Nun also auch noch die Schweizer Bauern. Nach umgekehrten Ortschildern und aufgehängten Gummistiefeln an den Ortseingängen drohen sie nun – den ausländischen Vorbildern entsprechend – mit Verkehrsblockaden. Der Schweizer Bauernverband (SBV) ruft nicht direkt dazu auf, postet aber auf seiner Website prominent ein Bild eines Trekkercorsos aus Deutschland, verlinkt mit der Medienmitteilung «Die Forderungen der Landwirtschaft». Suggestive Wirkung: Lenkt ihr nicht ein, legen wir mit unseren Traktoren die Schweiz lahm. Der Präsident des kantonalen Berner Bauernverbandes schloss dies unlängst – medial wirksam verbreitet – nicht mehr aus. Bereits weiter ist die Westschweizer Bauerngewerkschaft Uniterre, sie liessen vor kurzem in Genf die Diesel-PS röhren.

Die Schweizer Bauernverbände versuchen, die Proteste im Ausland für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Dabei stehen vor allem zwei Ziele im Vordergrund: Erstens soll im Rahmen der bundesrätlichen Sparbemühungen das Agrarbudget nicht angetastet werden. Die Steuermilliarden in den Sektor sollen auch in Zukunft sprudeln – trotz einem seit Jahrzehnten steten Rückgang der Anzahl der Höfe. Gibt rechnerisch mehr Subventionen pro Hof.  Es ist deshalb uneinsichtig, weshalb ausgerechnet der Agrarsektor von den Sparbemühungen ausgenommen werden sollte. Der ausgewiesene Ressourcenbedarf in anderen Politikbereichen – zum Beispiel aufgrund der geopolitischen Lage (Stichwort: militärische Verteidigungsfähigkeit) – ist wohl grösser als für die Einkommensstützung des Agrarsektors.

Weiter sollen die Margenanteile entlang der Wertschöpfungskette umverteilt werden: von den Verarbeitern und Detailhändlern zu den Produzenten, sprich den Landwirten. Ein wichtiger Grund für die aktuelle Margenverteilung ist die seit dem zweiten Weltkrieg praktizierte Agrarpolitik: Sie begünstigte – insbesondere aufgrund des Importschutzes – das Entstehen von zwei dominanten Detailhändlern, die gleichzeitig die grössten Verarbeiter kontrollieren. Die Möglichkeiten für die Bauern sind dadurch eingeschränkt, der Druck auf ihre Absatzpreise – so wird moniert – hoch.

Mit beiden Zielen soll die Einkommenssituation der Bauern verbessert werden. Dies wirft die Frage auf, ob die Höfe in den letzten Jahren tatsächlich einen bedeutenden Einkommensverlust hinzunehmen hatten. Um es kurz zu machen: nein. Zwischen 2012 und 2022 stiegen die landwirtschaftlichen Einkommen  pro Hof um mehr als 19’000 Franken. Über mehr als ein Jahrzehnt betrachtet, sanken sie nur zweimal: 2015 aufgrund tieferer Preise für Milch und Schweinefleisch sowie gesunkener Naturalerträge bei einzelnen Acker-, Futter- und Obstbaukulturen. Und 2022 waren die Gründe die starke Teuerung bei den Produktionsmitteln und die weiter gesunkenen Preise auf dem Schweinemarkt.

Doch wer nur das landwirtschaftliche Einkommen betrachtet, vergisst, dass viele Bauern rund 30% des gesamten Hofeinkommens ausserhalb der Landwirtschaft erzielen. Das so aufaddierte Gesamteinkommen erreichte 2021 pro Hof mit über 111’000 Franken einen bisherigen Höhepunkt, die Abnahme 2022 war mit rund 700 Franken auf das gesamte Jahreseinkommen gesehen marginal.

Nun mag man argumentieren, dass sich das Hofeinkommen im Vergleich zum Einkommen der übrigen Haushalte unterdurchschnittlich entwickelt habe, die «Bauernfamilien» also abgehängt worden seien. Schauen wir uns die dafür zur Verfügung stehenden Datensätze genauer an – sie bestehen seit 2015: Im Vergleich zu den übrigen Haushalten sind die landwirtschaftlichen und ausserlandwirtschaftlichen Einkommen pro Hof stärker gewachsen. Auch umgerechnet auf die Vollzeitäquivalente (VZÄ) pro Hof war die Erhöhung höher. Die Differenz zwischen dem Anstieg des Einkommens pro Hof und der Kurve für die VZÄ signalisiert, dass in der Betrachtungsperiode mehr VZÄ pro Hof beschäftigt waren.

Unterschiedliche Einkommensentwicklung (2015–2022). Das Diagramm zeigt, dass das Haushaltseinkommen landwirtschaftlicher Betriebe stärker angestiegen ist als jenes nichtlandwirtschaftlicher Haushalte.

Anzumerken ist, dass die Unterschiede zwischen Berg- und Talbetrieben gross sind und hier nur der Durchschnitt wiedergegeben wird. Talbetriebe verdienten in der Vergangenheit teils massiv mehr, Höfe in Berggebieten oft viel weniger als der Durchschnitt. Die Agrarpolitik versucht dies durch Zuschläge zugunsten der Bergbetriebe auszugleichen. Doch der bisherige politische Ansatz scheint nicht zum Erfolg geführt zu haben. Ein Teil der steuerfinanzierten Subventionen landet bei Talbetrieben, die kostengünstiger zu bewirtschaften sind als jene in Berggebieten – viele davon dürften wohl auch ohne die öffentlichen Gelder vom erzielten Markteinkommen leben können.

Verkehrsblockaden mit Traktoren sind ein medial und politisch wirksames Instrument, um auf die eigenen Forderungen aufmerksam zu machen. Wer wollte da angesichts des gebetsmühlenartig wiederholten Narrativs der armen Bauernfamilien nicht helfen? Das Problem ist, dass von den Steuermitteln nicht nur die wirklich betroffenen Höfe profitieren, sondern letzten Endes der ganze Agrarsektor. Die in der aktuellen AHV-Debatte kritisierte Giesskanne einer 13. Rente ist im Agrarsektor längst Realität. Das Augenmass ging schon lange verloren.