Da die Bedeutung von Elektrizität in unserem Energiesystem steigt und sich Strom in wesentlichen Aspekten von Energieträgern wie Öl und Gas unterscheidet, gilt es, einige Besonderheiten der Stromversorgung zu diskutieren. Es sind dies das permanent einzuhaltende Gleichgewicht zwischen Stromproduktion und -konsum sowie die Herausforderung, elektrische Energie effizient und ökonomisch über längere Zeiträume zu speichern.
2018 wurden 25% des Schweizer Endenergiebedarfs mit Strom aus Wasser- und Kernkraftwerken gedeckt. In der Jahresbilanz wird ein Exportüberschuss von 1,6 Mrd. kWh ausgewiesen. Allerdings sind diese Zahlen nur bedingt aussagekräftig. Im Winterhalbjahr ist die Schweiz auf Importe in der Grössenordnung von mehr als 5000 GWh angewiesen, der Selbstversorgungsgrad fällt auf ca. 80%. Umgekehrt produziert die Schweiz im Sommer einen Stromüberschuss, der in den Export geht. Damit verändert sich auch der CO2-Gehalt des in der Schweiz konsumierten Stromes über die Jahreszeit: Da im Winter teilweise Strom aus fossiler Produktion aus Deutschland importiert wird, steigt die Menge an CO2 pro kWh und kann bei hoher Nachfrage vom Durchschnittswert von ca. 50 g CO2 / kWh auf über 250 g CO2 / kWh ansteigen. Zu beachten ist, dass in den Sommermonaten auch ohne Kernkraft der heutige Bedarf gedeckt wäre.
Gleichgewicht von Stromproduktion und -nachfrage
Diese Betrachtung mit hoher zeitlicher Auflösung ist von grosser Bedeutung. Um das Stromnetz europaweit stabil zu halten, müssen zu jedem beliebigen Zeitpunkt Produktion und Nachfrage im Gleichgewicht stehen. Entsprechend sind Spitzen in der Produktion oder in der Nachfrage immer eine Belastung für das System und klein zu halten.
Ursache für diese Problematik ist die Schwierigkeit, Strom zu speichern. Während man Öl, Gas oder Biomasse über längere Zeit aufbewahren kann, ist das bei Strom nicht gegeben. Elektrische Energie kann in chemische Energie umgewandelt werden, indem z.B. eine Batterie aufgeladen wird oder mit einem Elektrolyseur Wasserstoff aus Wasser gewonnen wird. Alternativ gibt es die Möglichkeit, in Pumpspeicherkraftwerken den Strom zu speichern oder Strom in Wärme umzuwandeln. In jedem Fall sind die Speicherprozesse und die anschliessende Rückwandlung in Strom mit Verlusten verbunden – sofern diese überhaupt möglich und sinnvoll ist. Generell sind die Speicherkapazitäten heute limitiert. Batterien und Pumpspeicherkraftwerke lassen sich nur als kurzzeitige Speicher ökonomisch einsetzen. Stauseen, Wasserstoff und allenfalls daraus hergestelltes synthetisches Methan (Power-to-gas) sowie Wärmespeicher verfügen über ein Potenzial für längerfristige Speicherung.
Nicht zu vergessen ist das Stromnetz, das heute stark auf die Produktion von Strom in grossen zentralen Anlagen und die anschliessende Verteilung auf kontinentaler, regionaler und lokaler Ebene ausgerichtet ist. Mit der absehbaren Zunahme von dezentral produziertem Strom drängen sich Anpassungen auf. Die Schweiz spielt hier im europäischen Kontext eine wichtige Rolle, da grosse Strommengen durch unser Land fliessen. Angesichts der eher noch zunehmenden Abhängigkeit von Stromimporten ist eine gute institutionelle Einbindung in das europäische Stromnetz von Vorteil.
Elektrifizierung der Mobilität hebt Nachfragekurve
Zusammenfassend lassen sich die Herausforderungen aus den Veränderungen auf der Angebots- und Nachfrageseite einerseits und den spezifischen Charakteristika von Strom andererseits exemplarisch in Abbildung 2 darstellen: Für das Jahr 2015 wurde die Produktion durch die Kernkraftwerke herausgerechnet und die Hälfte der geeigneten Dächer in der Schweiz wurden mit Photovoltaik-Modulen belegt. Damit lässt sich über das ganze Jahr gerechnet die gleiche Menge Strom produzieren wie mit den Kernkraftwerken. Allerdings kommt es zu einer massiven Abweichung zwischen Angebot und Nachfrage. Die Stromproduktion hat ihre Spitze im Sommer (Säulen in der Grafik), während das Maximum des Verbrauchs im Winter anfällt (Kurve). Durch die Elektrifizierung der Wärmebereitstellung für Gebäude nimmt zudem der Strombedarf im Winter massiv zu. Eine teilweise Elektrifizierung der Mobilität hebt die Nachfragekurve über das ganze Jahr nochmals an.
Die bis anhin praktizierte Lösung, die benötigte Menge an Strom im Winter aus dem Ausland zu importieren und den Überschuss im Sommer zu exportieren, dürfte in Zukunft nur noch bedingt umsetzbar sein. Durch den Ausbau von Photovoltaik und den Rückgang von Bandproduktion im benachbarten Ausland wird sich deren Profil demjenigen der Schweiz angleichen, d.h. alle Nachbarländer werden im Sommer Überschüsse produzieren und im Winter bestenfalls ihren Eigenbedarf decken können. Das bedeutet, dass viele heute im Winter exportierende Länder zukünftig im Winter ebenfalls auf Importe angewiesen sein werden. Ein grosser saisonaler Nachfrageüberhang ist absehbar.
Handlungsoptionen für die Energiepolitik
Um die in der Klimapolitik gesteckten Ziele erreichen zu können, braucht es eine darauf abgestimmte Energiepolitik. Die zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen lassen sich anhand der leicht modifizierten Kaya-Identität diskutieren (vgl. Kaya-Identität). Um eine klimaneutrale Schweiz (CO2 = 0) zu erreichen, muss einer der vier Faktoren in der Kaya-Identität null werden, oder das verbleibende Produkt wird mit CO2-negativen Technologien (z.B. Carbon capture and storage) kompensiert.
Eine signifikante Reduktion über den Faktor Bevölkerung ist sehr unwahrscheinlich. In praktisch allen Szenarien wird von einem leichten Bevölkerungswachstum in den nächsten Jahrzehnten ausgegangen. Eine Suffizienzstrategie könnte zu einer Reduktion des Bruttoinlandproduktes pro Kopf führen – ein unerwünschter Effekt, der in der gegenwärtigen Corona-Krise genau zu beobachten ist: Die Wirtschaftsleistungen reduzieren sich, die Mobilität hat massiv abgenommen, die Freizeit wird grossmehrheitlich zu Hause oder in der nächsten Umgebung verbracht, und damit sinken automatisch die CO2-Emissionen. Die damit einhergehenden Einschränkungen sind aber massiv, und es ist eine offene Frage, ob die Herausforderung «Klimawandel» eine vergleichbare und zudem permanente Veränderung auslösen kann. Zudem führt eine Suffizienzstrategie auch zu weniger freien Mitteln, die für die notwendigen technologischen Anpassungen zur Verfügung stehen.
Es verbleiben damit die beiden technologischen Faktoren Energieeffizienz und Dekarbonisierung sowie die Einlagerung von CO2 (Carbon capture and storage) als Handlungsoptionen. Letzteres würde den Rahmen dieser Ausführungen sprengen, wird aber einen wichtigen Beitrag leisten müssen, wenn wir die Zielsetzungen erreichen wollen.
Die Verbesserung der Energieeffizienz steht in der Energiestrategie des Bundes an erster Stelle und verfügt über ein längst noch nicht ausgeschöpftes Potenzial. Effizienz bedeutet, mit möglichst geringem Einsatz von Energie einen gewünschten Nutzen zu erreichen, etwa als Raumwärme, für den Personentransport oder die Produktherstellung.
Während im Gebäudesektor zwischen 1990 und 2018 der Energiebedarf für Wärme pro m2 Energiebezugsfläche um 38% abnahm, ist das Bild beim strassengebundenen Personenverkehr sehr unbefriedigend. Nebst der Mengenausweitung durch das Bevölkerungswachstum wurden technische Effizienzgewinne auf der Antriebsseite durch Mehrverkehr überkompensiert. Eine Dekarbonisierung der Energieversorgung für Fahrzeuge hat zudem noch nicht in einem nennenswerten Ausmass stattgefunden, so dass 2018 die CO2-Emissionen durch Treibstoffe 3% höher lagen als 1990. Interessant ist ein Vergleich zwischen Strasse und Schiene: Pro Personenkilometer braucht die Bahn ca. 4,5 Mal weniger Energie als der Personenwagenverkehr. Energieeffizienz ist bestenfalls ein Kriterium unter vielen, die unser Mobilitätsverhalten bestimmen. Komfort, Individualität, Verfügbarkeit und anderes mehr sind mindestens so wichtig.
Chance Photovoltaik
Das grösste Potenzial für die Reduktion der CO2-Emissionen hat der vierte Faktor in der Kaya-Identität: die Bereitstellung von CO2-freier Energie. Global gesehen steht mehr als genug erneuerbare Energie zur Verfügung, um unseren Bedarf zu decken. In der Schweiz hat insbesondere die Photovoltaik ein enormes Potenzial. Mit der Nutzung von 50% der geeigneten Dachflächen könnte die gleiche Menge Strom produziert werden wie mit den Kernkraftwerken. Darüber hinaus könnten auch noch die anderen 50% der Dächer genutzt werden, und es gibt heute schon attraktive Lösungen für die Integration von Photovoltaik in Fassaden. Diese haben zudem den Vorteil, dass sie auch im Winter einen guten Ertrag erbringen. Wichtig ist, dass der Ausbau sofort an die Hand genommen wird, solange die Kernkraftwerke noch in Betrieb sind. Gleichzeitig muss aber eine Lösung gefunden werden, um einen möglichst grossen Anteil des Überschusses sowohl auf Tagesbasis als auch saisonal verwerten zu können. Dafür stehen verschiedene Möglichkeiten offen:
- Die Erhöhung der Flexibilität durch «Tagesspeicher», sei es mit Batterien oder Wasserstoff, und die Möglichkeit, Lasten zu verschieben (z.B. Boiler tagsüber laden).
- Die Schaffung von Flexibilitäten in Verbrauch und Produktion, die von verschiedenen Stellen im Netz bedient werden können, ist eine Voraussetzung für eine effiziente und sichere Versorgung. Hier bietet die Digitalisierung Chancen.
- Die Umwandlung von überschüssigem Strom im Sommer in Wasserstoff und evt. zusammen mit CO2 aus der Luft in Methan oder flüssige synthetische Kohlenwasserstoffe. Chemische Energieträger lassen sich gut lagern und vielfältig verwenden.
- Aufladen von saisonalen Wärmespeichern mit Überschussstrom, um so den Energiebedarf im Winter zu reduzieren.
Eine höhere Solarproduktion erzeugt zwar im Sommer grössere Überschüsse, sie generiert aber im Winter ebenfalls eine höhere Einspeisung und reduziert damit das saisonale Speicherproblem. Letztlich müssen diese Ungleichgewichte in entsprechende Preissignale umgesetzt werden, um eine Lenkungswirkung entfalten zu können.
Weiterführende Informationen: Nachhaltige Antriebskonzepte