Bei den grössten wirtschaftspolitischen Herausforderungen, Staatsverschuldung und Arbeitsmarktbeteiligung, können andere Länder von der Schweiz lernen: Dies ist das Fazit von vier führenden Ökonomen beim diesjährigen Zermatter Symposium. Allerdings leidet die Schweiz gerade unter ihrer Vorbildlichkeit.

«Die Frankenstärke beschäftigt die Politik rund um die Uhr», stellte Professor Aymo Brunetti fest. Bevor der Leiter Wirtschaftspolitik im Seco zu den langfristigen Leitlinien sprach, musste er sich deshalb zu den aktuellen Problemen äussern.

Er zeigte auf, dass die Schweizer Exportunternehmen einen «wahnsinnigen Kostenschock» erlitten hätten: Seit 2000 stiegen die Stückkosten in Franken mässig an, in Euro schnellten sie aber um fast 50% hoch – wie in Griechenland. Deshalb sprächen alle darüber, was der Bund tun solle: «Es ist aber nicht der Bund, der es in der Hand hat, etwas zu tun.» So würde ein gespaltener Wechselkurs Dutzende von Milliarden kosten. Die Nationalbank, meinte Brunetti, könne und müsse gegen die Frankenstärke angehen.

Lars Feld, Michael Hüther, Jan-Egbert Sturm und Aymo Brunetti (von links nach rechts) vor berühmter Kulisse

Mit Glück im Unglück durch die Krise

«Wir erlebten in der Tat eine enorm starke Aufwertung», bestätigte Professor Jan-Egbert Sturm, Leiter der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich. Die Schweiz, die «mit viel Glück im Unglück» durch die Finanzkrise kam – ein halbes Jahr später hätte sich das Problem der UBS nicht mehr so gut lösen lassen -, könne deshalb eine Wirtschaftskrise erleben, wenn der Franken auf dem aktuellen Niveau verharre oder sich gar weiter aufwerte.

Vorläufig sieht Sturm in seinen Zahlen aber keine Korrelation zwischen dem Wechselkurs und der Aussenhandelsbilanz. Die Stimmung hat sich zwar inzwischen auch bei den Banken und den Versicherungen abgeschwächt, sie liegt aber in allen Branchen noch im positiven Bereich. Und sie ist im Baugewerbe gar so gut wie noch nie. Dort erkennt Sturm denn auch am ehesten die Gefahr, dass es zu einem Einbruch kommen könnte wie Anfang der 1990er-Jahre. Nur bei den Eigentumswohnungen zeigen sich jedoch bisher Preissteigerungen wie damals: «Von einer Immobilienblase sind wir noch weit entfernt.»

Schuldenbremse als Modell für Europa

Die grösste Gefahr drohe gegenwärtig darin, meinte Brunetti, dass die Schweiz unter dem Druck der Frankenstärke eine schlechte langfristige Wirtschaftspolitik betreibe. Sie würde damit den Erfolg der beiden Massnahmenpakete der Wachstumspolitik gefährden, die auch die beiden deutschen Referenten würdigten: einerseits die Erhaltung der hohen Arbeitsmarktpartizipation und die Steigerung der Arbeitsproduktivität, anderseits die Stabilisierung der Staatsfinanzen dank der Schuldenbremse.

«Es ist erstaunlich, wie schnell sich die Schweizer an die Schuldenbremse gewöhnt haben», sagte Professor Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. «Die Schuldenbremse ist ein Modell für Europa.» In den deutschen Bundesländern, die ab 2020 einen ausgeglichenen Haushalt aufweisen müssen, sei diese Diskussion bereits angekommen: «Besonders eindrücklich sind die Anpassungen in den neuen Ländern – sie wissen, dass es ab 2019 nichts mehr gibt.»

Michael Hüther während seiner Präsentation

Dieselbe «Schuldenintoleranz» entwickle sich auch in Europa, meinte Hüther. «Es gibt deshalb eine klare Botschaft, was man machen muss: nichts.» Die Euro-Bonds dürften nicht kommen, Italien und Spanien sich nicht unter den Rettungsschirm stellen: «Sie sollen gefälligst ihre Probleme selber lösen.» Ein Land, das sich nicht selber helfen könne, lasse sich höchstens für eine gewisse Zeit aus dem Regelmechanismus herausnehmen. Euro-Bonds würden aber das Ende der europäischen Integration bedeuten: «Wer Europa zu einem Ende bringen will, muss sie jetzt einführen.»

Eine Insolvenzordnung für die Staaten

Dem stimmte Professor Lars P. Feld vom Walter Eucken Institut weitgehend zu. Nur Griechenland, meinte er als Mitglied des deutschen Sachverständigenrates, könne nicht allein auf den Weg der Tugend zurückfinden. Deshalb helfe hier nur ein Schuldenschnitt von 160% auf 110% des BIP. Die anderen Länder müssten ihre Probleme selber in den Griff bekommen, vor allem mit ihrer Arbeitsmarktpolitik. So erhielten die Finanzmärkte starke Signale, wenn Spanien, mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 45%, den verkrusteten Kündigungsschutz aufweichen oder Frankreich die 35-Stunden-Woche abschaffen würde.

Vor allem forderte Feld aber langfristig eine Insolvenzordnung für Staaten: Dies gäbe den Märkten die richtigen Signale, dass keine Gläubiger eine Vorzugsbehandlung erwarten dürfen. Auch dafür sah Feld das Vorbild in der Schweiz, wo überschuldete Gemeinden wie Leukerbad keinen «bail out» erfahren.

Den wahren Grund, weshalb die Schweizer so solid sein müssen, verriet allerdings Professor Charles Blankart in der Diskussion: «Die Schweiz ist so unbeliebt – wer in der Welt würde sie retten?»

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