Konservative, Nationalisten, Liberale und Sozialdemokraten und weitere ringen um die besten Argumente und die Gunst der Wähler. Getrieben von oftmals ideologischen Überzeugungen werden zu konkreten Angelegenheiten verschiedenste Standpunkte vertreten. Wie positionieren sich da liberale Bewegungen?

Im Blogbeitrag «Wie ein glitschiger Fisch» zeigte sich, dass es unterschiedlichste Strömungen des Liberalismus gibt. Trotzdem lassen sich einige Charakteristika dieser Denkrichtung ausmachen: So hat beispielsweise die Freiheit des Individuums primär Vorrang vor jeglichen Beschränkungen. Restriktionen bedürfen einer guten Begründung. Klar ist auch, dass die Ärmsten Unterstützung erhalten sollen. Konkret können wir die Haltung des Liberalismus anhand zweier Beispiele explizieren: Zensur und Umverteilung. Während ersteres in diesem Beitrag unter die Lupe genommen wird, betrachten wir letzteres zu einem späteren Zeitpunkt.

Zensur?

Stell Dir vor, jemand entscheidet jeweils vorher, ob Du Deine Meinung im Klassenraum äussern darfst oder ob Du weiterhin still in der Ecke sitzen musst. Wie? – Das würde nie passieren? Weit gefehlt! Das Unterdrücken von Meinungen ist kein seltenes Phänomen. In einigen Ländern der Welt wird beispielsweise die Kommunikation zwischen Bürgern und der Presse staatlich oder kirchlich kontrolliert.

Paradebeispiel hierfür ist China. Geduldet werden nur Voten, welche die Partei unterstützen. Für Kritik gibt es (fast) keinen Raum, die Internetzensur ist allgegenwärtig. Aktuell liegt das Land bei der Pressefreiheit auf Rang 176 von 180. Lediglich Nordkorea, Syrien, Turkmenistan und Eritrea schränken die Presse noch mehr ein. Die Schweiz liegt auf Platz 7, in guter Gesellschaft mit Dänemark, Costa Rica, Belgien und den Niederlanden. Doch trotz relativ freier Presse gibt es auch bei uns Fälle, in denen versucht wird, die Meinungsfreiheit zu limitieren. So hat man beispielsweise den Ausschluss einer Genderforscherin an der Universität Basel gefordert mit der Begründung, sie habe sich abfällig in ihrem Blog über gewisse politische Kreise geäussert.

Doch ist das Thema der Meinungsfreiheit erst ein Thema seit Aufkommen des Internets und den damit einhergehenden unzähligen Möglichkeiten, sich zu äussern? Wie sah es eigentlich früher aus? Bereits 500 v. Chr. lassen sich bei den Römern zensurähnliche Praktiken nachweisen. So wurden beispielsweise durch das Zwölftafelgesetz Spottverse verboten. Doch obwohl die Wurzeln der Zensur bis in die Antike zurückreichen, finden sich – beispielsweise in der Schweiz – konkret fassbare Zensurbeschlüsse erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, als sich das Buch zum Massenmedium entwickelte. Insbesondere geistliche Würdenträger wehrten sich mit solchen Massnahmen gegen reformatorische Angriffe auf die kirchliche Lehrmeinung.

Meinungsfreiheit

Ab 1520 begannen die eidgenössischen Orte dann mit der Einrichtung von Zensurbehörden. So wurden in Zürich beispielsweise die städtischen Druckereien überwacht und der Verkauf auswärtiger Druckschriften kontrolliert. Bis ins 19. Jahrhundert konnte man kaum von einer freien Schweizer Presselandschaft sprechen. Erst ab 1830 begannen einzelne Kantone, insbesondere liberale Kantone, die Pressefreiheit zu proklamieren. So, dass schliesslich in der Bundesverfassung von 1848 die Meinungsfreiheit verankert wurde. Danach kam es letztmals in den beiden Weltkriegen vor, dass staatliche Behörden Einschränkungen der Pressefreiheit vornahmen. So durfte beispielsweise während des Zweiten Weltkrieges die Armee nicht kritisiert, die Neutralität nicht in Frage gestellt und die Landesregierung nicht in ihrem Ansehen geschmälert werden.

Vor diesem geschichtlichen Hintergrund ist also das Recht auf Meinungsfreiheit alles andere als selbstverständlich. Erst seit der Aufklärung, welche die Autonomie der Individuen in den Vordergrund stellte und insbesondere seit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich 1789 durch die Nationalversammlung, wird die Freiheit seine Meinung äussern zu können, als ein Menschenrecht anerkannt und verteidigt. Besonders Liberale haben sich dabei immer wieder als Vertreter der Meinungsfreiheit hervorgetan. Für sie spricht einiges für dieses Recht. Dennoch haben auch sie gewisse Bedenken und Argumente dafür, diese Form der Freiheit zu begrenzen. Zuerst: Was spricht für eine uneingeschränkte Meinungsfreiheit?

Zensur im digitalen Zeitalter? – Wie ein Versuch, die Krähen durch das Schliessen des Gartentores vom Gemüsebeet fernzuhalten. (Quelle: Fotolia)

Zum einen stellt die Meinungsfreiheit – in der Schweiz garantiert durch Art. 16 – ein hohes Gut dar. Diese sollte nicht eingeschränkt werden. Jeder Bürger hat das Recht, seine Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten. Dies gilt für Bücher, Reden, Darstellungen, Filmen und Vieles mehr. Ein Verbot käme einer Bevormundung gleich. Aufgrund welchen Weltbildes soll entschieden werden, wann etwas zensiert werden soll? Wir erinnern uns: Ein liberaler Staat sollte sich gegenüber den verschiedenen Lebensentwürfen neutral verhalten. Als Vertreter der Aufklärung weist bereits der französische Schriftsteller und Philosoph Voltaire darauf hin, welchen Stellenwert die freie Meinungsäusserung einnehmen sollte und wie problematisch Zensur sein kann:

«Das Recht zu sagen und zu drucken, was wir denken, ist eines jeden freien Menschen Recht, welches man ihm nicht nehmen könnte, ohne die widerwärtigste Tyrannei auszuüben. Dieses Vorrecht kommt uns von Grund auf zu; und es wäre abscheulich, dass jene, bei denen die Souveränität liegt, ihre Meinung nicht schriftlich sagen dürften.»

Die Zensur ist immer ein Eingriff in die persönliche Freiheit und gerade in einer Demokratie, in welcher die unterschiedlichen Meinungen und Ansichten aller Individuen im Wettbewerb zueinanderstehen, bräuchte es eine gute Begründung, warum dieses Recht beschnitten werden solle.

Verantwortungsbewusstsein

Zum anderen entspricht es dem liberalen Weltbild, dass Individuen einer Gesellschaft als mündig und verantwortungsbewusst angesehen werden und sich folglich kritisch mit divergierenden Meinungen auseinandersetzen können. Doch ist dies nicht eine allzu idealisierte Vorstellung der Politik und des öffentlichen Diskurses? Was ist, wenn Hassreden die Autonomie und Freiheit der Individuen untergraben? Hier hat sich beispielsweise John Stuart Mill kritisch dazu geäussert und das Aufhetzen eines Mobs (Hetzrede) als nicht mehr durch die Meinungsäusserungsfreiheit gedeckt gesehen. Schliesslich besteht hier ein Übergang hin zur Handlung und niemand könne «behaupten, dass Handlungen ebenso frei sein dürften wie Meinungen.»

Auch der österreichische liberale Philosoph Karl Popper (1902-1994) setzt sich in «Die offene Gesellschaft und ihre Feinde» kritisch mit der unlimitierten Meinungsfreiheit auseinander. Er veranschaulicht das Problem grenzenloser Meinungsfreiheit im Toleranz-Paradoxon: «Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.» Popper kommt daher zum Schluss, dass wir uns im Namen der Toleranz das Recht vorbehalten sollten, die Intoleranz nicht zu tolerieren. Offen bleibt hier jedoch, wann jemand als «Intolerant» zählt. Die Gefahr besteht, dass vermeintlich Intolerante zu Unrecht nicht toleriert werden.

Es gibt also durchaus Ansätze im Liberalismus, welche Grenzen der Meinungsäusserungsfreiheit ziehen. Doch selbst wenn man der Ansicht ist, dass diese Freiheit in einem gut begründeten Fall beschnitten werden soll, so ist doch Angriff oft die beste Verteidigung. In Zeiten von Internet und Smartphones ist es utopisch zu glauben, man könne ein Werk oder eine Rede vollständig zensieren. Der jeweilige Zugang dazu findet sich immer irgendwo in den Weiten des Internets. Hier eine Zensur vorzunehmen, entspräche dem Versuch, die Krähen mit dem Schliessen des Gartentores vom Gemüsebeet auszuschliessen. Wichtig bleibt das kritische Hinterfragen der Meinungen jedes Einzelnen im Diskurs.