Das Coronavirus ist angekommen. In den Medien schon vor vielen Wochen mit grossem Vorsprung, in der schweizerischen Realität Ende Februar. Die Herausforderung wirft (einmal mehr) die Frage auf, welche Aufgaben, Rechte und Pflichten der Staat hat.
Dass der Bundesrat vorerst Veranstaltungen mit über 1000 Personen verboten hat, bedeutet eine erhebliche Einschränkung individueller Freiheit und hat für Veranstalter, Sportclubs etc. drastische Auswirkungen. Im Vergleich zu China, wo ganze Millionenstädte abgeriegelt und der öffentliche Verkehr eingestellt wurden, ist die Massnahme allerdings geradezu harmlos. Die richtige Mischung zwischen Risikoverminderung und Freiheitseinschränkungen zu finden, ist ein Balanceakt. Es kann nicht überraschen, dass ein kollektivistischer, autoritärer Staat wie China ein anderes Gleichgewicht zwischen diesen Polen findet als ein individualistischer, (basis-) demokratischer wie die Schweiz.
Klar ist: Wir haben es in Sachen Sterblichkeit nicht mit Schreckgespenstern à la Ebola zu tun. Ebenso klar ist unterdessen aber auch: Das Coronavirus verursacht eine deutlich höhere Sterblichkeit als die üblichen Grippeviren, und die Inkubationszeit dauert mit einem Medianwert von 5 Tagen (und Extremwerten von bis zu 2 Wochen) viel länger als bei der Grippe, was die Ansteckung erleichtert. Wer also das Virus als Verschwörung von Big Government (um uns zu gängeln) und Big Pharma (um uns bald teure Impfungen zu verkaufen) abtut, darf getrost der Aluhutfraktion zugeordnet werden.
Mit ihren drastischen Massnahmen scheint die chinesische Regierung Erfolg zu haben. Die Zahl der Menschen mit Erkrankung sinkt in China schon seit Wochen; unterdessen gibt es deutlich mehr Genesene als Erkrankte – so denn Peking die Zahlen wahrheitsgetreu kommuniziert.
In Europa ist der weitere Verlauf dagegen noch unklar und weist im Moment leider die typische exponentielle Funktion auf. Das bundesrätliche Grossveranstaltungsverbot scheint vor diesem Hintergrund gerechtfertigt – ob es auch hinreichend ist, muss sich zeigen. Einige Kantone gehen in ihren Bestimmungen schon jetzt deutlich weiter.
Berechtigt, wenn auch nicht einfach zu beantworten, ist allerdings auch die Frage, ob der Bund nicht die Veranstalter für die Verluste, die er ihnen durch seinen hoheitlichen Akt beschert, finanziell entschädigen sollte. Völlig aus der Luft gegriffen sind hingegen die letzten Sonntag von Exponenten des Gewerkschaftsbundes geäusserten Forderungen, der Bund solle in globale Lieferketten eingreifen und die SNB solle mit ihren Reserven Konjunkturprogramme zu Gunsten des Klimaschutzes finanzieren. Die Aufgabe des Bundes besteht in dieser Sache im Bevölkerungsschutz. Wie daraus Investitionen gegen den Klimawandel abgeleitet werden sollen, ist schleierhaft. Dass die Coronakrise schon in einem so frühen Stadium ausgenutzt wird, um auf ihrem Buckel Interessenpolitik zu betreiben, kann man nur als verwerflich bezeichnen.
Das Mikrosteuer-Virus
Auf eine verwandte Frage, nämlich wie der Staat seine Aufgabenerfüllung finanzieren soll, gibt eine Volksinitiative, für die seit letzter Woche Unterschriften gesammelt werden, eine absurde Antwort: Alle Bundessteuern sollen durch eine «Mikrosteuer» auf bargeldlosem Zahlungsverkehr ersetzt werden. Letzterer beläuft sich gemäss Schätzung des Bankenprofessors und Mitinitianten Marc Chesney auf mindestens 100 Billionen Franken jährlich, was etwa dem 150fachen (!) der gesamtschweizerischen Wertschöpfung (BIP) entspricht. Naiv wird vorgerechnet, schon mit einem Steuersatz von 0,05% – also «kaum spürbar» – könnten so 50 Mrd. Fr. generiert werden. Stolz wird darauf verwiesen, es sei ja bekannt, dass die optimale Steuer eine möglichst breite Steuerbasis mit einem möglichst geringen Steuersatz belaste. Das Ei des Kolumbus muss hier also gefunden worden sein!
Dass dem nicht so ist, sollte eigentlich jedem schon beim eben genannten Vergleich mit dem schweizerischen BIP auffallen: Ein Betrag in dieser Grössenordnung kann nur «virtueller» Natur sein und mit der Wertschöpfung als solcher nichts zu tun haben. Die Wertschöpfung des gesamten Bankensektors liegt bei 33 Mrd. Fr., mit den Versicherungen kommt man auf 63 Milliarden. Chesney selber räumt ein, dass 90% der besteuerten Transaktionen dem Bankensektor entsprängen.
Dass eine Branche mit Wertschöpfung von 33 Mrd. Fr. keine Steuerlast von 45 Mrd. Fr. tragen wird, sollte sich von selbst verstehen. Auch das Argument der breiten Steuerbasis zerfällt bei der ersten analytischen Berührung zu Staub: Eine breite Steuerbasis mit tiefem Steuersatz ist darum erwünscht, weil sie Verhaltensanpassungen der Besteuerten und damit wohlfahrtssenkende Verzerrungen minimiert. Die Finanzbranche würde ihr Verhalten aber auch beim auf dem Papier winzigen Steuersatz von 0,05% drastisch anpassen, denn 50 Milliarden bleiben nun mal 50 Milliarden. Die Steuerbasis ist eben nicht breit, wie die Zahl von 100 Billionen suggeriert, sondern äusserst schmal, weil sie fast ausschliesslich auf den Finanzsektor mit seiner Wertschöpfung von 33 Milliarden entfällt. Die Banken würden Transaktionen gegenseitig aufrechnen, wo möglich minimieren oder im Ausland durchführen. Und sollte das nicht in ausreichendem Mass funktionieren, verliesse die Branche die Schweiz schlicht.
Das ist keine Spekulation, sondern wird von einschlägigen Erfahrungen, die einige Länder Südamerikas mit ähnlichen Instrumenten gemacht haben, bestätigt. Chesney bestreitet solche Umgehungsmanöver nicht grundsätzlich. Seine Lösung dafür ist simpel: Wenn 80% der Transaktionen vermieden oder ins Ausland verschoben würden, müsste die Steuer halt auf 0,3% erhöht werden. So habe man ja dann wieder 50 Milliarden. So einfach ist das also.
Einige der Initianten hatten sich schon für das Grundeinkommen (Abstimmung im Sommer 2016) eingesetzt. Schon damals wurde vorgerechnet, dass mit einer Transaktionssteuer 0,2% das gesamte Grundeinkommen finanziert und mit weiteren 0,2% alle bisherigen Steuern und Abgaben ersetzt werden könnten. Da fragt man sich: Warum nicht einfach den Steuersatz auf diese wundersamen Finanztransaktionen auf 0,7% erhöhen und damit das gesamte schweizerische BIP von 700 Mrd. Fr. finanzieren? Wer auf solche Ideen kommt, muss schon von einem ganz seltsamen Virus befallen sein.