Den grössten Gestaltungsspielraum haben die Arbeitnehmer in der beruflichen Vorsorge, wenn sie nicht nur die Anlagestrategie, sondern auch den Leistungserbringer frei wählen können. Es gibt viele Argumente für eine solche Reform, die dem Wettbewerbsgedanken bei den Pensionkassen zum Durchbruch verhelfen und eine stärkere Ausrichtung der Produktgestaltung an den Bedürfnissen der einzelnen Arbeitnehmer ermöglichen würde:
- Heute stehen zwar die unterschiedlichen Anbieter in Konkurrenz zu einander, aber der einzelne Angestellte hat nur einen sehr geringen Einfluss auf die Wahl der paritätisch besetzten Vorsorgekommission. Die wenigsten Stellensuchenden können sich den Luxus leisten, eine Position aufgrund suboptimaler Vorsorgelösungen abzulehnen. Viel häufiger sind jene anzutreffen, die trotz drohender oder bestehender Sanierungsmassnahmen einen Job annehmen müssen. Mit der Entkoppelung der Vorsorgelösung vom Arbeitsplatz könnten Angestellte ihren Vorsorgepartner selber aussuchen und auch nach einem Stellenwechsel beibehalten.
- Die Koppelung der Vorsorge an den Mitarbeiter statt an den Arbeitsplatz würde auch den 300‘000 Erwerbstätigen zugutekommen, die für zwei oder mehrere Arbeitgeber tätig sind. Trotz eines Gesamtlohns über der BVG-Eintrittsschwelle von 20‘880 Fr. werden jene von der beruflichen Vorsorge oft nicht erfasst, weil der Koordinationsabzug mehrfach abgezogen wird. Die Zusammenführung aller Daten eines Versicherten bei einer Vorsorgeeinrichtung würde die BVG-Abdeckung dieser Personengruppe vereinfachen.
- Dazu käme die Möglichkeit, Vorsorge- und Arbeitsplatzrisiken zu diversifizieren. Heute haben die wenigsten Pensionskassen hinreichende Wertschwankungsreserven, manche sind bereits in Unterdeckung. Schliesst z.B. ein Unternehmen Teile seiner Produktion oder verlagert sie ins Ausland, muss die Pensionskasse teilliquidiert werden. Ist sie in Unterdeckung, verliert der Mitarbeiter dann nicht nur seinen Job, sondern auch einen Teil seiner Altersguthaben. Durch die Koppelung der Vorsorge an den Mitarbeiter statt an den Arbeitsplatz könnten zumindest diese Risiken getrennt werden.
Auf internationaler Ebene gibt es Erfolgsgeschichten mit der freien Pensionskassenwahl: Die Etablierung der «Superannuation Funds» in Australien im Jahr 2005 führte zu verbessertem Kundendienst und erhöhter Transparenz in Bezug auf Gebühren und Performance. Chile kennt die freie Wahl der «Administradora de Fondos de Pensiones (AFP)» schon seit 1981. Allerdings ist die Anzahl der dortigen Kassen von zwölf (1980) auf mittlerweile fünf zurückgegangen. Bei einer derart kleinen Anbieterzahl besteht das Risiko eines Oligopols, was wiederum den Kostenwettbewerb erschwert. In der Schweiz mit ihren ca. 2300 Pensionskassen ist dieses Risiko so gut wie ausgeschlossen.
Weniger Komplexität und günstigere Vermögensverwaltung
In der Schweiz ist die Einführung der freien Pensionskassenwahl seit längerem stark umstritten. Zu Recht wird moniert, dass die freie Pensionskassenwahl durch die Arbeitnehmer in einem ersten Schritt höhere Kosten erzeugt, da sich dann die berufliche Vorsorge von einem Business-to-Business- zu einem Business-to-Client-Geschäftsmodell transformiert. Die Vertriebskosten würden aufgrund intensiverer Werbekampagnen und individueller Kundenbetreuung zunehmen.
Gleichzeitig aber würde die Komplexität der angebotenen Produkte signifikant vereinfacht, um sie für ein breites Publikum verständlich zu machen. Auch davon sind schlankere interne Prozesse und Kosteneinsparungen zu erwarten. Dank der freien Pensionskassenwahl erhielten zudem die Arbeitnehmer die Möglichkeit, «mit den Füssen abzustimmen», was die Konsolidierung der heute knapp 2300 Vorsorgeeinrichtungen beschleunigen würde. Eine Konzentration auf ca. 300 Pensionskassen – was in etwa der Anzahl Bankinstitute in der Schweiz entspricht – würde signifikante Skaleneffekte ermöglichen, vereinen doch die 2000 kleinsten Kassen lediglich 15% der Bilanzsumme aller Vorsorgeeinrichtungen auf sich (siehe Bild).
Die dadurch um bis zu 800 Mio. Fr. jährlich niedrigeren Kosten der (Vermögens-)Verwaltung würden die Mehrausgaben für Werbung und Marketing bei weitem kompensieren. Anders ausgedrückt: Es ist – zu ähnlichen Kosten wie heute – möglich, ein neues Vorsorgesystem zu installieren, das die individuellen Bedürfnisse der Arbeitnehmer besser berücksichtigt.
Weitere Artikel aus dieser Reihe:
- Die Altersvorsorge muss sich der Gesellschaft anpassen
- Mehr Spielraum bei der Wahl der Anlagestrategie in der Berufsvorsorge
- Den Umwandlungssatz entpolitisieren
- Grösserer finanzieller Spielraum dank flexiblerem Vorsorgesparen
Mehr Informationen zum Thema finden Sie in dem soeben bei NZZ Libro erschienenen Buch «Verjüngungskur für die Altersvorsorge».