Warum reden wir immer mehr über die Medien?

Liberalismus konkret Wie das Totschlagargument Fake-News den Schlagabtausch und Wettbewerb des zwanglosen Zwangs des besseren Arguments gefährdet

Medien werden selbst immer mehr zum Gesprächsthema. Eine konstruktive Medienkritik ist unerlässlich. Der pauschale Vorwurf von «Fake-News» ist hingegen gefährlich und verhöhnt den Beitrag, den die Medien täglich zum Fortbestand einer freiheitlichen Gesellschaft leisten.

Die auf internationaler Ebene wiederkehrende «Fake-News»-Debatte aber auch die nationale, breite  Diskussion im Vorfeld der «NoBillag»-Initiative zeigten beispielhaft, dass der Journalismus und die traditionellen Medienorganisationen immer mehr selbst zum Gesprächsstoff werden. Diese Entwicklung ist sowohl Ausdruck als auch Katalysator einer sich verändernden Medienwahrnehmung, die weitgehend dem Ende der Machtstellung der Massenmedien geschuldet ist. Die Einbussen im Deutungshoheitsmonopol sind an sich nicht negativ und eine intensivere gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Medien ist begrüssenswert. Doch der pauschale Vorwurf von gleichgeschalteten Fake-News ist demokratietheoretisch gefährlich und wird dem wichtigen Beitrag, den die Medien täglich für eine funktionierende, liberale Demokratie leisten, nicht gerecht.

Medienfreiheit als Gradmesser für menschliche Freiheit

Das Kernmodell des demokratischen Herrschaftssystems basiert auf der Entmachtung einer gewählten politischen Staatsgewalt zu Gunsten seiner Bürger. Das im Staatsapparat tätige Personal ist nicht «Herr», sondern vielmehr «Diener» des Volks. Ausgangspunkt im Sinne einer Loslösung von einer möglichen staatlichen Bevormundung ist aus liberaldemokratischer Perspektive entsprechend der mündige und informierte Bürger sowie ein funktionierendes öffentliches Räsonnement. Denn um den eigentlichen Vorteil der demokratischen Regierungsform – die Kontrolle der Regierung durch das Volk – wahrzunehmen, ist die Bevölkerung auf entsprechende Information angewiesen. Heute beziehen wir den grössten Teil der wichtigen Auskünfte neben dem Abstimmungsbüchlein aus den Medien, welche die erforderlichen Informationen beschaffen, auswählen und so zusammenstellen, dass wir sie verstehen und unsere eigene Meinung bilden können. Dadurch stellen Medien eine Verbindung zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern her. Gleichzeitig üben sie selbst eine Kontrollfunktion gegenüber den Machthabern aus und decken Missbräuche im Gemeinwesen auf, weshalb Medien oft als «Wachhunde» der Demokratie oder die «vierte Gewalt» bezeichnet werden. Kein Wunder sieht man bei Militärputschen üblicherweise zuerst die Pressefreiheit flöten gehen. So gelten Meinungs- und Pressefreiheit heute als ein Gradmesser für bürgerliche Freiheit; wo sie herrschen, sind auch andere Grundfreiheiten gewährleistet. Diese Freiheit ist weder selbstverständlich noch zufällig, sondern das Produkt eines langwierigen und konfliktreichen gesamtgesellschaftlichen Reifeprozesses.

Welche Informationen stimmen? Wie sind sie zu bewerten? – Die Bewertung von Informationen ist heute häufig schwieriger als der Zugang zu ihnen. (Foto: Felicia Buitenwerf on Unsplash)

Das Problem liegt heute, zumindest in demokratischen und hochindustrialisierten Ländern, weniger in der Informationsbeschaffung, sondern viel mehr in der Informationsüberflutung. Durch die Digitalisierung sind erstens die technischen Hürden des Informationszugangs enorm gesunken. Zweitens sind neue intermediäre Akteure in den Markt getreten, die verdeutlichen, dass publizistische Leistungen, in Form von Blogs, Vlogs, Podcasts usw., auch unabhängig von traditionellen Medieninstitutionen oder Organisationen erbracht werden können. Der Medienmarkt hat sich infolgedessen von einem Angebots- zu einem Nachfragemarkt entwickelt. Ferner decken neue Medien allfällige Lücken und Defizite traditioneller Berichterstattung auf, was das Misstrauen ihnen gegenüber befeuert. Das gesamte Mediensystem, seine Normen und Akteure, werden dabei auf den Prüfstand gestellt.

Fest steht, dass die traditionellen Massenmedien nicht nur an Reichweite, sondern auch an Vertrauen und Relevanz eingebüsst haben. Die Entkoppelung von den breiten Bevölkerungsmassen manövriert sie, die sich lange als alleinige Produktions-, Bereitstellungs- und Distributionskanäle von relevanten Informationen sahen, in eine unangenehme Rechtfertigungslage. Die zunehmende Unzufriedenheit schlägt sich auch in einer heftigen Medienkritik nieder, die sich nicht mehr nur auf konkrete journalistische Fehler beschränkt, sondern den Medien pauschal vorwirft, willentlich zu «lügen».

«Fake-News» und «Lügenpresse» als Totschlagargumente

Letztere Kritik mutiert dabei zum Totschlagargument: Alles, was nicht der eigenen Meinung entspricht, wird als Fake-News diskreditiert. Dadurch verfällt alles in einen Relativismus, in dem Wahrheit und Fakten nichts mehr bedeuten. Zerrüttet wird die Übereinkunft, dass man zwar anderer Meinung sein kann, sich jedoch auf einer gegenseitig anerkannten Faktengrundlage verständigt. Sowohl Bürger als auch politische Entscheidungsträger sind aber in einer funktionierenden Demokratie auf einen gewissen Grad an Einverständnis, darüber was Realität ist, angewiesen. Ansonsten scheitert der demokratische Entscheidungsprozess bereits bei der Problemdefinition. Mit dem Totschlagargument Fake-News entzieht man sich weiter genau jener deliberativen Auseinandersetzung, dem Schlagabtausch und Wettbewerb des zwanglosen Zwangs des besseren Arguments, der in einer freiheitlichen Demokratie so wichtig ist.

Es ist zentral, dass die Bevölkerung den Medien nicht blind vertraut, weshalb eine lebendige Medienkritik wünschenswert ist. Hier sind aber die Medienschaffenden auch selbst in der Pflicht, durch einwandfreie Arbeit Vorwürfe der ungenügenden journalistischen Qualität zu entkräften. Schliesslich gehören auch Journalisten bestimmten Korrekturmechanismen unterstellt. Doch die Diskreditierung der gesamten Medienlandschaft und die damit verbundene, pauschale Anschuldigung der willentlichen Verbreitung von Unwahrheiten verhöhnt den wichtigen Beitrag, den die Medien für die Gesellschaft leisten und versetzt unsere Kommunikationskultur in einen gefährlichen Relativismus, wo zwischen Realität und Fiktion nicht mehr unterschieden werden kann.

Dieser Beitrag ist Teil der Blogserie «Liberalismus konkret», in welcher wir uns mit den Errungenschaften liberalen Denkens und Handelns befassen.

Titelbild: Photo by Elijah O'Donnell on Unsplash
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Liberalismus konkret

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