In Deutschland spielt sich im Zusammenhang mit der Eurorettungspolitik seit einiger Zeit demokratiepolitisch Erstaunliches ab, das auch für die Schweiz von Interesse ist. Nach den gängigen politikwissenschaftlichen Kriterien ist Deutschland eine parlamentarische Demokratie mit Regierung und Opposition im Wettbewerb. In der bisherigen Eurorettungspolitik scheint dieses Spiel jedoch nicht zu gelten, haben doch mit Ausnahme der Linken alle Parteien des deutschen Bundestags sämtlichen Rettungspaketen brav zugestimmt: von der ursprünglich nur befristeten Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und dem dauerhaften Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) bis zum Fiskalpakt. Zwar gab es in der CDU und der FDP vereinzelt ein paar Abweichler, aber der Euro-freundliche Grundtenor war eindeutig. Von Seiten der SPD und der Grünen werden sogar jedes Mal noch mehr Transfers zu Gunsten Europas gefordert. Etwas überspitzt könnte man sagen, dass Deutschland in der Euro-Frage zur perfekten Konsensdemokratie mutiert ist, von der die Schweiz derzeit nur träumen kann.

Demokratiepolitisch ist es einerseits  sicher nicht nachteilig, wenn in einer staatspolitisch zentralen Frage die massgebenden politischen Kräfte am gleichen Strick ziehen. Für Deutschland scheint die Eurofrage in diese Kategorie zu gehören, getreu dem inzwischen berühmt gewordenen Satz der deutschen Bundeskanzlerin aus dem Jahr 2010: «Scheitert der Euro, dann scheitert Europa». Die Verantwortung für den Erhalt des Euro liegt ohne Zweifel bei der Politik bzw. den Regierungen der Euro-Länder. Allerdings müssten diese mit ihrer Haushalts- und Wirtschaftspolitik auch dafür sorgen, dass die Märkte der Gemeinschaftswährung vertrauen und auf den Zusammenhalt der Eurozone setzen. Daran hapert es bisher.

Es ist jedoch auch problematisch, wenn sich die unentbehrliche sachliche parlamentarische Auseinandersetzung vor  das Bundesverfassungsgericht verlagert. Man hört immer wieder, dass Bundestag und Bundesrat als verantwortliche Legislative kaum Zeit gehabt hätten, zu verstehen, was bei den verschiedenen Euro-Rettungspaketen eigentlich zur Entscheidung stand. Hinzu kommt, dass ein immer grösserer Teil des Euro-Raums von der Troika (Europäische Kommission, EZB, IWF) regiert oder zumindest mitregiert wird.

Zurzeit steht das Bundesverfassungsgericht wieder einmal im Brennpunkt des europapolitischen Interesses, wie die Anhörung vom 11./12. Juni 2013 auf eine Verfassungsklage  mehrerer Kläger über die Verfassungskonformität des Anleihenkauf-Programms «Outright Monetary Transactions» (OMT) gezeigt hat. Bereits in einem früheren Urteil zum ESM ist es  für das Grundgesetz in die Bresche gesprungen und hat  die unverzichtbare Budgethoheit des Parlaments bekräftigt sowie die deutsche Haftungsgrenze auf 190 Mrd. € festgelegt. Das Bundesverfassungsgericht ist sich offenbar bewusst, dass der ESM mit dem klassischen fiskalischen Allmendeproblem behaftet ist, denn der Mechanismus der Hilfsprogramme für einzelne Staaten ermöglicht diesen den Zugriff auf Steuermittel anderer Regierungen (Jürgen von Hagen).

Bei der jüngsten Anhörung kam es zu bizarren Situationen. Auf der einen Seite die Bundesregierung und der Vertreter des Bundestages, die das Vorgehen der EZB und die Zustimmung des Parlaments rechtfertigten: Die Bundesregierung hält die Aktionen der EZB nicht nur für zulässig, sie sprach dem Verfassungsgericht sogar die Kompetenz ab, über die EZB als unabhängige europäische Institution zu richten. Der Vertreter des Bundestages sah sich zur Aussage genötigt, dass sich die Bürger in der Eurofrage «demokratiepolitisch in einem beschränkten System» befänden.

Die EZB erläuterte die Rechtmässigkeit ihres Handelns damit,  dass bereits die Ankündigung des OMT-Programms  das Vertrauen der Bürger in den Euro gestärkt habe, obwohl sie selbst noch keine Staatsanleihen im Rahmen dieses Programms gekauft habe.

Als  Zeuge der Anklage und damit auf der Gegenseite der Regierung und der EZB stand die Deutsche Bundesbank, die das OMT-Programm für Staatsfinanzierung hält und die Unabhängigkeit der EZB gefährdet sieht.  Beides  sei unvereinbar mit Art. 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).  Auf den Richterspruch des Bundesverfassungsgerichts darf man gespannt sein.

Als vorläufiges Fazit bleibt wohl nur die Erkenntnis des grossen Liberalen Ralf Dahrendorf: «Es hat neben dem  Nationalstaat noch nie eine Demokratie gegeben». Und im Lichte der Währungsgeschichte könnte man anfügen, dass neben dem Nationalstaat auch noch nie eine Währungsunion auf Dauer funktioniert hat.