Die Einführung eines allgemeinen Bürgerdienstes wäre eine entscheidende Massnahme, um den anscheinend schleichenden Rückgang der schweizerischen Milizkultur einzudämmen, hat Avenir Suisse bereits in der 2015 erschienenen Publikation «Bürgerstaat und Staatsbürger» festgestellt. Wie aber könnte ein solcher allgemeiner Bürgerdienst konkret aussehen?

Vielseitig und inklusiv

Es ginge zunächst darum, die heute geltende Dienstpflicht auf zusätzliche Einsatzgebiete auszudehnen – von den Männern auf Frauen sowie auf Ausländer und Ausländerinnen mit Niederlassungsbewilligung. Gemäss Schätzungen von Avenir Suisse würde der Bestand Milizdienstpflichtiger auf diese Weise von 286’000 (158’000 Soldaten, 70’000 Zivilschützer und 58’000 Zivildienstleistende im Jahr 2017) auf 5,5 Millionen wachsen. Diese Ausweitung der Rekrutierungsbasis trüge nicht nur zur Deckung der Armeebestände bei, sondern würde es auch ermöglichen, die jeweils geeignetsten Personen für die verschiedenen Aufgaben zu selektionieren.

Plurales Engagement angesichts neuer Bedürfnisse

Die Dienstpflichtigen könnten im Rahmen des Bürgerdienstes ihr Einsatzgebiet frei wählen. Ihre Wahl hinge von persönlichen Interessen, der verfügbaren Zeit sowie den individuellen Fähigkeiten ab. Strikt Schweizer Bürgerinnen und Bürgern vorbehalten bliebe einzig der Militärdienst, soweit er unmittelbar mit der Landesverteidigung verbunden ist. Um den Personalbedarf trotz freier Wahl des Einsatzgebietes im militärischen Bereich sicherzustellen, wäre eine höhere finanzielle Abgeltung denkbar. Damit könnte den gegenwärtigen und künftigen Bedrohungen des Landes begegnet werden – handle es sich dabei um Datendiebstahl und -manipulation, um terroristische Angriffe oder militärische Konflikte.

Die Veränderung unserer Lebensweise hat zu Kürzungen des Zeitbudgets für ausserberufliche soziale Aktivitäten geführt – obschon diese für die soziale Kohäsion und das Funktionieren der Gesellschaft wichtig sind. Nicht nur für Tätigkeiten in Vereinsvorständen, Sportclubs oder Kirchen, sondern auch für politische Ämter fehlt zunehmend das Personal. Aus diesem Grund würde der Umfang staatlich anerkannter Tätigkeiten für die Allgemeinheit durch einen allgemeinen Bürgerdienst substanziell erweitert. Neue Bedürfnisse und Herausforderungen, die aufgrund des demografischen Wandels, der Klimaerwärmung oder der Zunahme von Naturkatastrophen entstehen, gefährden die Stabilität unserer Institutionen auf lange Sicht zusätzlich. Das Engagement von Milizdienstleistenden könnte ein Teil der Lösung sein.

Einige der möglichen Einsatzgebiete sind in der untenstehenden Grafik aufgeführt. Die neu vorgeschlagenen Aktivitäten umfassen beispielsweise Hilfsdienste in der Armee-Administration, bei der Polizei oder bei der Pflege betagter Menschen (vgl. Box). Aufgrund der langen humanitären Tradition der Schweiz wären auch Auslandseinsätze denkbar, soweit sie mit der Neutralität der Schweiz vereinbar sind; Einsätze im Inland blieben aber Priorität.

Eine flexible und gestaltbare Dienstzeit

Die Länge des Bürgerdienstes würde je nach Funktion und Tätigkeitsgebiet zwischen 200 und 260 Tage dauern. Bezogen auf die Schätzungen des Bevölkerungswachstums entspräche dies 93’536 Arbeitsjahren pro Jahr.

Die Dienstpflicht könnte sich auf die Zeit zwischen dem 20. und 70. Lebensjahr erstrecken, eine andere Variante sieht eine Periode zwischen dem 20. und 45. Lebensjahr vor. Diese im Vergleich zum heutigen Militärdienst längere Verpflichtungsdauer hätte verschiedene Vorteile: Zunächst einmal würde sie den Austausch zwischen den Generationen unterstützen. Für die Jungen wären Begegnungen mit älteren Berufstätigen attraktiv, um ihr Kontaktnetz auszubauen und daraus einen Nutzen für ihre weitere berufliche Karriere zu ziehen. Des weiteren könnten die betroffenen Dienste von besser geschulten Personen mit ausgeprägten Kompetenzen profitieren. Schliesslich ergäbe sich für Jungrentner die Chance, nach der Pensionierung einer neuen, nützlichen und erfüllenden Tätigkeit nachzugehen.

Um mit der Gründung einer Familie und den damit verbundenen Pflichten vereinbar zu sein, sollte der Bürgerdienst hinreichend flexibel entworfen werden. Gleichwohl müsste ein Minimum an Diensttagen pro Jahrzehnt geleistet werden. Eine Ersatzabgabe, falls der Dienst nicht erfüllt wurde, könnte zurückerstattet werden, sobald der Dienst gesamthaft geleistet ist.

Technologie statt Bürokratie

Um mögliche bürokratische Hürden des neuen Bürgerdienstes zu begrenzen, drängt sich ein weitgehend automatisiertes Onlineportal auf, wie wir es bereits vom Zivildienst kennen. Die Einsatzangebote und die dafür benötigten Kompetenzen sowie die Dienstdauer wären darin erfasst. Während der Rahmen und die generellen Kriterien der Einsätze auf Bundesebene festgelegt werden, findet der Vollzug auf kantonaler Ebene statt. Parallel dazu könnte die Schaffung eines individuellen Zeitkontos die geleisteten Diensttage erfassen und den Dienstpflichtigen die Verwaltung der für den Dienst aufgewendeten Lebenszeit erlauben.

Für die Übergangsgenerationen wäre eine das Alter berücksichtigende Rechnung pro rata vorzunehmen. Basierend auf einem Total von 200 Diensttagen müsste eine vierzigjährige Person noch 120 Diensttage leisten (Abzug von vier Tagen pro Jahr seit dem zwanzigsten Altersjahr). Zudem müssten die bereits geleisteten Diensttage in der Armee, dem Zivildienst oder Zivilschutz berücksichtigt und vom Total abgezogen werden.

Insgesamt würde ein allgemeiner Bürgerdienst die soziale und intergenerationelle Durchmischung fördern und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt im Staat beitragen – und dies bei grösstmöglicher Flexibilität und Wahlfreiheit zwischen den verschiedenen Aktivitäten im Dienst für das Gemeinwohl.

Betreuung von Personen im dritten Lebensabschnitt

Im Sektor der öffentlichen Gesundheit erwarten uns grosse Herausforderungen. Heute finanzieren die Körperschaften des öffentlichen Rechts die professionelle medizinische Pflege betagter Menschen indirekt über Krankenkassen oder Steuern. Gleichwohl muss die Pflege und Betreuung von Betagten durch Freiwillige in der Familie gewährleistet oder privat finanziert werden. 2016 widmeten Männer und Frauen nahezu 41 Mio. Stunden für die Pflege und Unterstützung Erwachsener. Die steigende berufliche Einbindung stellt dieses Engagement zunehmend infrage – und dies bei wachsendem Bedarf in der Altenpflege aufgrund des demografischen Wandels. Laut Schätzungen des BFS wird die Schweiz im Jahr 2030 690’000 Menschen und 2045 über eine Million Menschen zählen, die 80 oder mehr Jahre alt sind. Angesichts dessen könnte der allgemeine Bürgerdienst eine hilfreiche Ergänzung darstellen. Milizdienstleistende würden Tätigkeiten übernehmen, die keine speziellen fachlichen Qualifikationen erfordern, beispielsweise das Tätigen von Einkäufen, die Begleitung bei Spaziergängen oder Arztbesuchen sowie administrative Unterstützung – sei es zuhause oder im Altersheim.

Dieser Beitrag ist Teil der Publikationsreihe «Miliz heute».