Der Frankenschock war auch ein Zinsschock. Wer sich vor dem 15. Januar – als die SNB den Mindestkurs aufgab – ein niedrigeres Zinsniveau nicht hatte vorstellen können, wurde eines Besseren belehrt: Die Rendite der Bundesobligationen ist derzeit sogar negativ. Für Investoren stellt dies keinen Grund zum Feiern dar, besonders wenn sie die Vermögenssteuer zu entrichten haben. Das ist bei vielen KMU-Besitzern der Fall. Denn die Vermögenssteuer ist als Sollertragssteuer definiert: Nicht der konkrete Ertrag wird besteuert, sondern eine angenommene Rendite. In einem Niedrigzinsumfeld kann dies zu einer horrenden Steuerbelastung führen.

Wie horrend hoch genau? Um dies zu schätzen, muss die Vermögenssteuer in eine Kapitalertragssteuer umgerechnet werden. Kapitalertrags- und Vermögenssteuer tun nämlich weitgehend dasselbe: eine Steuerschuld einfordern, die aus dem Kapitalertrag (beispielsweise Zinsen und Dividenden) bezahlt werden muss, wenn die Substanz erhalten bleiben soll. Ist die Rendite des Vermögens gering, wird das zusehends schwierig.

Addierte Belastungen

Bereits bei einer Vermögensrendite von 1% und einem Vermögenssteuersatz von 1‰ wirkt die Vermögenssteuer wie eine äquivalente Kapitalertragssteuer von 10%. Fällt die Vermögensrendite unter 0,25% – oder liegt der Vermögenssteuersatz über der Promillegrenze -, übersteigt die Vermögenssteuer den maximalen Grenzsteuersatz der Einkommenssteuer, der in der Schweiz bei rund 40% liegt.

Weil die Einkommenssteuer ebenfalls den Kapitalertrag erfasst, addieren sich die zwei Steuern zu Gesamtbelastungen, die mehr als 100% des Kapitalertrags betragen können. Die Steuerbelastung auf der Rendite des Vermögens ist also umso höher, je weniger rentabel das Vermögen ist. Insofern kratzt die Vermögenssteuer sogar am Prinzip der Leistungsfähigkeit der Besteuerung.

Belastungen in dieser Höhe sind nicht nur aus Sicht der Steuergerechtigkeit ein Problem. Sie verursachen Verzerrungen, die sich in unterschiedlichen Verhaltensanpassungen der Besteuerten äussern. Einige Steuerpflichtige werden versuchen, die Steuern zu umgehen, andere werden viele Ressourcen für die Steueroptimierung einsetzen – Ressourcen, die produktiver eingesetzt werden könnten. Im Extremfall werden sie gänzlich auf Investitionen verzichten und das Vermögen verzehren. Der Anreiz, selbst unternehmerisch tätig zu werden, wird auf diese Weise geschwächt.

Niedrige Zinsen spiegeln auch die mangelnden Investitionsopportunitäten im aktuellen Marktumfeld – und dies lässt sich nicht leicht beeinflussen. Eine hohe effektive Besteuerung des Vermögens und des Kapitalertrags ist hingegen eine direkte Folge des Steuersystems. Es erstaunt daher nicht, dass sich viele Finanzwissenschaftler – von Exoten wie Thomas Piketty abgesehen – immer wieder für eine Milderung der Vermögensbesteuerung ausgesprochen haben.

Keine gute Idee

Ausgangspunkt vieler Reformvorschläge ist die Erkenntnis, dass Vermögen nichts anderes als aufgeschobenen Konsum darstellt. Eine seit Jahrzehnten immer wieder diskutierte Alternative sieht deshalb den Übergang zu umfassenderen Konsumsteuern vor. Als Steuerbasis würde nicht ein fiktiver Sollertrag dienen, wie dies bei der Vermögenssteuer der Fall ist, sondern die tatsächlichen Ausgaben für den Konsum. Damit könnte die Vermögens- und Ersparnisbildung geschont werden.

Umso bedenklicher also, dass in der Schweiz eine Volksinitiative die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer verlangt – und dadurch das Betriebsvermögen noch stärker besteuert werden soll. In einer für die Unternehmen ohnehin schwierigen Phase wie dieser ist das keine gute Idee.

Dieser Artikel erschien unter dem Titel «Niedrige Zinsen zehren an der Substanz»
in der  «Finanz und Wirtschaft» vom 21. März 2015.