Das kürzliche Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts zu den EU-Rettungsschirmen ist u. a. auch mit der Begründung  begrüsst worden, dass es das «Primat der Politik» stärke.  So schrieb das renommierte Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, «Europa sei vor allem ein politisches Projekt und deswegen müssen die Bevölkerung und das Parlament überzeugt werden».

Zwar konnte man auf Grund der bisherigen Rechtsprechung  erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht die Klage der fünf streitbaren Professoren und Parlamentarier gegen die Etablierung einer Transferunion zu Lasten der Steuerzahler ablehnen würde. Aber ob mit diesem Urteil dem Primat der Politik tatsächlich mehr Glaubwürdigkeit verliehen worden ist, darf auf Grund des bisherigen ad-hoc-Krisenmanagements der EU füglich bezweifelt  werden.

Stabilität und Vorhersehbarkeit als zentrale Elemente guter Politik

Das Primat der Politik ist in der Politikwissenschaft  eine normative Vorstellung des Verhältnisses zwischen Staat und Wirtschaft. Die Krux dabei liegt darin, dass es sehr unterschiedliche Konzeptionen gibt. Sie reichen von der Zentralverwaltungswirtschaft bis zur marktwirtschaftlichen Ordnung gemäss der Freiburger Schule.

Unter dem Einfluss der Weltfinanzkrise ist vielenorts die Überzeugung gewachsen, man dürfe nicht alles dem Markt überlassen und das Primat der Politik müsse wiederhergestellt werden. Dabei geht leicht vergessen, dass es sich beim Markt nicht einfach um eine durch politische  Entscheide lenkbare Institution handelt. Dahinter steht vielmehr ein Millionenheer von unabhängigen Wirtschaftsakteuren mit eigenen Erwartungen und Vorstellungen, die sich weder leicht koordinieren lassen, noch sich einfach an die Befehle der Politik halten.

Es steht auch für Avenir Suisse  ausser Zweifel, dass  die Marktwirtschaft Regeln und Anreize braucht. Nur müssen diese stabil und vorhersehbar sein wie z.B. das Prinzip von Freiheit und Haftung – und sie dürfen der «Schwerkraft der Ökonomie» nicht zuwider laufen.  Gerade in dieser Hinsicht wurde bei der Handhabung der Euro-Staatsschuldenkrise beträchtlicher Schaden produziert. Es scheint, dass kaum noch jemand den Politikern über den Weg traut und sie das Vertrauen wegen der ständigen Missachtung  der eigenen Gesetze und Regeln verloren haben.

Wird der Europäische Gerichtshof Klartext sprechen?

Eine nachhaltige Lösung der Staatschuldenkrise in der Eurozone muss über die Behandlung von Krisensymptomen hinausgehen. Für den neuen Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, gibt es nur zwei Optionen: Entweder den Schritt zu einer echten Fiskalunion oder die Stärkung des bestehenden Rahmens für eine verantwortliche nationale Finanzpolitik mit dem Haftungsausschluss für fremde Staatsschulden.

So wartet man denn gespannt darauf, wie sich der Europäische Gerichtshof zur Klage des deutschen Finanzwissenschafters Prof. Markus Kerber  gegen die Verletzung des «No-Bail-out Prinzips» gemäss Art. 125  des  Lissabonner Vertrages äussern wird. Dieser wird sich hierzu wohl nicht so sibyllinisch ausdrücken können, wie es das deutsche Bundesverfassungsgericht getan hat.