Eine breite Schweizer Öffentlichkeit dürfte erstmals Anfang 2015 auf internationale Schiedsgerichte aufmerksam geworden sein. Damals wurde durch die Medien publik, dass zwei türkische Geschäftsleute vom Bund Schadenersatz in Höhe von 750 Mio. $ fordern. Der durch die offizielle Schweiz bestrittene Anspruch bezieht sich auf das Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und der Türkei aus dem Jahr 1988. Der Vorwurf lautet auf Verletzung des Abkommens, da die Schweiz Geld von Bankkonten der beiden Türken unrechtmässig beschlagnahmt und an den türkischen Staat bzw. an Dritte herausgegeben habe.

Art. 8 des Investitionsschutzabkommens zwischen der Schweiz und der Türkei legt fest, dass bei Streitigkeiten für die maximale Dauer von 12 Monaten Beratungen zwischen den Parteien aufgenommen werden. Sollte dies zu keiner Einigung führen, kann der betroffene Investor vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) der Weltbank in Washington, D.C., Klage einreichen. Der Bund hat eine spezialisierte Anwaltskanzlei mit Vorbereitungsarbeiten beauftragt, um für die Konsultationsphase und eine allfällige Klage gewappnet zu sein. Für die Schweiz ist dies Neuland, wurde sie doch bisher noch nie vor das ICSID gerufen.

Ein neuer Trend in der Rechtsprechung

International ist festzustellen, dass die Zahl der Freihandelsabkommen und Verträge wächst, in denen zur Streitschlichtung zwischen Staaten und ausländischen Investoren bzw. Unternehmen nicht auf ein Gericht in einem Vertragsstaat, sondern auf ein internationales Schiedsgericht verwiesen wird. Hohe Wellen schlägt in Europa ein entsprechender Passus im geplanten TTIP-Abkommen zwischen der EU und den USA. Gegner von Schiedsgerichten sprechen gerne von Intransparenz und fehlender demokratischer Kontrolle. Sie monieren, dass entsprechende Abkommen oft missbraucht werden, weil vor allem US-Unternehmen zusammen mit spezialisierten Anwaltskanzleien auf sogenannten «fishing expeditions» möglichst hohe Vergleichs- oder Schadenersatzzahlungen zu erreichen versuchen.

Tatsache ist, dass die Rechtsfälle des ICSID im Internet öffentlich einsehbar sind. Bisher wurden von insgesamt 553 Klagen (Stand Mitte Dezember 2015) 116 durch US-Firmen eingereicht, also 21%. Berücksichtigt man die Wirtschaftskraft der Vereinigten Staaten von Amerika (Anteil am globalen BIP: 22%) und ihre ausgeprägte internationale Verflechtung, scheint der Beweis für eine übermässige Klagefreudigkeit der USA vor dem ICSID noch auszustehen.

Ebenfalls ist es Tatsache, dass 50% der Klagen vor dem ICSID sich gegen nur 15 Staaten richten: Mit 9% aller Klagen führt Argentinien die Liste an, gefolgt von Venezuela (7%) und Ägypten (5%). Ein Vergleich mit dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International offenbart einen implizit vermuteten Zusammenhang: Staaten mit grassierender Korruption werden häufiger vor dem ICSID eingeklagt. Argentinien belegt Rang 107, Venezuela Rang 161 und Ägypten Rang 94. Im Durchschnitt kommen die 15 «Top-Beklagten» auf Rang 99 im Korruptionswahrnehmungsindex. Natürlich gibt es noch korruptere Destinationen. Nordkorea und Somalia bilden zusammen auf Rang 174 das Schlusslicht. Aber deren wirtschaftliche Bedeutung für den Welthandel oder gar als Zielort für Direktinvestitionen liegt nahe Null.

Mehr Recht für alle

Die Klagemöglichkeit ist übrigens nicht einseitig. Auch Staaten haben das Recht, Unternehmen einzuklagen und vor den ICSID zu bringen. Gerade wirtschaftlich schwächere Länder wie Gabun oder Peru haben bereits gegen ausländische Unternehmen geklagt. Gabun erreichte einen Vergleich mit dem Beklagten, einem privaten, französischen Unternehmen, das die Geburtsabteilung für ein Spital bauen sollte. Das Verfahren dauerte rund 17 Monate. Dass internationale Verfahren auch schnell abgeschlossen werden können, illustriert der Fall Peru gegen eine spanische Firma. Es ging um den Kapazitätsausbau der Elektrizitätsübertragung. Das Verfahren wurde im September 2013 vor dem ICSID eröffnet und im Dezember des gleichen Jahres bereits wieder geschlossen. Die Parteien konnten sich auf eine Schadenersatzzahlung von knapp 37 Mio. $ und eine Kostenentschädigung von 3 Mio. $, beides zugunsten Perus, einigen.

Schiedsgerichte wie der ICSID senken die Hürden für internationale Investitionen. Dank «fremden Richtern» sind Investoren weniger der Willkür lokaler Verwaltungen ausgesetzt und können auf ein Mindestmass an Planungs- und Rechtssicherheit zählen. Abrupte oder gar rückwirkende Änderungen des Rechts, Enteignungen oder zu geringe Entschädigungen für Produktionsanlagen werden für Regierungen allein durch die Existenz internationaler Schiedsgerichte zu ziemlich riskanten Strategien. Das Privateigentum sowie Treu und Glauben als zentrale Grundlagen einer liberalen Wirtschaftsordnung werden damit gestärkt.