Finanzstabilität wird allgemein definiert als die Fähigkeit des Finanzystems, seine gesamtwirtschaftlichen Aufgaben auch unter Stress und in Umbruchphasen zu erfüllen. Damit sind die Erwartungen verbunden, dass die Allokation von Ersparnissen in produktive Investitionen effizient ist und die Finanzmärkte die finanziellen Risiken richtig einpreisen. Für die Finanzstabilität ist das reibungslose Zusammenspiel von Geldpolitik, Banken- und Finanzmarktaufsicht von entscheidender Bedeutung.

Unscharfe Abgrenzung

Die Finanzstabilitätspolitik umfasst eine Vielzahl sogenannter mikro- und makroprudenzieller Instrumente. Die mikroprudenzielle Aufsicht beschränkt sich auf die Überwachung der einzelnen Banken. Die makroprudenzielle Überwachung umfasst dagegen alles, was darüber hinaus geht. Allerdings ist die Abgrenzung auf der operativen Ebene längst sehr fliessend, z.B. bei antizyklischen Kapitalpuffern, Liquiditätsdeckungquoten, Belehnungs- und Verschuldensobergrenzen, Kredit-/Kreditwachstumsbegrenzungen, sektoralen Risikogewichtungen usw.

Im Unterschied zur klassischen Geldpolitik, die sich mit einem klaren Inflations-, Geldmengen- oder Wechselkursziel definieren lässt, ist die Finanzstabilitätspolitik ein weites Ermessensfeld, wenn es um die Einschätzung systemischer Finanzmarktrisiken geht. Umso wichtiger ist deshalb die institutionelle Unterscheidung zwischen mikro- und makroprudenzieller Aufsicht, konkret die Arbeitsteilung zwischen der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und der FINMA.

Niedrigzinspolitik bringt Geldpolitik ins Dilemma

Die makroprudenziellen Massnahmen verdanken ihre Existenz im Grunde genommen der Niedrigzinsstrategie der wichtigsten Notenbanken. Diese stellt die Geldpolitik vor ein Dilemma. Einerseits vermag zwar die Geldpolitik die Nachfrage kurzfristig zu stützen, anderseits kann sie nicht dauerhaft bessere Bedingungen für realwirtschaftliches Wachstum garantieren. Das ist die Aufgabe der staatlichen Wirtschaftspolitik. Die niedrigen Zinsen und die reichliche Liquidität fördern, wie man aus der Erfahrung weiss, Preisblasen an den Finanz- und Immobilienmärkten, aber diese mit Zinserhöhungen einzudämmen, fällt den Notenbanken in einem Umfeld tiefer Inflation, schwacher Konjunktur und notleidender Staatshaushalte schwer. Nicht zuletzt deshalb sind die makroprudenziellen Massnahmen zu einem wichtigen Standbein der Finanzstabilitätspolitik geworden.

Avenir Suisse hat sich sowohl im Buch «Ideen für die Schweiz» als auch im Diskussionspapier «Zentralbanker als Zauberlehrlinge?» mit der Finanzstabilitätspolitik befasst. Einerseits wird darin angesichts der globalen Vernetztheit der Finanzsysteme die Erweiterung der Bankenaufsicht um eine makroprudenzielle Perspektive begrüsst. Die neuen und in ihrer Wirksamkeit noch ungewissen Instrumente setzen das Finanzsystem aber erheblichen Eingriffen aus, was wiederum eine klare Governance erfordert.

Der Idealfall

Die makroprudenzielle Aufsicht sollte klar der SNB zugeordnet werden, da makroprudenzielle Massnahmen zu einem wichtigen Standbein der Finanzstabilitätspolitik geworden sind. (Bild: Fotolia)

Die makroprudenzielle Aufsicht sollte klar der SNB zugeordnet werden, da makroprudenzielle Massnahmen zu einem wichtigen Standbein der Finanzstabilitätspolitik geworden sind. (Bild: Fotolia)

Aus Sicht von Avenir Suisse sollte die mikroprudenzielle Aufsicht allein und vollumfänglich der FINMA obliegen, mit dem Ziel, für die Stabilität der einzelnen Institute zu sorgen. Nicht dazu gehören sollte die Einschätzung der Gefahren, die sich aus der Schieflage einzelner Institute für die Gesamtwirtschaft ergeben. Das sollte Aufgabe der SNB sein, deren Fokus auf der Widerstandfähigkeit des ganzen Finanzsystems liegen muss. Obwohl zwischen der Geldpolitik und der makroprudenziellen Aufsicht Zielkonflikte möglich sind, ist es sinnvoll, diesen Zielkonflikt innerhalb einundderselben Institution zu lösen. Zum einen leitet sich eine gedeihliche gesamtwirtschaftliche Entwicklung ja gerade aus dem Zusammenspiel der primären Oberziele der SNB – Preisstabilität und Systemstabilität – ab. Zum andern ermöglicht die Bündelung der Kompetenzen Entscheide mit der nötigen Konsequenz und Schnelligkeit. Mit Blick auf den Machtzuwachs der SNB ist es allerdings wichtig, dass dem Einsatz der makroprudenziellen Instrumente eine umfassende Kosten-Nutzen Analyse (Regulierungs-Check) zugrunde liegt und dass darüber umfassend orientiert wird, damit eine externe politische und wissenschaftliche Prüfung möglich wäre.

Die Realität

Die gegenwärtige gesetzliche Regelung sieht jedoch anders aus. Harte makroprudenzielle Massnahmen wie etwa die Einführung des antizyklischen Kapitalpuffers auf den 30. September 2013 erlässt der Bundesrat auf Empfehlung der SNB und nach Anhörung der FINMA. Aus Sicht von Avenir Suisse ist diese Situation nicht optimal. Der Bundesrat entscheidet mehr nach politischen als nach sachgerechten Kriterien, vor allem dann, wenn die SNB und die FINMA unterschiedlicher Meinung sind. Er wird dann meist versuchen, zwischen beiden Institutionen zu vermitteln. Unterschiedliche Meinungen zwischen der SNB und der FINMA finden zudem in der Regel den Weg an die Öffentlichkeit, was sachgerechte Entscheide zusätzlich erschwert. Ausserdem werden auf beiden Seiten unnötige Ressourcen für die gleichen Aufgaben gebunden. Und schliesslich kann auch Profilierungsgehabe bei staatlichen Stäben nie ausgeschlossen werden.

Dass eine mangelhafte institutionelle Ausgestaltung der mikro- und makroprudenziellen Aufsicht zu erheblichen politischen Problemen führen kann, hat sich unlängst in Schweden gezeigt, wo die Unabhängigkeit der Zentralbank unter Druck kam: Dort hat sich die Finanzaufsicht kurz vor Jahreswechsel gegen die Vorschläge der Riksbank ausgesprochen, die mit einer vorgezogenen Höchstverschuldungsquote für Banken die Immobilienkrise entschärfen wollte. Die Finanzaufsicht wurde in ihrem Ansinnen sogar von der Regierung unterstützt.

Die laufende Regulierungsdiskussion im Zusammenhang mit Finanzdienstleistungs-, Finanzinfrastruktur- , Finanzinstituts- und Finanzmarktaufsichtsgesetz böte Gelegenheit, die Schwachstellen in der makroprudenziellen Aufsicht der Schweiz zu beseitigen. Schliesslich gilt es immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass sich mit höheren Eigenkapitalpolstern der Banken systemische Risiken besser auffangen lassen als mit einer übermässigen regulatorischen Feinsteuerung.