Man kennt es aus Rentenreformen: Um Mehrheiten für die naturgemäss eher bitteren Vorlagen zu zimmern, werden diese mit Ausgleichsmassnahmen versüsst (z.B. grosszügige Rentenzuschläge oder Übergangsregelungen). Für die einen sind solche Zückerchen der politische Preis für die Reformakzeptanz in der Bevölkerung. Andere wiederum sehen darin eine Politik, die sich von der lästigen Pflicht befreit, die Bevölkerung von der Reformnotwendigkeit zu überzeugen.

Reformen werden indes heute nicht mehr nur mit Blick auf die Stimmbürger versüsst. Auch das Verhältnis zwischen Bund und Kantonen ist von Besitzstandwahrung und «Zückerchenpolitik» geprägt. Exemplarisch zeigt sich das in der Debatte um den nationalen Finanzausgleich, wie folgendes ungesunde Schauspiel in drei Akten offenbart:

1. Akt: Neuer Finanzausgleich 2008

Als die Politik anfangs der 2000er Jahre die komplizierten und intransparenten finanziellen Verflechtungen zwischen Bund und Kantonen grundlegend reformierte, plagte diverse Kantonsvertreter vor allem eine Sorge: Steht mein Kanton im neuen Finanzausgleich (NFA) finanziell schlechter da als im alten System? Im Sinne der Mehrheitsfindung wurden die neu geschaffenen Ausgleichsgefässe deshalb um einen befristeten «Härteausgleich» ergänzt. Dieser stellt über eine ganze Generation hinweg bis 2034 sicher, dass kein Kanton beim Übergang vom alten zum neuen Finanzausgleich finanzielle Einbussen erleidet. So erhalten im Jahr 2024 – anderthalb Jahrzehnte nach Inkrafttreten der Reform – weiterhin sechs Kantone Ausgleichszahlungen in insgesamt dreistelliger Millionenhöhe.

2. Akt: Finanzausgleichsreform 2020

Über die Zeit wurde die mit dem NFA ursprünglich angestrebte finanzielle Mindestausstattung für die finanzschwachen Kantone immer deutlicher übertroffen. Aufgrund von Schwachstellen in der Berechnungsmethodik stieg die Umverteilungssumme laufend, obwohl dazu gar keine Notwendigkeit bestand. Weil die grosse Mehrheit der Kantone zu den Transferempfängern zählt, haben Reformen jedoch einen schweren Stand. Als man sich 2019 auf einige grundlegende Justierungen am NFA einigen konnte, war dies deshalb nur mit allerhand Kompensationsgeschäften möglich.

Den ressourcenschwächsten Kantonen wird neu eine Mindestausstattung an finanziellen Mitteln von 86,5% des schweizerischen Durchschnitts garantiert (ursprünglich beabsichtigt waren 85%). Was der Bund im Rahmen der Reform eingespart hätte, wurde zudem aus «staatspolitischen Überlegungen» direkt in die Kantone umgeleitet: Einerseits in eine Dotationserhöhung des Lastenausgleichs und andererseits in temporäre Abfederungsmassnahmen zugunsten der ressourcenschwachen Kantone.

3. Akt: AHV-Steuervorlage (Staf) 2020

Auf internationalen Druck hat die Schweiz in einer Volksabstimmung 2019 die Steuerprivilegien für sogenannte Statusgesellschaften abgeschafft. Dies wirkt sich auch auf die Berücksichtigung der Unternehmensgewinne im Finanzausgleich aus. Im Rahmen der Reform setzten die Kantone nicht nur eine Erhöhung des Kantonsanteils an der direkten Bundessteuer von 17 auf 21,2 Prozent durch. Die allenfalls möglichen negativen Auswirkungen auf den Finanzausgleich werden vom Bund während sieben Jahren finanziell mittels «Ergänzungsbeiträgen» abgefedert. Das Ziel: Die ressourcenschwächsten Kantone sollen nicht weniger Geld erhalten als vor der Reform. Das widerspricht allerdings der NFA-Logik, eine relative Mindestausstattung zu gewähren. Ändern sich die steuerlichen Rahmenbedingungen und dadurch die kantonale Gewinnsteuerbasis, ist es nur folgerichtig, wenn sich dies ebenso in veränderten NFA-Zahlungen spiegelt. 

Rosarotes Sparschwein, das in Basel mit Menschen im Rhein badet. (KI-generiertes Bild)

Wo der Bund nicht tätig sein müsste. (Ernie Ernst, Avenir Suisse, mit KI-Unterstützung)

Ungesunde Abhängigkeiten

Diese Politik der Besitzstandwahrung und Zückerchen ist mitverantwortlich dafür, dass im Finanzausgleich zwischen Bund und Kantonen heute Gelder im Umfang von total 5,9 Mrd. Franken umverteilt werden (davon finanziert der Bund 4 Mrd. Franken). Im Jahr 2008 waren es noch deren 4,1 Mrd. Franken (2,7 Mrd. Franken). Darüber hinaus haben die Kantone den Finanzausgleich (zumindest vorübergehend) wieder in einen intransparenten Flickenteppich unterschiedlichster Transfers verwandelt.

Reformen, die das Zusammenspiel zwischen Bund und Kantonen betreffen, scheinen heutzutage nur noch möglich, wenn letzteren mindestens der finanzielle Status quo garantiert wird. Damit werden Effizienzgewinne von Reformen oftmals gleich wieder zunichte gemacht. Natürlich lässt sich argumentieren, dass Ausgleichsmassnahmen jeweils überhaupt erst die politische Mehrheitsfähigkeit sichern. Doch die Kantone als oberste Hüter des Föderalismus sollten ungesunden Abhängigkeiten widerstehen können.

Der Föderalismus funktioniert dann am besten, wenn Zuständigkeiten klar geregelt, Aufgaben- und Finanzverflechtungen minimiert und finanzielle Abhängigkeiten vermieden werden. Ein erster Schritt in diese Richtung wäre ein frühzeitiger Abbau gewisser Zückerchen im Finanzausgleich. Die angespannte Finanzlage des Bundes sollte dazu genutzt werden, sich von den eigenen Abhängigkeiten zu trennen. Vom Zucker loszukommen mag beschwerlich sein, würde aber langfristig das (föderale) Wohlbefinden erhöhen – und den Bundeshaushalt entlasten.

Sparpotenzial im Bundeshaushalt: jährlich rund 500 Mio. Fr.

 

  • Härteausgleich: jährlich bis zu 128 Mio. Fr. (Betrag 2024; seit 2016 wird der Betrag jährlich um knapp 12 Mio. Fr. reduziert) bis 2034
  • Lastenausgleich: jährlich 140 Mio. Fr.
  • Überdotation Ressourcenausgleich: jährlich zwischen 40 bis 330 Mio. Fr. (je nach Berechnungsweise)
  • Abfederungsmassnahmen: total 640 Mio. Fr. von 2021 bis 2025 (2024: 120 Mio. Fr.; 2025: 80 Mio. Fr.)
  • Ergänzungsbeiträge: jährlich 180 Mio. Fr. von 2024 bis 2030

Die in diesem Beitrag verwendeten Zahlen und weiterführende Informationen zum Finanzausgleich finden sich auf der Website der Eidgenössischen Finanzverwaltung. Sämtliche publizierten Beiträge zur «Sommerserie Bundesfinanzen» finden Sie hier