In den 1990er-Jahren haben die Schweden ihr System der Altersvorsorge für den demografischen Wandel fit gemacht. Die Schweizer können von ihren Erfahrungen lernen, wenn sie sich an die überfällige Reform der AHV und beruflichen Vorsorge machen.
Unter Experten, Politikern ohne Scheuklappen und in der informierten Öffentlichkeit gibt es kaum mehr Zweifel am Reformbedarf in der schweizerischen Altersvorsorge. Er ist vor allem die Folge tiefer Geburtenraten und der steigenden Lebenserwartung. Der demografische Wandel fordert die Finanzierung der Vorsorgeeinrichtungen heraus. Es wird erwartet, dass die Finanzierungslücke in der AHV von 1,2 Milliarden Franken im Jahr 2020 bis 2030 auf 8,6 Milliarden anwachsen wird. Da gilt es zu beachten, dass die Überlebensfähigkeit von Vorsorgeeinrichtungen von der konsequenten Berücksichtigung demografischer Faktoren abhängt.
Schweden hat eine radikale Reform weitgehend hinter sich. Seit 15 Jahren ist ein Vorsorgesystem in Kraft, das für den demografischen Wandel fit gemacht wurde. Der Blick über die Grenze lohnt sich.
Die Ziele der schwedischen Reform
Die schwedische Reform wollte erstens die nachhaltige finanzielle Stabilität der Vorsorgeeinrichtungen sicherstellen. Deshalb wird die Höhe der Rente von den individuell einbezahlten Beiträgen der Versicherten abhängig gemacht. Ungleichgewichte zwischen Guthaben und Verbindlichkeiten im Rentensystem werden durch einen Mechanismus automatisch korrigiert. Die Rentenhöhe wird mit der korrekt ermittelten Lebenserwartung in Einklang gebracht.
Zweitens müssen sozialpolitisch begründete Umverteilungen transparent sein und aus dem allgemeinen Staatshaushalt, nicht aber über Vorsorgebeiträge finanziert werden. Die «Garantierente», die Pensionären mit einer kleinen oder gar keiner einkommensbezogenen Rente eine Grundsicherung bietet und an die Höhe der einkommensgebundenen Rente gebunden ist, wird aus dem staatlichen Budget finanziert.
Ebenfalls aus dem Staatshaushalt finanziert sind subjektbezogene und bedarfsgeprüfte Leistungen für Senioren, darunter besonders Beiträge an die Wohnkosten und Zuschüsse an die Gesundheitskosten.
Um eine Erosion der Altersrenten zu vermeiden, wurden drittens Anreize für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit geschaffen. Das Regelrentenalter wurde abgeschafft. Nach dem Überschreiten des Mindestpensionierungsalters von 61 Jahren besteht hingegen die Möglichkeit, Teilrenten zu beziehen und weiter zu arbeiten.
Viertens wollte man die Versicherten als mündige Bürger behandeln und ihnen die freie Wahl der Anlagestrategien und Anlageprodukte ermöglichen. Der Wettbewerb zwischen den Anbietern soll die Ausrichtung auf die Kundenbedürfnisse fördern.
Ziel noch nicht ganz erreicht
Die Reformen sind in mancherlei Hinsicht erfolgreich. Die finanzielle Stabilität blieb trotz Finanzkriese intakt, Umverteilungen erfolgen auf transparente Weise. Ganz am Ziel angelangt sind die Schweden allerdings noch nicht. So sind viele Versicherte von der Fülle an Wahlmöglichkeiten überfordert. Die Menschen arbeiten zwar länger; das effektive durchschnittliche Renteneintrittsalter stieg seit Mitte der neunziger Jahre um rund ein Jahr. Sie arbeiten aber zu wenig lang, um den zu erwartenden Rückgang der Renten zu vermeiden. Erfreulich: Je besser die berufstätigen ausgebildet sind, desto länger bleiben sie im Erwerbsleben.
Die Lehren für die Schweiz
Die Schweiz kann aus den schwedischen Erfahrungen lernen. Folgende Lehren lassen sich ziehen:
-
Der Einbau automatischer Stabilisatoren dient dem Erhalt und der Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen Guthaben und Verbindlichkeiten. Der politischen Einflussnahme sind dadurch Grenzen gesetzt. Das sollte das Vertrauen in die nachhaltige Leistungsfähigkeit der Alterssicherung stärken.
-
Das Rentensystem wird stabiler, wenn der Bestimmung der Rentenhöhe aktuelle Annahmen zur Lebenserwartung nach dem Pensionierungsantritt zu Grunde liegen. Das ist in der ersten und zweiten Säule der schweizerischen Altersvorsorge nicht der Fall. Die versicherungstechnischen Kennzahlen beruhen auf veralteten Grundlagen. Das wird das drohende finanzielle Ungleichgewicht in der AHV verstärken und zu noch mehr systemwidriger Umverteilung in der beruflichen Vorsorge führen.
-
Der Verzicht auf ein Regelrentenalter, altersunabhängige Beitragssätze an die Sozialversicherungen und die Möglichkeit des Bezugs von Teilrenten beseitigen Schranken für die Berufstätigkeit in vorgerücktem Alter. Flexible Arbeitszeit- und Pensionierungsmodelle sowie die Anpassung der Stellenprofile älterer Mitarbeiter erleichtern die Altersarbeit. Die Beschäftigten müssen bereit sein, in neuen Funktionen und mit reduziertem Einkommen zu arbeiten.
-
In der Schweiz begegnet man der freien Wahl der Anlagestrategie in der beruflichen Vorsorge mit Skepsis. Die Skeptiker befürchten unangemessenen Aufwand, aber auch Fehlinvestitionen der Versicherten, die dazu führen können, dass sie im Alter mit den Vorsorgegeldern nicht auskommen. Diesem Risiko kann Rechnung getragen werden, wenn die freie Wahl der Anlagestrategie auf das Überobligatorium beschränkt und die Wahlmöglichkeit in überschaubarem Rahmen gehalten wird.
Transparenz über die Leistungen der Altersvorsorge verhilft zu verantwortungsvollen Pensionierungs- und Sparentscheiden.
Dieser Artikel erschien in der «Zürcher Wirtschaft» vom 17. Juli 2014.