Neue E-Commerce-Anbieter mit schlanken Logistikstrukturen und wenig Personal intensivieren den Wettbewerb in der Branche. Gemäss einer Studie des Verbandes des Schweizerischen Versandhandels (VSV), der Post und des Marktforschungsinstituts GfK werden immer mehr Non-Food-Artikel, so zum Beispiel 24% aller Elektronik-Artikel, online bestellt. Insgesamt verbucht der Online- und Versandhandel in der Schweiz knapp 7 Mrd. Fr. Umsatz, das entspricht rund 7% des gesamten Detailhandelsmarktes. Der entsprechende Anteil liegt in Deutschland, basierend auf einer Studie des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel (bevh), mit über 11% bereits deutlich höher. Es ist zu erwarten, dass auch in der Schweiz Online-Anbieter weitere Marktanteile gewinnen. Der rasche Wandel der Detail- und Fachhandelsbranche ist nicht neu, seit mindestens den 1970er Jahren spricht man vom «Lädelisterben». Damals führte die Eröffnung grosser Shopping-Zentren zu einer Änderung des Einkaufsverhaltens, heute die Etablierung der Internet-Shops.
Einkaufstouristen verschärfen den Druck
Der Druck auf die Branche wurde weiter erhöht, als die Schweizerische Nationalbank anfangs 2015 den Mindestkurs aufgab und sich der Wert des Schweizer Frankens schlagartig erhöhte. In der Folge schwoll der Strom von Einkaufstouristen aus der Schweiz in die Nachbarländer an und erklomm 2015 mit rund 11 Mrd. Fr. Ausgaben einen neuen Höchststand. Während sich Schweizer Konsumenten in Weil am Rhein oder Konstanz gegenseitig auf die Füsse treten, beschleunigte sich das Ladensterben in Basel und Kreuzlingen.
Eine zusätzliche Herausforderung für kleinere stationäre Händler ist das international einzigartige Duopol, das den Schweizer Markt prägt. Der Grundstein dafür wurde in der Konsolidierungswelle der 1990er Jahre gelegt. So erwarb Coop u.a. den Konsumverein Zürich (KVZ), Waro und EPA. Ebenfalls aufgekauft, aber im Markenauftritt unabhängig belassen, wurden Interdiscount, Fust (der vorgängig Eschenmoser übernommen hatte), Import Parfumerie, Christ und Body Shop Schweiz. Auch Migros war nicht untätig und übernahm u.a. Globus, Interio, Office World, Schild und Denner, der bereits vorher PickPay geschluckt hatte. Die hohe Marktkonzentration spiegelt sich auch bei den kleinen, lokalen Läden wider. Im Food- und Near-Food-Bereich setzen die beiden Grossverteiler auf ein Franchise-Konzept, das mit kleinen Läden an zentralen Lagen funktioniert. Migrolino und Coop Pronto nehmen eine Feinerschliessungsfunktion wahr, die früher oft durch unabhängige Quartierläden sichergestellt wurde.
Onlinehandel: Gesucht ist unternehmerisches Flair
Die Herausforderungen lassen sich nicht ignorieren oder gar aktiv bekämpfen. Sehr kurzfristig mögen Appelle an den Patriotismus helfen (z.B. «Aus der Region. Für die Region.», «Von uns. Von hier.», «Miini Region»), mittelfristig werden nur der Anpassungsdruck weiter erhöht und die Strukturwandelkosten steigen. Es sind vielmehr Massnahmen zu ergreifen, die den Wandel als Chance sehen. Dazu sollte auf betriebliche und politische Massnahmen fokussiert werden. Zu den betrieblichen Massnahmen zählen die Anpassung der Aus- und Weiterbildung, die kritische Analyse der eigenen Differenzierung sowie die Optimierung der Kundenbeziehung.
Der Beruf des Detailhändlers wird sich anpassen müssen, die Grundlagen dafür sind in der Bildung zu schaffen. Die zwei klassischen Detailhandelslehren sind aufzuwerten. Die Ausbildung zum Detailhandelsfachmann sollte mit mehr strategischen und Technologie-relevanten Fragestellungen angereichert werden. Überlegungen zum Geschäftsmodell, der Preisstruktur für Produkte und Dienstleistungen und dem Einsatz von Technologie zur Optimierung der Prozesse werden zusehends wichtiger. Eine umfassende Allgemeinbildung und die Analyse von Branchen-Fallstudien unterstützen den Transfer von Lösungsansätzen auf die eigene unternehmerische Situation. Dies schafft neue Sichtweisen auf die Herausforderungen und führt zu neuen Geschäftsideen. Ein gewisses unternehmerisches Flair, gepaart mit Kreativität, ist dabei sicher hilfreich und sollte nicht durch vorgefertigte Lösungsansätze behindert werden. Das Verlassen der eigenen Komfortzone und Experimentieren mit neuen Ideen ist notwendig, um ein zukunftsfähiges betriebliches Modell zu finden. Ebenfalls wichtig ist der Erwerb der technologischen Kompetenz. Dabei geht es weniger um die eigenen Programmierfähigkeiten, als um den Erwerb eines Instrumentariums, das hilft, technologische Entwicklungen einzuschätzen, die Chancen für den eigenen Betrieb zu erkennen.
Die Ausrichtung auf die persönliche Interaktion mit den Kunden sollte in der Ausbildung zum Detailhandelsassistent weiter gestärkt werden. Dazu gehört neben dem eigentlichen Verkaufsgespräch auch die After-Sales-Betreuung und Kommunikation. Auch produktseitig steigen die Anforderungen, es ist vermehrtes Spezialwissen gefragt, um effektiven Mehrwert gegenüber der Eigenrecherche des Kunden zu schaffen.
Auf betrieblicher Ebene muss die eigene Positionierung und Differenzierung kritisch überprüft werden. Kreativität und der geschickte Einsatz neuer Technologien sind entscheidend. Beispielsweise ergibt es für kleine Händler kaum Sinn, das Online-Modell der Grossen in der Branche zu kopieren. Die Kostenstruktur spricht gegen den Aufbau eines eigenen Webshops. Besser nutzt man bestehende E-Commerce-Plattformen und deren Marketing. So ist auch ein hybrides Geschäftsmodell möglich. Beispielsweise, indem einfach substituierbare, preissensible Produkte nur online bestellt werden können (Low Cost / No Fringe Model), während beratungsintensivere, höherpreisige, exklusive und neueste Produkte offline mit Beratung angeboten werden (Premium Model). In den USA verfolgt Best Buy diese Strategie, indem günstige TVs nur noch online bestellt werden können. Dies erhöht die Effizienz im Verkauf und der Logistik.
Reine Offline-Shops können sich auch den Unterschied zwischen Einkaufen und Bestellen zu Nutze machen. «Offline» wird eingekauft, im Internet wird bestellt. Der Einkauf führt zu einer unmittelbar durch den Kunden gefühlten «Belohnung», das Produkt kann gleich mitgenommen werden, während online mit einer Lieferfrist zu rechnen ist. Zum Offline-Shopping gehört auch das soziale und unterhaltende Element. Einkaufen als Erlebnis, das man mit anderen teilt und sich darüber austauscht. Auch physisch bietet «offline» mehr, indem Produkte haptisch erfasst werden können.
Weiter ermöglicht der Einkauf eine persönliche, direkte Kommunikation. Dazu gehört ein Marketing- und Kommunikationskonzept, um die Kundenloyalität zu erhöhen. Die persönliche Beziehung zu den Kunden ist (noch) den Big-Data-Ansätzen unpersönlicher Grosshändler und Online-Shops überlegen. Es ist bezeichnend, dass Amazon in den USA Läden eröffnet, um näher bei den Kunden zu sein. Die persönliche Interaktion ermöglicht das Angebot an massgeschneiderten Zusatzleistungen wie die Nachbetreuung bei einem Kauf. Dazu gehören Unterstützung beim Transport, bei der Installation und Anpassung des Produkts bis hin zur Hilfe bei der Wartung und Abwicklung von Garantieansprüchen. Dabei sollte sich der Handel auch nicht scheuen, bestimmte Dienstleistungen separat und transparent zusätzlich zu verrechnen.
Kampf für tiefere Markteintrittshürden
Neben der betrieblichen «Neuerfindung» sollte sich der Handel auf politischer Ebene vermehrt Gehör verschaffen und aktiv für tiefere Markteintrittshürden und offene Märkte kämpfen. Der unternehmerische Freiraum muss wieder grösser werden. Tiefe Markteintrittshürden erleichtern es Unternehmen, mit einem innovativen Geschäftsmodell in den Markt einzutreten. Auch bestehende Händler profitieren davon, wenn die Regulierungsflut nicht immer neue, kostspielige Anforderungen hervorbringt. Ebenso zentral ist die Öffnung des Schweizer Marktes. Zu viele Importbarrieren führen zu einem reglementierten Beschaffungsmarkt für Händler. Dies gilt insbesondere für landwirtschaftliche Produkte, deren Importschutz im internationalen Vergleich zu den höchsten der Welt zählt. Für andere Güter muss die Behinderung des Parallelimportes weiter abgebaut werden. Dazu gehört auch die Abschaffung der Ausnahmen zum Cassis-de-Dijon-Prinzip und die Erleichterung der Deklarationsvorschriften für Produkte aus dem EU-Raum. Die heutige Situation wirkt preistreibend und führt zu einem stärkeren Ausweichen der Konsumenten ins grenznahe Ausland.
Die Zukunftsfähigkeit der Detail- und Fachhandelsbranche hängt stark von der Arbeit an den genannten Themen ab. Es ist im Interesse von innovativen Unternehmern, Arbeitnehmern und auch der Konsumenten, dass sich die Rahmenbedingungen des Handels in der Schweiz verbessern. Dazu zählt Offenheit als Prinzip. Sei es in der Bildung mit der Weiterentwicklung der Anforderungen und Ziele oder sei es auf politischer Ebene mit der Öffnung der Märkte. Die Branche hat gute Chancen, den Herausforderungen aktiv und erfolgreich zu begegnen.
Dieser Artikel ist in «sfz Fachhändler – Schweizer Fachzeitschrift für den Handel», Ausgabe 2/2016 (März), erschienen.