Die Zweitwohnungsinitiative bringt einen tiefgreifenden Strukturwandel mit sich. Wie dieser bewältigt wird, hängt auch stark vom Ausführungsgesetz ab.
Die Annahme der Zweitwohnungsinitiative ist ein Paukenschlag und hat weitreichende Folgen für die Wirtschaftsstruktur im Berggebiet. Zu lange hat man sich auf den Bau immer neuer Zweitwohnungen verlassen und ganze Wertschöpfungsketten darauf aufgebaut – von lokalen Bauunternehmen und Handwerkern bis hin zu Planungsbüros und Inneneinrichtern.
Verschleiss der Landschaft
Nun zeichnet sich für weite Teile der Bergkantone – also in Gemeinden, wo die Grenze von 20 Prozent Zweitwohnungsanteil bereits überschritten ist – ein deutliches Schrumpfen der Baubranche ab. Das Wirtschaftsforum Graubünden schätzt, dass in einigen Regionen bis zu 15 Prozent der Arbeitsplätze verloren gehen könnten. Schon länger war absehbar, dass der Zweitwohnungsbau – zumindest in seiner exzessiven Form – kein nachhaltiges Geschäftsmodell ist. Zweitwohnungsanteile von 50 bis 80 Prozent sind in vielen «Hot Spots» inzwischen die Norm. Dadurch verschleissen die Tourismusorte ein zentrales Standortkapital: schöne Landschaften und intakte Ortsbilder. Zudem kannibalisieren Zweitwohnungen die Nachfrage in der Hotellerie, und kalte Betten verursachen hohe Infrastrukturkosten. Es gibt also einen Zielkonflikt zwischen wiederkehrender Wertschöpfung in der Tourismuswirtschaft und kurzfristiger Wertschöpfung in der Baubranche.
Daher wird der Zweitwohnungsbau in den touristisch geprägten Bundesländern Österreichs (Salzburg, Tirol, Vorarlberg) viel strikter gehandhabt als bei uns. Obwohl diese Probleme schon lange bekannt waren, wurde kaum Gegensteuer gegeben. Auf Bundesebene wurde 2011 ein neuer Artikel 8 im Raumplanungsgesetz eingefügt, der jedoch viel zu schwammig formuliert wurde. Unter den Tourismuskantonen hat bisher nur Graubünden auf Ebene Richtplan umfassende Reglungen zum Zweitwohnungsbau erlassen und mit dem Werkzeugkasten Zweitwohnungen gut durchdachte Vollzugshilfen entwickelt. Dass dieser Kanton nun von der Initiative für die Sünden anderer – wie etwa des Wallis oder des Tessins – in Sippenhaft genommen wird, ist unschön, denn gegen einen moderaten Zweitwohnungsbau wäre grundsätzlich wenig einzuwenden.
Ersatzneubauten ermöglichen
Mit der Annahme einer sehr restriktiven und starr formulierten Initiative kommt es aber nun quasi über Nacht zum «kalten Entzug». Die Herausforderung besteht nun darin, das Ausführungsgesetz so zu gestalten, dass es dem Berggebiet hilft, den Strukturwandel hin zu nachhaltigeren Geschäftsmodellen zu bewältigen. Hierfür bedarf es nicht nur flexibler Regelungen für strukturschwache Gebiete, die von Abwanderung betroffen sind. Ebenso wichtig sind Mechanismen, die den Nachfragedruck und die damit verbundenen Investitionen so lenken, dass er zu einer qualitativen Verbesserung des vorhandenen Zweitwohnungsbestandes und der Ortsbilder in den Tourismusgemeinden führt.
Zum einen gibt es das in die Jahre gekommene Stockwerkeigentum der 1970er und 1980er Jahre, dessen Modernisierung bisher unterblieb, da es einfacher war, auf der grünen Wiese zu bauen. Für derartige Objekte müssen im Ausführungsgesetz Ersatzneubauten ermöglicht und angesichts der zersplitterten Eigentumsverhältnisse effizientere Koordinationsmechanismen entwickelt werden. Auch sollte das Ausführungsgesetz Anreize zur Revitalisierung historischer Ortskerne und die Lenkung von Investitionen in die Sanierung historischer Bausubstanz enthalten. Nicht nur der Gesetzgeber, auch die Baubranche und die Projektentwickler vor Ort sind gefragt, ihre Geschäftsmodelle entsprechend anzupassen. Das aber wohl wichtigste Element einer Vorwärtsstrategie für die betroffenen Berggebiete ist die Stärkung der Tourismuswirtschaft und der traditionellen Hotellerie.
Kalte Betten umwandeln
Dabei spielt die bessere touristische Bewirtschaftung des grossen, bereits vorhandenen Zweitwohnungsbestandes eine wichtige Rolle: Auch für die Umwandlung von kalten in warme Betten sollten mit dem Ausführungsgesetz Anreize geschaffen werden. Es wäre wünschenswert gewesen, diese Herausforderungen mit mehr Zeit und mit flexibleren Instrumenten anzugehen. Nun jedoch gilt es, das Beste aus der neuen Situation zu machen. Hier müssen die Initianten, aber auch das Unterland, das die Restriktionen mehrheitlich befürwortet hat, Hand bieten. Ein sinnvoll ausgestaltetes Ausführungsgesetz muss helfen, eine neue Geschäftsgrundlage für Berggebiete zu entwickeln, die bisher vom Zweitwohnungsbau lebten.
Dieser Artikel erschien am 17. März 2012 in der «Neuen Zürcher Zeitung».
Mit freundlicher Genehmigung der «Neuen Zürcher Zeitung».