Fast 48 Millionen Erwerbstätige, dies entspricht rund 29 Prozent der Arbeitskräfte, haben 2021 in den USA die Kündigung eingereicht – der höchste Wert seit Beginn der systematischen Erfassung im Jahr 2000.[1] Manche haben dieses als «Great Resignation» bezeichnete Phänomen als Vorbote einer globalen und dauerhaften Verschiebung der persönlichen Einstellungen gegenüber der Arbeit interpretiert, die mit der Covid-Krise eingesetzt habe – darunter auch der US-Ökonom Paul Krugman.[2] Doch wie haben die Lockdowns und die wirtschaftlichen Einschränkungen während der Krise die Arbeitsmarktmobilität in der Schweiz verändert? Fand auch hierzulande eine solche Kündigungswelle vonseiten der Arbeitnehmenden statt? Oder steht sie noch bevor?
Keine grundlegenden Änderungen
Es gibt gute Gründe, diese These anzuzweifeln. Einen ersten Hinweis dafür liefert die Erwerbsbeteiligung in der Schweiz, die den Anteil der Erwerbstätigen und Erwerbslosen an der Gesamtbevölkerung der 15- bis 64-Jährigen misst. Sie liegt heute praktisch wieder auf Vorkrisenniveau. Zwar lag die Erwerbsquote im 4. Quartal 2021 zwischenzeitlich um 0,2 Prozent unter dem Wert von Ende 2019, doch dies entspricht lediglich einer Differenz von 10’000 Arbeitsplätzen.
Natürlich: Diese Zahlen sagen noch wenig über die Arbeitsmobilität aus. Anders als in den USA gab es in der Schweiz noch keine Zahlen zu den freiwilligen Kündigungen für den Zeitraum der Pandemie. Deshalb haben wir die Daten der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (Sake) ausgewertet, um die jüngsten Stellenwechsel in der Schweiz zu untersuchen. Anhand der Betriebszugehörigkeitsdauer konnten wir schätzen, wie viele Erwerbstätige jeweils in den vergangenen anderthalb Jahren mit oder ohne Erwerbsunterbruch den Arbeitgeber gewechselt haben. Ausserdem haben wir untersucht, ob mit der neuen Stelle ein Wechsel des Berufes oder der Branche einherging.[3]
Doch auch diese zusätzlichen Kennzahlen lassen nicht darauf schliessen, dass seit dem Ausbruch der Pandemie die Arbeitnehmenden ihr Verhalten am Arbeitsmarkt grundlegend geändert hätten. Eine ausserordentliche Kündigungswelle ist in der Schweiz somit ausgeblieben. Die Rotationsquote – also jener Anteil der Erwerbstätigen, die ihre Stelle gewechselt haben – lag im 4. Quartal 2021 bei 4,2 Prozent. Das ist nicht aussergewöhnlich hoch (vgl. Abbildung 1). Noch tiefer war sie im 1. Quartal 2020, also zu Beginn der Pandemie. Damals wurden mit einer Rotationsquote von 2,9 Prozent sogar noch weniger Arbeitsplatzwechsel als in den Vorjahren verzeichnet.
Ab 2021 nahm die Rotationsquote wieder Fahrt auf und erreichte ab dem 3. Quartal mit 4,1 Prozent das Vorkrisenniveau. Rund zwei Drittel der Jobwechsel fanden «nahtlos» statt, das heisst ohne Erwerbsunterbruch aufgrund freiwilliger Pause oder Erwerbslosigkeit.
Keine Flucht aus dem Gastgewerbe
Allerdings: Die Rotationsquote unterscheidet sich je nach Branche stark. Im Gastgewerbe ist sie traditionell hoch und betrug bis vor der Pandemie fast 6 Prozent. Anders in der öffentlichen Verwaltung: Dort war sie mit 1,7 Prozent am niedrigsten. Doch dieses Muster hat sich mit der Pandemie nicht merklich verändert. Auch in Branchen wie dem Gastgewerbe oder dem Handel, die beide von den Lockdowns besonders getroffen wurden, zeichnet sich keine erhöhte Kündigungswelle ab.
Im Gegenteil: Die von uns geschätzte Rotationsquote ist im Gastgewerbe seit Ausbruch der Pandemie gesunken. Vergleicht man die Rotationsquote im Zeitraum von 2012 bis 2019 mit der Quote zwischen Anfang 2020 und Ende 2021, war Letztere gar 1,2 Prozentpunkte tiefer. Zwischen Anfang und Ende 2021 belief sich der Rückgang gegenüber der Zeit vor der Pandemie noch auf 0,2 Prozentpunkte; allerdings lässt die geringere Anzahl Beobachtungen hier keine allzu präzisen Rückschlüsse zu.
Etwas mehr Berufswechsel als üblich
Ob sich hinter den vielen Stellenwechseln in einer Branche ein allmählicher Strukturwandel verbirgt, darüber sagt die Rotationsquote nichts aus. Denn: Eine hohe Rotationsquote muss nicht notwendigerweise mit einem hohen Anteil an Branchenwechseln einhergehen. Gerade im Gastgewerbe, aber auch im Gesundheitssektor ist der neue Arbeitgeber meistens in der gleichen Branche. Zudem äussern sich berufliche Veränderungen nicht nur in einem Branchenwechsel, sondern können – unter anderem – auch mit einem Berufswechsel verbunden sein. In der Erwerbsstatistik liegt ein solcher auch dann vor, wenn die Person zwar eine ähnliche Tätigkeit ausführt, aber zusätzlich eine Führungsposition einnimmt.[4]
Auf dem Schweizer Arbeitsmarkt ist die Berufsmobilität eindrücklich. Jedes Jahr ist mehr als die Hälfte der Stellenwechsel mit einem Branchen- oder einem Berufswechsel verbunden. Zwischen 2012 und 2019 wurde in 38 Prozent der Fälle sogar beides – der Beruf wie auch die Branche – gewechselt. Die Pandemie hat wenig an diesem Bild geändert. 2021 waren die grösseren Karriereschritte (Berufs- und Branchenwechsel) etwas häufiger als üblich (41%). Insgesamt kann jedoch nicht von einer ungewöhnlichen Situation die Rede sein.
Steht die Kündigungswelle noch bevor?
Will man analysieren, ob es in naher Zukunft zu einer allfälligen Kündigungswelle kommen könnte, muss man auch die Arbeitsnachfrage – das heisst die Zahl der offenen Stellen – betrachten. Gemäss Bundesamt für Statistik (BFS) gab es im 4. Quartal 2021 98’600 offene Stellen – 20 Prozent mehr als Ende 2019.
Weil aber Stellenwechsel häufig mit einem Branchenwechsel verbunden sind, zeichnet die Zahl der offenen Stellen in einer Branche ein unvollkommenes Bild der Jobopportunitäten für die Erwerbstätigen in diesem Wirtschaftszweig. Wer beispielsweise im Finanzsektor beschäftigt ist und auf Stellensuche geht, wird möglicherweise auch Angebote aus nahe gelegenen Fachgebieten in Betracht ziehen, etwa der Beratung. Unwahrscheinlicher hingegen ist ein Wechsel in den Bausektor.
Um zu beantworten, wie hoch die Jobchancen tatsächlich sind und wie sie sich während der Pandemie entwickelt haben, haben wir die Daten des Bundesamts für Statistik über die offenen Stellen mit einem Mass ergänzt, das die Jobchancen – also auch die Arbeitsmöglichkeiten in anderen potenziellen Branchen und Berufen – zu messen versucht.[5] Dafür wurden zuerst die Verschiebungen in und aus den verschiedenen Branchen für die Periode 2013 bis 2019 ermittelt. Anschliessend haben wir die nach Branche ausgewiesenen offenen Stellen im ersten Lockdown (2. Quartal 2020) und am aktuellen Rand (4. Quartal 2021) mit dieser Matrix gewichtet.
Jobchancen haben sich erholt
Dabei zeigt sich: Während des ersten Lockdowns ist die Arbeitsnachfrage breitflächig eingebrochen. Gegenüber 2019 war die Zahl der offenen Stellen im 2. Quartal 2020 in sämtlichen Branchen rückläufig. Am stärksten war dieser Einbruch im Gastgewerbe (–56%) sowie in den Bereichen Verkehr und Unternehmensdienstleistungen mit jeweils –46 Prozent (vgl. Abbildung 2).
Gleichzeitig haben auch die Jobchancen abgenommen. Der Rückgang war hier zwar etwas geringer, dafür über mehrere Branchen hinweg verteilt. Obwohl die Kurzarbeit, die Arbeitslosigkeit und der Beschäftigungsrückgang in den vom Lockdown direkt betroffenen Bereichen stärker ausfielen, wurde die rückläufige Arbeitsnachfrage auch von den Beschäftigten anderer Branchen wahrgenommen. So gesehen, waren die negativen Auswirkungen auf die berufliche Laufbahn sogar noch weitreichender, als es die Zahl der offenen Stellen vermuten lässt.
Im 4. Quartal 2021 hatte sich das Blatt aber bereits völlig gewendet. Mit Ausnahme des Verkehrs und der Logistik lag die Zahl der offenen Stellen klar über den Werten von 2019. Gemessen an den Jobchancen war die Erholung für die Beschäftigten sämtlicher Branchen sowohl im 3. wie im 4. Quartal 2021 deutlich spürbar.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Pandemie in der Schweiz keine Kündigungswelle verursacht hat. Es deutet auch wenig darauf hin, dass eine solche bevorsteht. Dank der starken konjunkturellen Erholung liegen die offenen Stellen inzwischen etwas über dem Niveau vor der Pandemie. Die Chancen, auch nach einer Kündigung eine neue Stelle zu finden, sind heute für die meisten Arbeitnehmer also intakt. Allerdings finden sich in den zur Verfügung stehenden Daten wenig Hinweise auf einen beschleunigten Strukturwandel – oder gar auf eine neue Einstellung der Schweizerinnen und Schweizer gegenüber der Arbeit.
Dieser Beitrag ist in der Zeitschrift Die Volkswirtschaft erschienen.