Die wenigsten konnten sich vor anderthalb Jahren vorstellen, dass aufgrund einer globalen Pandemie die Einreise in die Nachbarländer erschwert würde. Die Heimat der Schweiz ist schliesslich Europa. Eingeschränkte Bewegungsfreiheit war insbesondere für jüngere Generationen unvorstellbar. Reisen Jugendliche doch seit sie auf der Welt sind, ungehemmt zwischen den verschiedenen europäischen Ländern. Die Jugend gilt als grosse Verliererin der Covid-19-Krise: Denn nicht nur lastet der zunehmende Schuldenberg auf ihren Schultern, sie blicken auch aufgrund des gescheiterten Rahmenabkommens mit der Europäischen Union in eine wirtschaftlich unsichere Zukunft.

Die EU – unsere wichtigste Partnerin

Auch wenn unsere internationalen Beziehungen über den ganzen Globus verteilt sind, steht uns die EU nicht nur geografisch, sondern auch kulturell am nächsten. Mit der EU-27 pflegt die Schweiz die wichtigsten Wirtschaftsbeziehungen. 2020 importierte die Schweiz Waren und Dienstleistungen im Wert von rund 168 Mrd. Fr. Dies entspricht fast 60% des totalen Importvolumens der Schweiz. Die Exporte in die EU-Länder beliefen sich auf rund 152 Mrd. Fr. Das bedeutet, dass auch relativ zum gesamten Aussenhandel der Schweiz die EU die mit Abstand wichtigste Partnerin bleibt: 48% aller Waren- und 40% aller Dienstleistungsexporte gingen 2020 in die EU.

Nicht nur wirtschaftlich profitieren wir von den vielen Freiheiten in Europa. EU-Länder sind die beliebtesten Destinationen für Schweizer Reisende, Austauschstudenten und jene, die im Ausland arbeiten möchten. Aktuell sind 776 300 Schweizerinnen und Schweizer im Ausland zu Hause, davon leben über 63% in Europa. Die grösste Auslandschweizergruppe befindet sich in Frankreich, gefolgt von Deutschland und Italien. Bürgerinnen aus der EU zieht es umgekehrt auch in die Schweiz: Im Jahre 2018 verfügten 20% der lokalen Arbeitskräfte über einen Geburtsort in einem EU-27 Staat. Dank dem World Wide Web sind wir auch digital eng mit der EU vernetzt. Bestellen wir etwas online, merken wir meistens nicht einmal, aus welchem europäischen Distributionszentrum das Produkt am Ende eigentlich kommt.

Die EU – unsere wichtigste Partnerin (Bild: Markus Spiske/Unsplash)

Die EU hat vor langer Zeit klargestellt, dass neue Verträge nur abgeschlossen werden können, wenn ein sogenanntes Rahmenabkommen besteht, das die Rechtsanpassung dynamisiert. Dies ergibt auch Sinn. Durch die bilateralen Verträge wird für diverse Sektoren der Zugang zum EU-Binnenmarkt geregelt. Das gesamte Paket an Abkommen umfasst rund 120 Verträge. Viele Abkommen sind alt und müssen dringend erneuert werden. Insbesondere im Rahmen der Digitalisierung gilt es, «à jour» zu sein. Ohne einen Rahmenvertrag, der die Aktualisierung der Gesetze regelt, ist die grosse Menge an Verträgen nicht mehr zu bewerkstelligen.

Der Bundesrat wird um eine Weiterentwicklung der Zusammenarbeit mit der EU nicht herumkommen. Vor allem nicht in Anbetracht der Tatsache, dass es in Zukunft viele wichtige Punkte zu klären gibt. Zum Beispiel: Wie wird der Zugang zum digitalen Binnenmarkt der EU sichergestellt? Wie weiter mit dem Stromabkommen? Was geschieht mit dem Forschungsprogramm Horizon Europe? Was gilt beim Erasmus+ und was nicht?

Das vom Bundesrat versenkte Institutionelle Rahmenabkommen wäre notwendig gewesen, um diverse offene Fragen effizient zu regeln. Insbesondere die rechtliche Unsicherheit ist problematisch, denn sie tangiert unzählige Aspekte, die unseren Alltag beeinflussen. Fakt ist: Je länger ein klarer Rahmen mit der EU fehlt, desto mehr Handlungsfreiheit verliert die Schweiz. Auch wenn für viele Entscheidungsträger die absolute Souveränität der Schweiz unverhandelbar ist, ist in vielen Fällen eine institutionalisierte, gemeinsame Zusammenarbeit mit der EU besser, als wenn jeder für sich selber schaut. Gemeinsam mit der EU sind wir stärker.

Die Jungen werden länger mit den Konsequenzen eines gescheiterten Abkommens leben müssen

Die Schweizer Bevölkerung war über sieben Jahre lang Zeuge einer diplomatischen Achterbahnfahrt, konnte aber in keinem Moment demokratisch mitentscheiden. Nicht einmal das Parlament hat je über die wichtigste wirtschaftliche und politische Frage der letzten Jahrzehnte befunden. Für die halbdirekte Demokratie Schweiz, die selbst über Kuhhörner abstimmen lässt, ein unwürdiger und mutloser Entscheid. Die Stimme der Schweizer Bürgerinnen und Bürger und damit auch der jungen Generation muss in dieser Frage gehört werden. Es sind schliesslich die Jungen, die am längsten auf gute Beziehungen mit der EU angewiesen sind und die den daraus resultierenden Wohlstand weniger denn je aufs Spiel setzen dürfen. Der demografische Wandel, die finanziellen Engpässe unserer Sozialwerke, klimatische Herausforderungen und jetzt auch noch eine globale Pandemie führen zu einem wachsenden Schuldenberg. Künftige Generationen müssen die heute geschaffenen Schulden abtragen. Es ist also unverantwortlich, Ihnen auch noch die Konsequenzen eines gescheiterten Rahmenabkommens aufzubürden.

Die Zusammenarbeit mit der EU wird sich nun verändern. In welche Richtung sie gehen wird und welche Konsequenzen der fehlende Rahmenvertrag für die Schweiz hat, ist noch nicht abzuschätzen. Fakt ist: allein diese Unsicherheit wird der Schweiz schaden. Trotz optimistischer Stimmen, die auf einen gelungenen Neustart hoffen, lässt die Kompromisslosigkeit einiger Verbände und Parteien fürchten, dass auch neu aufgenommene Verhandlungen nicht so schnell in einem Erfolg enden werden. Auch die Tatsache, dass nach Verhandlungsabbruch kein Plan B in Sicht ist, lässt das Vertrauen in ein zeitnahes Abkommen schwinden. Jugendliche dürfen sich berechtigterweise im Stich gelassen fühlen, denn die Rechtsunsicherheit mit der EU – mit zum Teil folgeschweren wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen – wird sie nun über mehrere Jahre begleiten.