Gemäss dem Bundesgericht stellt eine Vertragsklausel, wonach ein Lizenznehmer nicht in ein bestimmtes Gebiet exportieren darf, grundsätzlich eine unzulässige Wettbewerbsabrede dar. Konkret ging es im Fall Gaba um die Verhinderung von Parallelimporten.

Ökonomische Auswirkungen, etwa dass im konkreten Fall der Wettbewerb beseitigt oder zumindest erheblich beschränkt wird, müssen künftig nicht mehr nachgewiesen werden. Damit führt das Bundesgericht mit einer extensiven Auslegung des Kartellgesetzes genau diejenige Gesetzesanpassung durch die Hintertür ein, die das Schweizer Parlament erst vor kurzem in Form des Teilkartellverbots abgelehnt hat.

Wettbewerb schützen

Das Kartellgesetz bezweckt die Verhinderung volkswirtschaftlich schädlicher Auswirkungen von Abreden und anderen Wettbewerbsbeschränkungen. Damit soll der Wettbewerb im Interesse einer freiheitlichen marktwirtschaftlichen Ordnung geschützt und gefördert werden. Aber: Abrede ist nicht gleich Abrede. Zu unterscheiden ist zwischen horizontalen und vertikalen Abreden.

Horizontale Abreden beziehen sich auf Unternehmen, die auf derselben Marktstufe tätig sind. Sie können beispielsweise Preise oder Vertriebsgebiete betreffen. Da die beteiligten Unternehmen ansonsten miteinander im Wettbewerb stünden, ist die Vermutung, dass solche Abreden den Wettbewerb erheblich beeinträchtigen, ökonomisch plausibel. Vertikale Abreden bezeichnen hingegen Absprachen zwischen Unternehmen, die auf unterschiedlichen Marktstufen tätig sind (beispielsweise zwischen Herstellern und Händlern).

Dabei gibt es eine grosse Vielfalt möglicher Ausprägungen. Mit der Preisbindung der zweiten Hand etwa schreibt der Her­steller dem Händler einen fixen Endverkaufspreis vor. Der Hersteller kann den Händlern, die eine grössere Menge des Produkts abnehmen, auch bessere Konditionen, also Mengenrabatte, gewähren. Der Händler kann sich zudem bereit erklären, keine Konkurrenzprodukte zu vertreiben (Exklusivvertrieb), oder er verpflichtet sich, technischen Support für ein bestimmtes Produkt bereitzustellen (Supportverpflichtung).

Etwas allzu sauber geputzt: Elmex-Urteil des Bundesgerichts. (Fotolia)

Etwas allzu sauber geputzt: Elmex-Urteil des Bundesgerichts. (Fotolia)

Aus ökonomischer Perspektive tragen vertikale Vereinbarungen oftmals zu einem besseren Funktionieren der Produktions- und Vertriebsketten bei. Will etwa ein Hersteller ein neues Produkt auf den Markt bringen, müssen Händler unter Umständen spezifische und hohe Anfangsinvestitionen tragen. Um sie von solchen (riskanten) Investitionen zu überzeugen, mag ein temporärer Gebietsschutz durchaus gerechtfertigt sein, damit die Investitionen überhaupt amortisiert werden können.

Ohne Zweifel können vertikale Restriktionen auch dazu dienen, den Wettbewerb zwischen Produkten abzuschwächen. Auferlegen beispielsweise alle Hersteller eines bestimmten Produkts ihren Händlern eine «Preisbindung zweiter Hand», ist der Wettbewerb im Markt weitgehend ausgeschaltet. Die allenfalls wettbewerbsschädigende Wirkung lässt sich aus ökonomischer Perspektive indessen nur im konkreten Einzelfall beurteilen. Die Möglichkeit von Parallelimporten ist zwar grundsätzlich zu begrüssen. Sie sollte jedoch nicht in jedem Fall erzwingbar sein.

Faktisches Verbot

Vertikale Abreden funktionieren und wirken also ökonomisch gänzlich anders als horizontale Abreden. Trotzdem werden sie als Folge des Entscheids des Bundesgerichts im schweizerischen Kartellrecht künftig gleich (das heisst gleich hart) behandelt. Es gilt de facto ein Verbot für alle Abreden bezüglich Preisen und Gebieten. Das Bundesgericht lässt zwar eine Rechtfertigung aus Effizienzgründen weiterhin explizit zu.

Gerade bei vertikalen Abreden könnte dies grundsätzlich ein Weg sein, eine volkswirtschaftlich sinnvolle Koordination zwischen Unternehmen vor dem Zugriff der Wettbewerbsbehörden zu retten. Dies bedingt jedoch den Willen der Wett­bewerbsbehörden, sich ernsthaft mit allfälligen Effizienzgründen von vertikalen Abreden auseinanderzusetzen. Entscheidend wird diesbezüglich vor allem sein, wer im Rahmen der Effizienzverteidigung die Beweislast zu tragen hat. Unter Kartellrechtsexperten ist es ein offenes Geheimnis: Wer die Beweislast zu tragen hat, sitzt am kürzeren Hebel.

Aus ökonomischer Sicht wäre es sinnvoll, mit der Stigmatisierung vertikaler Abreden zu brechen und einen toleranteren Umgang damit zu pflegen, wie etwa in den USA. Während es kaum eine einleuchtende Daseinsberechtigung für horizontale Preis- und Gebietskartelle gibt und sie sich deshalb kaum jemals durch Effizienzgründe rechtfertigen lassen, sind die ökonomischen Wirkungen der entsprechenden vertikalen Abreden oft ambivalent.

Differenzierter Ansatz

Als Prüfschema für alle Typen vertikaler Abreden bieten sich deshalb zwei Faustregeln an, mit denen die Absprachen auf ihre potenzielle volkswirtschaftliche Schädlichkeit untersucht werden können. Ist an der Abrede kein Unternehmen beteiligt, das über Marktmacht verfügt, sind in der Regel keine volkswirtschaftlichen Schäden zu erwarten. Und je intensiver der Interbrand-Wettbewerb (das heisst der Wettbewerb zwischen Produkten und Marken) ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass eine vertikale Abrede volkswirtschaftlich schädliche Wirkungen zeitigt.

Mit einem solchen differenzierten Ansatz würde dem Zweck des Wettbewerbsrechts – der Förderung einer freiheitlichen marktwirtschaftlichen Ordnung – wesentlich besser Rechnung getragen als mit der vom Bundesgericht praktizierten blinden Dogmatik, die letztlich in einer systematischen Überregulierung resultiert.

Dieser Artikel ist am 16. Juli 2016 in der «Finanz und Wirtschaft» erschienen.
Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.