Frauenrechten gilt die Schweiz nicht als Vorzeigeland:

  • Gleichstellung in der Verfassung: Seit 1981 steht in der Schweizer Verfassung (Artikel 8, Absatz 3): «Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.» Mit diesem Verfassungsartikel ist die rechtlicheGleichstellung aber noch nicht gewährleistet. Erst 1996 trat ein Gesetz in Kraft, das die Gleichstellung der Geschlechter im Erwerbsleben regelte (EKF 2009b).
  • Gleichstellung im Eherecht: Frauen sind in der Ehe seit 1988 gleichgestellt. Vor der Revision des Familienrechts galt der Ehemann als Familienoberhaupt. Er entschied nicht nur über den Wohnsitz und die Verwaltung des Vermögens, sondern auch darüber, ob seine Ehefrau arbeiten durfte oder sich ausschliesslich um Haushalt und Kinder zu kümmern hatte (EKF 2009c).
  • Mutterschaftsversicherung: Schwangere Frauen und Mütter genossen zwar in der Schweiz ab 1877 als erstem Land Europas gesetzlichen Schutz. Jedoch erhielten sie keine Entschädigung für das ihnen auferlegte mehrwöchige Arbeitsverbot, womit ihnen teilweise mehr geschadet als geholfen war. Während sich in den folgenden Jahrzehnten in den umliegenden Ländern verschiedene Versicherungslösungen etablierten, brauchte die Schweiz nahezu 20 Anläufe auf Bundesebene, bis 2005 schliesslich die Mutterschaftsversicherung in Kraft treten konnte (Parlamentsdienste 2019).

Fazit: Zwar hat sich in der Schweiz in Bezug auf Frauenrechte einiges verbessert. Was junge Frauen und Männer heute als selbstverständlich erleben, hatten sich die Frauen zum Zeitpunkt des letzten Frauenstreiks gerade erst erkämpft, beziehungsweise mussten es noch erkämpfen.

Politik war früher Männersache

Bedenkt man, dass Frauen erst spät in den politischen Prozess einbezogen wurden, überrascht es kaum, dass sie 1991 in der Politik noch stark untervertreten waren: Keine einzige Frau sass im Bundesrat und nicht einmal jeder fünfte Nationalratssitz wurde von einer Frau besetzt. Auch auf kantonaler Ebene waren Frauen in der Politik eine Seltenheit.

 

Seither ist die Vertretung der Frauen in der Politik gestiegen. Bei der Zusammensetzung des Bundesrats wird heute Wert auf eine mehr oder weniger ausgeglichene Repräsentation der Geschlechter gelegt. Der Frauenanteil in den Kantonsregierungen hat sich seit 1991 beinahe verachtfacht. Trotzdem ist erst jedes vierte Regierungsmitglied auf kantonaler Ebene weiblich.

Der Frauenanteil im Nationalrat steigt seit 1991 und liegt nun bei fast einem Drittel. Auch im Ständerat stieg der Frauenanteil ab 1991 und lag 2003 bei fast 25%. Seither gab es einen Rückgang der Frauenquote um 10 Prozentpunkte. Verglichen zu 1991 sitzen heute trotzdem fast doppelt so viele Frauen im Ständerat. Der Frauenanteil in den kantonalen Parlamenten hat sich seit Anfang der 1990er Jahre verdoppelt. Heute werden beinahe 30% der Sitze in kantonalen Parlamenten von Frauen gehalten.

Eine ausgeglichene Vertretung in der Politik bildet nicht nur die Gesellschaft besser ab, sondern gibt den Frauen mehr Möglichkeiten ihre Anliegen einzubringen und durchzusetzen, ohne dabei auf eine breite Unterstützung der Männer angewiesen zu sein.

Fazit: Frauen sind zwar heute auf dem politischen Parkett besser vertreten als vor ein paar Jahrzehnten – trotzdem sind sie fast 50 Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts (1971) im Verhältnis zu ihrem Anteil in der Gesamtbevölkerung nach wie vor untervertreten.

Frauen haben bei der Bildung aufgeholt, wählen aber häufig andere Berufe

Frauen haben bei der Bildung stark aufgeholt. Dies zeigt etwa die Entwicklung im Tertiärbereich: Waren 1991 weniger als 40% der Studierenden auf Tertiärstufe weiblich, gibt es heute an den Universitäten und Fachhochschulen ungefähr gleich viele Studentinnen wie Studenten (BFS 2019b). Bei der Studienfachwahl zeigen sich jedoch bedeutende Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Traditionell sind die Geistes- und Sozialwissenschaften bei Frauen beliebter als bei Männern. Hohe Frauenanteile finden sich zudem in den Fakultäten für Medizin, Pharmazie sowie Recht. Während diese Studienbereiche 1990 noch männerdominiert waren, sind die Studentinnen heute in Überzahl. Der Frauenanteil in Naturwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und technischen Wissenschaften hat seit 1991 zugenommen, liegt jedoch immer noch deutlich unter 50% (BFS 2018a).

Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind nicht nur bei der Studienfachwahl, sondern auch bei der Berufswahl ersichtlich. Manche Wirtschaftsbereiche waren bereits 1991 männerdominiert, und andere wiesen schon damals eine hohe Anzahl weiblicher Arbeitskräfte aus. Bis heute hat sich daran wenig geändert. So sind beispielsweise das Baugewerbe, der Bereich Verkehr und Logistik sowie das verarbeitende Gewerbe mehrheitlich in Männerhand. Das Gesundheits- und Sozialwesen sowie die Kunst- und Unterhaltungsbranche blieben überwiegend frauendominiert.

Es fällt auf, dass Frauen beispielsweise in der Finanz- und Versicherungsbranche und in der Informations- und Kommunikationsbranche weniger vertreten sind. Diese Wirtschaftsbereiche weisen einen eher hohen Medianlohn aus. In den Bereichen Kunst und Unterhaltung sowie im Gesundheits- und Sozialwesen, wo das Lohnniveau niedriger ist, sind Frauen hingegen übervertreten (BFS 2018b). Eine wichtige Ursache für diese berufliche Geschlechtersegregation liegt in den Erwartungen der jungen Leute in Bezug auf ihr zukünftiges Verhalten auf dem Arbeitsmarkt. Wer von einer diskontinuierlichen Laufbahn ausgeht – nicht zuletzt aus erwarteten familiären Pflichten – wird eher einen Beruf wählen, in dem Unterbrechungen weniger Einkommenseinbussen verursachen oder die gelernten Kompetenzen weniger schnell abgeschrieben werden. Tätigkeiten, die geringere Arbeitspensen zulassen oder grössere Planbarkeit bieten, sind für diese Personengruppen besonders attraktiv (Avenir Suisse 2015b).

Diese Erwartungen von Männern und Frauen tragen teilweise zum niedrigen Frauenanteil in höher bezahlten Branchen bei: Gehen Frauen davon aus, dass sie aus Familiengründen eine Laufbahn mit Erwerbsunterbrüchen und Arbeitszeitreduktion aufweisen werden sowie dass in gewissen Branchen eine hohe Flexibilität und Präsenzzeit gefordert ist, werden sie sich tendenziell eher von Anfang an gegen eine Karriere in diesen Branchen entscheiden.

Fazit: Frauen sind heute im Durchschnitt weit besser ausgebildet als 1991 und haben in Bezug auf den Ausbildungsstand gegenüber den Männern massiv aufgeholt, sie sogar teils überholt. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in der Studienfach- und Berufswahl sind ein wichtiger Faktor für die Entstehung der Lohndifferenz.

Risikostrategie Teilzeitarbeit

Frauen sind heute am Arbeitsmarkt deutlich stärker vertreten als 1991. Die Erwerbsquote der Frauen ist in den letzten drei Jahrzehnten von 67% auf 81% gestiegen (BFS 2019d). Diejenige der Männer ist um drei Prozentpunkte gesunken und liegt heute bei 88%. Während sich die Erwerbsquoten der Frauen und Männer über die Zeit beinahe angeglichen haben, liegt die Erwerbsquote in Vollzeitäquivalenten der Frauen deutlich unter derjenigen der Männer (BFS 2019e). Immer noch ist der Grossteil der Frauen teilzeiterwerbstätig, während fast alle Männer Vollzeit arbeiten.

Um die Unterschiede in den Erwerbsbiografien von Männern und Frauen besser zu verstehen, lohnt es sich, die Unterschiede in der Arbeitsmarktpartizipation und im Beschäftigungsgrad von Müttern und Vätern anzuschauen. Vergleicht man die Zahlen von 1991 mit den heutigen, sieht man, dass sich die typische Erwerbsbiografie einer Mutter stark und diejenige eines Vaters teilweise gewandelt hat (BFS 2019f).

Mehr als die Hälfte der Mütter mit Kindern unter sechs Jahren war 1991 nicht erwerbstätig, ein Drittel arbeitete Teilzeit und 12% hatten eine Vollzeitstelle. Ähnlich sah es bei Müttern von Kindern unter 15 Jahren aus. Bei den Vätern zeigte sich ein ganz anderes Bild: 97% der Väter arbeiteten vor 28 Jahren noch Vollzeit. 1991 dominierte in vielen Schweizer Familien die traditionelle Rollenverteilung.

Diese traditionelle Rollenverteilung hat sich in den letzten Jahrzehnten stark abgeschwächt. Heute ist nur noch ein Viertel der Mütter mit Kindern unter sechs Jahren nicht erwerbstätig, 61% arbeiten Teilzeit. Nur minim angestiegen ist der Anteil der Mütter, die Vollzeit arbeiten. Vergleicht man die teilzeitarbeitenden Mütter von 1991 mit den heutigen, fällt zudem auf, dass ihr Arbeitspensum zugenommen hat. Während 1991 die Mehrheit noch ein Pensum unter 50% hatte, liegt es heute mehrheitlich zwischen 50% und 90%.

Auch bei den Vätern hat in den letzten Jahrzehnten ein Wandel stattgefunden, wenn auch weniger ausgeprägt als bei den Müttern. Teilzeitarbeitende Väter waren 1991 noch eine absolute Seltenheit. Heute arbeitet rund jeder zehnte Vater Teilzeit, Vollzeitarbeitende Väter sind jedoch nach wie vor die Norm.

Die Erwerbsbiografien von Müttern haben sich in den vergangenen drei Jahrzehnten dahingehend verändert, dass Mütter weniger oft aus dem Erwerbsleben austreten. Stattdessen reduzieren sie die Erwerbsarbeit. Dieser Wandel kann im Hinblick auf den weiteren Karriereverlauf und somit den Lohnunterschied positiv gewertet werden, da sich längere Erwerbsunterbrüche oft nachteilig auf die Erwerbsbiografie auswirken (vgl. Box 1 auf Seite 11).

Vergleicht man hingegen die Frauen und Männer, die keine Kinder betreuen, fällt auf, dass auch hier der Anteil vollzeitarbeitender Frauen mit 41% deutlich unter dem Anteil vollzeitarbeitender Männer von 73% liegt.

Teilzeitbeschäftigung wirkt sich in vielerlei Hinsicht negativ auf Berufspraxis und Erfahrung aus. Zum Beispiel fehlt bei reduzierter Berufstätigkeit oft die Weiterentwicklung der Erstausbildung, da Weiterbildung, sei sie «on» oder «off the job», eng an die berufliche Tätigkeit geknüpft ist. Zudem verringert Teilzeit die Möglichkeiten, die eigene Kompetenz und Leistungsbereitschaft unter Beweis zu stellen und sich für anspruchs- und verantwortungsvollere Tätigkeiten zu empfehlen (Avenir Suisse 2015a).

Damit sind wir bei einem weiteren Punkt angekommen, in dem sich die Erwerbsbiografien von Frauen und Männern unterscheiden: der beruflichen Stellung. Noch immer gibt es bedeutend weniger weibliche Führungskräfte (BFS 2019g), vor allem in höheren Positionen. Laut dem Schilling-Report (2019) beträgt der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen der 100 grössten Arbeitgeber in der Schweiz gerade mal 9%, und nur in 49% der Unternehmen sitzen überhaupt Frauen in der Geschäftsleitung. Ein Grund für die Untervertretung von Frauen in Führungspositionen kann in der Teilzeitarbeit liegen. Denn Führungspositionen sind selten in Teilzeit zu haben. Auch lässt sich zeigen, dass Unternehmen eine Art «Prämie für die Flexibilität» zahlen, insbesondere in Positionen, in denen das Einhalten von Deadlines, die Produktion in Teams und häufige interpersonelle Kontakte wichtig sind (Ponthieux und Meurs 2015). Diese ist für Frauen, die immer noch überproportional viel Familienarbeit leisten, schwieriger zu erfüllen.

Fazit: Die Erwerbsbiografien von Frauen, vor allem jene von Müttern, haben sich seit 1991 stark zum Positiven gewandelt: Noch ein Grossteil der Mütter trat in den 1990er Jahren nach der Geburt der Kinder zumindest zeitweise aus dem Erwerbsleben aus. Heute sind es bedeutend weniger. Stattdessen reduzieren Mütter heute oft ihr Arbeitspensum. Auch bei den Vätern hat ein – wenn auch bescheidener – Wandel stattgefunden: 1991 waren Väter fast ausschliesslich vollzeiterwerbstätig. Heute arbeitet rund jeder zehnte Vater Teilzeit. Die zahlreich von Frauen in Teilzeit ausgeübte Erwerbstätigkeit kann einen Teil der unterdurchschnittlichen Vertretung der Frauen in Führungspositionen erklären.

Immer noch kümmern sich die Frauen stärker um Familie und Haushalt

Steigen Männer also schrittweise die Karriereleiter hoch, während sich Frauen um die Kinder und den Haushalt kümmern? Frauen investieren tatsächlich auch heute noch deutlich mehr Zeit in die unbezahlte Familien- und Hausarbeit als Männer. Besonders bei Eltern mit Kleinkindern ist der Unterschied stark ausgeprägt.

Aber auch in diesem Punkt hat ein (relativ kleiner) Wandel stattgefunden. Im Vergleich zu 1997 leisten Mütter mit Kindern unter sechs Jahren heute pro Woche fast fünf Stunden weniger Familien und Hausarbeit und Väter fast fünf Stunden mehr als 1997. Die Erwerbsarbeit der Mütter nahm in diesem Zeitraum um rund sechs Stunden pro Woche zu und diejenige der Väter um fast drei Stunden ab.

Väter helfen also heute mehr im Haushalt als anno 1991. Trotzdem werden immer noch rund zwei Drittel der Familien- und Hausarbeit von Müttern erledigt. Die Aufteilung der Erwerbsarbeit pro Familie hat sich von einem Verhältnis von 80 : 20 zwischen Vätern und Müttern zu einem Verhältnis von 70 : 30 verändert.

Bei Frauen und Männern, die in einem Zweipersonenhaushalt leben und keine Betreuungsarbeit von Kindern übernehmen, ist die Aufteilung der Erwerbs- und Hausarbeit ausgeglichener. Gegenüber den 1990er Jahren arbeiten die Frauen heute etwas mehr und erledigen weniger Hausarbeit. Das Umgekehrte ist bei den Männern der Fall. Heute werden in einem durchschnittlichen Paarhaushalt ohne Kinder rund 40% der Erwerbsarbeit und 60% der Hausarbeit von der Frau und rund 60% der Erwerbsarbeit und 40% der Hausarbeit vom Mann übernommen (BFS 2017).

Der gesamte Arbeitsaufwand, also die Summe aus Erwerbs-, Haus- und Familienarbeit ist bei Männern und Frauen im Durchschnitt mehr oder weniger ausgeglichen. Während Väter 1991 wöchentlich rund 1,5 Stunden weniger arbeiteten als Mütter, sind es heute noch rund 40 Minuten. Bei Paaren, die keine Kinder betreuen, ist der gesamte Arbeitsaufwand der Männer höher. Der Unterschied zwischen dem Arbeitsaufwand von Frauen und Männern wurde in Zweipersonenhaushalten in den letzten Jahrzehnten grösser: 1991 hatten Männer einen wöchentlichen Mehraufwand von rund einer Stunde. Heute sind es fast vier Stunden.

Die Aufteilung der Erwerbs- und Haus- respektive Familienarbeit zwischen den Geschlechtern kann einerseits auf unterschiedliche Vorlieben sowie die traditionellen Rollenbilder zurückzuführen sein. Andererseits spielen auch der Lohnunterschied und die berufliche Stellung zwischen den Geschlechtern eine Rolle. Organisiert ein Paar die Aufteilung der Erwerbsarbeit und der Haus- und Familienarbeit, so erscheint es sinnvoll, dass die Person mit dem höheren Gehalt einen grösseren Teil der Erwerbsarbeit übernimmt. Bei vielen Familien dürfte dies nach wie vor der Mann sein.

Mit dem Lohnunterschied und den Unterschieden in der Erwerbsbiografie zwischen den Geschlechtern kann es zu einem Teufelskreis kommen: Frauen antizipieren andere Lebensentwürfe als Männer und entscheiden sich häufiger für Berufe, die geringere Arbeitspensen zulassen oder grössere Planbarkeit bietenund die oft schlechter bezahlt sind. Wegen des vergleichsweise niedrigeren Lohnes erledigen sie mehr unbezahlte Haus- und Familienarbeit und weniger Erwerbsarbeit. Das reduzierte Erwerbspensum wirkt sich wiederum negativ auf ihre Karrierelaufbahn und den Lohn aus.

Zudem hat die ungleichmässige Aufteilung der Erwerbs-, Haus- und Familienarbeit zwischen den Geschlechtern nicht nur einen Einfluss auf Frauen im erwerbsfähigen Alter, sondern auch im Rentenalter. Frauen sind häufig aufgrund ihrer nicht linearen Erwerbsbiografien im Alter schlechter abgesichert als Männer. Während es bei den AHV-Renten systembedingt nur geringe Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt, fällt der Unterschied in der beruflichen Vorsorge umso grösser aus (BFS 2019h).

Fazit: Auch wenn Männer heute etwas mehr und Frauen etwas weniger Zeit mit Haus- und Familienarbeit verbringen als 1991 wird der Grossteil der unbezahlten Haus- und Familienarbeit nach wie vor von Frauen erledigt. Diese Unterschiede wirken sich nicht nur auf das Erwerbseinkommen der Frauen negativ aus, sondern auch auf ihre Rentenansprüche.

Lasst uns über den Lohnunterschied reden

Die Lohngleichheit ist wie bereits 1991 auch heute noch eine der Hauptforderungen der streikenden Frauen. Woran liegt das? Der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen hat zwar laut Bundesamt für Statistik seit den 1990er Jahren abgenommen (BFS 2018c), die mittlere Lohndifferenz betrug 2016 jedoch für die Gesamtwirtschaft immer noch 17,4%. Bei den Medianlöhnen beträgt die Differenz zwischen Männern und Frauen 12,9%. Dabei gibt es unterschiedlich ausgeprägte Lohndifferenzen in verschiedenen Sektoren und Branchen sowie nach unterschiedlichem Bildungsstand und beruflicher Stellung (BFS 2016).

Beim Thema Lohnunterschied kommt man um die Diskussionen nach der statistischen Ermittlung, der erklärten und unerklärten Lohndifferenz – und ob es sich dabei um Diskriminierung handelt oder nicht – fast nicht herum. Der Lohnunterschied wird in der Regel anhand von statistischen Daten ermittelt und mit Hilfe ökonomisch-statistischer Methoden in zwei Teile zerlegt: den erklärten und unerklärten Lohnunterschied. Die erklärte Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen beschreibt, welche Anteile auf die unterschiedlichen Merkmale wie zum Beispiel Bildungsniveau, Alter, Berufswahl oder berufliche Stellung der Lohnbezügerinnen und -bezüger zurückzuführen sind.

Der unerklärteLohnunterschied ist der Anteil, der nicht durch Unterschiede in den Merkmalen zwischen Lohnbezügerinnen und -bezüger zurückzuführen ist. Er zeigt, wie viel Frauen im Vergleich zu Männern weniger verdienen, wenn sie sonst vergleichbare Eigenschaften mitbringen. 2016 verdienten Frauen bei vergleichbaren, beobachtbaren Merkmalen im Schnitt 7,7% weniger als Männer (BFS 2016). Der unerklärte Anteil am Gehaltsunterschied wird in der politischen und öffentlichen Diskussion oft mit Lohndiskriminierung gleichgesetzt. Kritisiert wird, dass Frauen im Durchschnitt rund 600 Fr. weniger verdienen, nur weil sie Frauen sind.

Der unerklärte Lohnunterschied beinhaltet allerdings nicht nur die Lohndiskriminierung zwischen den Geschlechtern, sondern auch alle Kriterien, die einen Einfluss auf die Gehaltsunterschiede haben, aber gemäss der aktuellen Messmethode in den Daten nicht berücksichtigt werden. Die Messung der lohnrelevanten Merkmale verursacht jedoch erhebliche Schwierigkeiten. So wird in vielen Analysen das Ausbildungsniveau berücksichtigt (z.B. Berufslehre oder Studium), nicht aber die Fachrichtung, obwohl hier lohnrelevante Geschlechterunterschiede bestehen. Zudem werden einige lohnrelevante Merkmale, wie zum Beispiel die Möglichkeit, Überstunden zu leisten, nicht erhoben (Iconomix 2018). Wie bereits oben erwähnt, gibt es Hinweise, dass die zeitliche Flexibilität einen wesentlichen Einfluss auf die Löhne hat.

In der Schweiz berücksichtigt die Lohnzerlegung des Bundesamtes für Statistik nicht die effektive Berufserfahrung, sondern approximiert sie anhand des Alters minus 15 Jahren. Zudem werden die Dienstjahre, also die Anzahl Jahre im selben Unternehmen berücksichtigt (Felfe et al. 2015). Es ist zu erwarten, dass dadurch die tatsächliche, lohnrelevante Berufserfahrung der Frauen zu hoch gewichtet wird. Anderson et al. (2002) zeigen anhand US-amerikanischer Daten, dass Erwerbsunterbrüche vor allem bei hoch qualifizierten Arbeitnehmerinnen zu Lohneinbussen führen. Mehrere ausländische Studien haben gezeigt, dass sich der unerklärte Anteil der Lohndifferenz unter Berücksichtigung der tatsächlichen Arbeitserfahrung reduziert (Blau und Kahn, 2017). Einige dieser Hypothesen wurden vor kurzem auch für die Schweiz bestätigt (vgl. Box 1).

Box 1: Hohe «Mutterschaftsstrafe» in der Schweiz

Anhand von Daten des Schweizer Haushaltspanels ermittelten Claude Jeanrenaud und Alexandra Kis von der Universität Neuchâtel, dass Frauen, die ihre Karriere unterbrechen, im Durchschnitt 9,2 Jahre vom Arbeitsmarkt fernbleiben (6,2 Jahre bei Frauen mit Tertiärbildung). Sie schätzen, dass rund die Hälfte aller Frauen einen kinderbedingten Unterbruch einlegen. Weiter untersuchen sie die Auswirkung eines solchen Erwerbsunterbruches auf die Lohnentwicklung. Diese «Mutterschaftsstrafe» wird mit Hilfe eines statistischen Modells geschätzt, unter Berücksichtigung weiterer lohnrelevanter Faktoren wie Alter, Ausbildung, Nationalität, Beruf, Funktion oder Wohnort. So stellen Jeanrenaud und Kis (2018) fest, dass insbesondere hochqualifizierte Frauen, die eine Unterbrechung ihrer Karriere erlebt haben, deutlich niedrigere Löhne erzielen. Die Mutterschaftsstrafe beträgt beträgt 3,2% pro Jahr. Nimmt man die mittlere Unterbruchdauer von 6,2 Jahren als Referenz, ergibt sich eine kumulierte Mutterschaftsprämie von 21,7%. In Franken übersetzt heisst dies, dass Mütter, die nach einem Erwerbsunterbruch wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen, um fast 20’000 Franken tiefere Löhne erzielen, als vergleichbare Frauen, die nie einen Unterbruch machten.

Diese Erkenntnisse lassen darauf schliessen, dass die offizielle Schätzung des Bundesamtes für Statistik zu den «unerklärten Lohndifferenzen» zwischen Männern und Frauen, die in der Schweiz oft als Mass für die Lohndiskriminierung genommen wird, einer Weiterentwicklung bedarf. Berufsunterbrüche sind in ihren Auswirkungen ebenfalls statistisch zu gewichten, da sie nachweislich zu Lohnunterschieden führen.

Wie die in Harvard forschende Ökonomieprofessorin Claudia Goldin 2014 anlässlich ihrer Wahl als Präsidentin der renommierten American Economic Association bemerkt hat, vermögen Diskriminierungstheorien («Unternehmen haben Vorurteile») oder geschlechterspezifische Verhaltensmuster («Frauen verhandeln schlecht») nicht zu erklären, warum «unerklärte» Lohndifferenzen erst mit dem Alter stark zunehmen. Auch ist damit nicht zu erklären, warum kinderlose Frauen in der Regel höhere Einkommen als Mütter erzielen und warum ihre Löhne nahe bei den Männerlöhnen liegen.

Fazit: Wie Boll und Leppin (2015) treffend formulieren: «Ungleich ist nicht gleich ungerecht. Aber ebenso wenig ist von statistischer Merkmalsgleichheit auf Chancengleichheit und mithin Gerechtigkeit zu schliessen». Um einen verstärkt evidenzbasierten Diskurs über den Gleichstellungsbedarf zwischen Frauen und Männern führen zu können, bedarf es auch einer Weiterentwicklung der statistischen Methoden. Das Ziel der Chancengleichheit kann nicht mit vermeintlich «einfachen» Ansätzen wie einem systemischen Eingriff in die Lohnpolitik der Unternehmen erreicht werden. Es braucht stattdessen eine umfassendere, liberale Gleichstellungspolitik.

Gleichstellung heisst Chancengleichheit

Auch wenn der Wandel in den verschiedenen Bereichen in unterschiedlich grossen Schritten vorangegangen ist, hat sich die Gleichstellung in allen untersuchten Bereichen in eine grundsätzlich positive Richtung entwickelt:  Die Rechte der Frauen haben sich deutlich verbessert, sie sind in der Politik besser vertreten, haben in der Bildung aufgeholt und sind stärker in den Arbeitsmarkt eingebunden.

Es wäre jedoch falsch, sich jetzt mit dem Erreichten zufriedenzugeben, denn es gibt noch viel «Gleichstellungs-Luft nach oben». Das vorhandene Verbesserungspotenzial kann nicht geleugnet werden:  So sind Frauen in entscheidenden Positionen, beispielsweise in der Politik oder auf den Führungsetagen, nach wie vor untervertreten. Frauen leisten zudem immer noch bedeutend mehr unbezahlte Arbeit und sind daher oft teilzeiterwerbstätig. Dies wirkt sich nicht nur negativ auf die Löhne, sondern auch auf die Sozialversicherungsbeiträge aus.

Zudem gibt es Bereiche, in denen Frauen zwar einen bedeutenden Teil der Arbeit übernehmen, jedoch in finanzieller Hinsicht schlechter gestellt sind. Ein Beispiel findet sich in der Landwirtschaft: Zahlreiche Bäuerinnen arbeiten ohne Lohn und haben folglich keinen Anspruch auf Mutterschaftsurlaub und sind im Alter nur minimal versichert (Bundesrat 2016). Der Bäuerinnen- und Landfrauenverband setzt sich deshalb für die ökonomische und soziale Gleichstellung zwischen den Geschlechtern ein (SBLV 2015). Trotzdem will die Landwirtschaftskammer des Schweizerischen Bauernverbandes nicht auf die Empfehlung des Bundesrates eingehen, Direktzahlungen an jene Haushalte zu kürzen, in denen im Betrieb regelmässig mitarbeitende Partnerinnen oder Partner über keinen angemessenen persönlichen Sozialversicherungsschutz verfügen (SBV 2019).

Und zu guter Letzt gibt es noch die katholische Kirche. Gleichstellung lässt hier zu wünschen übrig: Frauen tragen zwar aufgrund ihres Engagements viel zum Kirchenalltag bei und zahlen brav ihre Steuern, von einem Grossteil der kirchlichen Ämter sind sie trotzdem ausgeschlossen. Kein Wunder verlangt der katholische Frauenbund nun Gleichberechtigung (SKF 2019).

Eine liberale Gleichstellungspolitik strebt nicht eine absolute (statistische) gleiche Verteilung der Geschlechter an. Es darf nicht das Ziel sein, dass in allen Studienrichtungen, Berufen, Hierarchiestufen, Wirtschaftszweigen oder Parlamenten genau gleich viele Männer wie Frauen vertreten sind. Es soll nicht eine Gleichheit der Ergebnisse angestrebt werden, sondern eine Gleichheit der Chancen.

Liberal Gesinnte dürfen sich allerdings nichts vormachen: Weiterhin wird der Erfolg der Gleichstellung nicht nur an der Gleichheit der Chancen gemessen, sondern auch an deren Ergebnissen. Aber wann ist der «Endzustand» der Gleichstellung erreicht? Die kürzlich verstorbene amerikanische Ökonomin Barbara Bergmann (2005), eine führende Vertreterin der feministischen Ökonomie, sah grundsätzlich drei Wege, um der Gleichstellung der Geschlechter näher zu kommen:

  1. Erhöhte Wertschätzung der Haushalts- und Familienarbeit. Die gegenwärtig stärkere Spezialisierung der Frauen in der (unbezahlten) Haushalts- und Familienarbeit, respektive der Männer in der Erwerbsarbeit, ist neu zu gewichten. Wertschätzung und Anerkennung der Haushaltsarbeit werden beispielsweise durch grosszügige steuerliche Kinderabzüge, eine verbesserte Mutterschaftsversicherung oder gar eine grössere finanzielle Entschädigung der Familienarbeit erhöht.
  2. Paritätische Aufteilung der Erwerbs- und Haushaltsarbeit. Die bezahlte und unbezahlte Arbeit wird gleichermassen auf beide Geschlechter aufgeteilt. Männer und Frauen arbeiten je gleich viel auf dem Arbeitsmarkt, kümmern sich zu gleichen Teilen um die Hausarbeit und die Kindererziehung, wählen gleichartige Berufe und Studienrichtungen und sind ferner gleich stark auf allen Hierarchiestufen vertreten. Möglicherweise werden auch unterschiedliche Steuersätze für Männer und Frauen eingeführt.
  3. Substitution der unbezahlten Arbeit. Die unbezahlte Familien- und Haushaltsarbeit wird zugunsten der bezahlten Arbeit substituiert. Kinderbetreuung, Putzen, Waschen, Einkaufen und Kochen werden weitgehend externalisiert. Der Staat sorgt dafür, dass dieser Prozess unterstützt wird und dass die Hürden für die Beschäftigung der Frauen (zu hohen Pensen) gesenkt werden.

Das dritte Szenario wäre aus marktliberaler Sicht zu begrüssen und trägt der jüngsten Entwicklungen am ehesten Rechnung – wie vorliegende Analyse zeigt. Die letzten Jahrzehnte waren durch erhöhte Partizipation der Frauen in der (bislang von Männern dominierten) Arbeitswelt und in der Politik charakterisiert. Ein entsprechendes, stärkeres Engagement der Männer zugunsten der Haushaltsarbeit stellt man jedoch nicht im gleichen Umfang fest.

Verstärkung der Marktmechanismen

Frauen könnten in ihren beruflichen Ambitionen am besten unterstützt werden, wenn es gelänge, jene Hürden aus dem Weg zu schaffen, die einem stärkeren beruflichen Engagement entgegenstehen. Insofern ist der (noch relativ liberale) Schweizer Arbeitsmarkt einer der besten Verbündeten der Frauen im Bestreben nach Gleichstellung von Frau und Mann. Diese Rolle gilt es zusätzlich zu stärken. Am effektivsten wären folgende vier Massnahmen:

  • Individualbesteuerung: Es gibt heute in der Schweiz Zehntausende von gut qualifizierten Frauen, die aus steuerlichen Gründen dem Arbeitsmarkt fernbleiben oder nur zu sehr tiefen Pensen arbeiten. Der Grund liegt in der gemeinsamen Veranlagung der Einkommen von Ehepartnern. Aufgrund der gemeinsamen Veranlagung der Einkommen von Ehepartnern und dem progressiven Steuersystem wird die weniger verdienende Ehepartnerin – in der Mehrzahl der Fälle ist es die Frau (BFS 2018d) – steuerlich bestraft. Das Schweizer Steuersystem muss frauenfreundlicher gestaltet werden. Durch die Individualbesteuerung, die eine getrennte Veranlagung der Partner vorsieht, könnte nicht nur die Heiratsstrafe abgeschafft werden, sondern jegliche Zivilstandbestrafung in den Steuern und damit auch die negativen Erwerbsanreize auf den Zweiteinkommen eliminiert werden. Es wird geschätzt, dass die Individualbesteuerung alleine bei der Bundessteuer eine Zunahme der Beschäftigung von rund 19’000 Beschäftigten (in VZÄ) zur Folge hätte. Auf kantonaler Ebene dürften weitere rund 40’000 resultieren. Gut 80% der Personen, die ihren Beschäftigungsgrad ausweiten oder wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen würden, sind Frauen im Alter zwischen 25 und 55 Jahren, die heute mehrheitlich Teilzeit arbeiten. (Ecoplan, 2019).
  • Familienergänzende Kinderbetreuung: Krippen, Kitas, Tagesfamilien, Mittagstische – kurzum die familienergänzende Kinderbetreuung – sind wichtige Puzzlesteine der Gleichstellung. Die höchste Wirksamkeit weist die staatliche Unterstützung bei der Erhöhung des Angebots an Betreuungsplätzen auf, vielmehr als bei der Senkung der Tarife. Es sollen nicht bloss Kindertagesstätten unterstützt werden, sondern auch andere Formen der Betreuung. Kinderbetreuungsgutscheine bieten beispielsweise eine Möglichkeit der Subventionierung, bei der die Eltern über die Form, Qualität und andere Aspekte der Betreuung mitentscheiden können (Avenir Suisse 2015).
  • Elternurlaub: Ein angemessener, flexibel gestaltbarer Elternurlaub ermöglicht eine geschlechterunabhängigere Aufteilung der Betreuungsaufgaben und bietet jeder Familie die Chance, den Betreuungsurlaub so zu gestalten, wie es für alle Beteiligten am sinnvollsten ist. Ein flexibles Modell ermöglicht den Eltern einerseits, den Betreuungsurlaub untereinander aufzuteilen. Andererseits wäre ein Elternurlaub auf Teilzeitbasis wünschenswert. In diesem Fall müsste nicht der gesamte Elternurlaub an einem Stück, sondern könnte über längere Zeit auf Teilzeitbasis bezogen werden (Avenir Suisse 2015). Ein Elternurlaub hat ausserdem den Vorteil, dass Väter die Gelegenheit bekommen, sich stärker in der Betreuung der Kleinkinder zu engagieren. Zudem könnte ein Nachteil für junge Frauen am Arbeitsmarkt abgeschwächt werden: Entscheidet ein Unternehmen heute zwischen einer jungen Bewerberin und einem Bewerber, so nimmt es bei der Bewerberin das Risiko auf sich, dass diese bei zukünftiger Mutterschaft mindestens 14 Wochen ausfallen wird. Dem Bewerber werden bei einer Vaterschaft nur ein bis zwei freie Tage gewährt. Ein verlängerter Urlaub, wie man es in den skandinavischen Ländern kennt, ist aus Gleichstellungssicht hingegen abzulehnen. Eine verlängerte Auszeit wirkt sich nachweislich ungünstig auf die Beschäftigung von Frauen auf.
  • Flexiblere Arbeitszeiten und Arbeitsmodelle: Damit Eltern im Alltag die Familie und den Beruf besser unter einen Hut bringen können, sollten flexiblere Arbeitszeiten und Arbeitsmodelle – wenn immer möglich – gefördert werden. Dazu ist eine Reform des Arbeitsgesetzes vonnöten: Anstelle starrer wöchentlicher Höchstarbeitszeiten sind beispielsweise Jahreshöchstarbeitszeiten denkbar (Avenir Suisse 2018). Zudem sollte von Arbeitgebern vermehrt die tatsächliche Leistung und weniger die Präsenzzeit belohnt werden. Im Zeitalter der Digitalisierung sind die technologischen Möglichkeiten für effizientes und teamkompatibles Arbeiten von zu Hause aus in vielen Bereichen gegeben. Verlangt der Arbeitgeber weniger lange Präsenzzeiten, können Eltern beispielsweise nachmittags die Kinder von der Schule abholen und abends von zu Hause aus weiterarbeiten.

Box 2: Marktliberale Instrumente zur Förderung der Gleichstellung von Frau und Mann

 

  • Individualbesteuerung
  • Ausbau des Angebots der familienergänzenden Kinderbetreuung
  • Einführung von Kinderbetreuungsgutscheinen
  • Angemessener, flexibel gestaltbarer Elternurlaub
  • Jahreshöchstarbeitszeiten
  • Ortsunabhängige Erwerbstätigkeit

Gleichstellung ist auch eine Kulturfrage

Massnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf können zwar die Chancen für Frauen im Erwerbsalltag erhöhen und somit die Unterschiede in den Erwerbsbiografien und bei den Löhnen reduzieren, sie sind jedoch kein Allheilmittel. Denn die Unterschiede der Geschlechter bei der Berufswahl, beim Karriereverlauf und bei der Aufteilung der Haus- und Familienarbeit sind auch auf gesellschaftlich eingeübte Gepflogenheiten und Wertvorstellungen zurückzuführen (Avenir Suisse 2016).

Dabei geht es um individuelle Motive und Entscheide, die ausserhalb der Reichweite der Unternehmen und des Staats liegen: Wo sieht man als Frau oder Mann ihre/seine Rolle in der Gesellschaft, welchen Beruf wird gewählt, wieviel Zeit kann und will man in die Kinderbetreuung investieren usw. Die gesellschaftlichen Wertvorstellungen spielen bei diesen individuellen Entscheidungen durchaus eine Rolle, denn persönliche Entscheidungen werden auch von den Erwartungen des Umfelds beeinflusst. Je stärker Frauen oder Männer in ihren Wünschen von der gesellschaftlichen Norm abweichen, desto grösser dürften die zu erwartenden Widerstände auf dem Weg zum Ziel sein (Avenir Suisse 2015).

Das gesellschaftliche Rollenverständnis bedarf daher einer Weiterentwicklung: Warum sollte ein Vater, der 80% arbeitet für seine Bereitschaft, sich am «Papa-Tag» um die Kinder zu kümmern belohnt werden, während bei der 80% arbeitenden Mutter kaum jemand vom «Mama-Tag» redet? Vielmehr muss sie sich in ihrem Umfeld dafür rechtfertigen, sowohl Karriere als auch Familie zu wollen.

Opportun ist eine Veränderung der gesellschaftlichen Erwartungen und Wertvorstellungen dahingehend, dass Mädchen und Jungen bzw. Frauen und Männer zukünftig ihren Bildungs- und Karriereweg sowie die Organisation der Familie möglichst nach Interessen, Vorlieben und Fähigkeiten gestalten können – nicht nach Rollenbildern. Doch ein gesellschaftlicher Wandel benötigt Zeit.

Es liegt daher nicht nur am Staat und an den Unternehmen, sondern auch in der individuellen Verantwortung – ob Frau oder Mann – die Chancen, die frühere Generationen für uns erkämpft haben, zu nutzen, sich weiterhin aktiv für Gleichstellung einzusetzen und diese vor allem im Alltag zu leben. Nur so kann zukünftigen Generationen ein Gesellschaftsbild vermittelt werden, bei dem jede Person ihren Lebensweg so gestalten kann, wie es für sie am besten passt – unabhängig vom Geschlecht.

Die Druckausgabe dieser Analyse inkl. Literaturangaben kann hier als pdf heruntergeladen werden.  

Hören Sie zu diesem Thema auch unseren Podcast «Gesetze dürfen auch mal der Gesellschaft voraus sein» mit Salomè Vogt, Valerié Müller und Corina Gall anlässlich des zweiten Schweizer Frauenstreiktags.