Das absehbare Ende der kantonalen Steuerregimes zwingt zu Anpassungsmassnahmen und ruft in Erinnerung, dass Unternehmensgewinnsteuern ein volkswirtschaftlich schädliches Instrument sind.

Die Schweiz war im vergangenen Jahrzehnt mehr als andere Länder in der Lage, mobile Unternehmen (und ihre Erträge) anzuziehen. Allein zwischen 1999 und 2009 nahmen die in der Schweiz versteuerten Reingewinne 72% auf 95 Mrd. Fr. zu. Fast die Hälfte dieser Gewinne stammt aus den 20 000 Domizil- und gemischten Gesellschaften, die mit den Holdings die so genannten Statusgesellschaften bilden. Darunter fallen vor allem Grosshandelsunternehmen und Konzernhauptsitze von international tätigen Unternehmen. Gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP) hat sich der Anteil der Unternehmensgewinnsteuer in der Schweiz innerhalb eines Jahrzehnts von 1,5 auf 3% verdoppelt.

Gemäss neuen Schätzungen von Avenir Suisse liegt der durchschnittliche Gewinnsteuersatz der Statusgesellschaften bei 10,7%. Die rund 275 000 ordentlich besteuerten Unternehmen hingegen werden zum merklich höheren Satz von 22,4% des Reingewinns besteuert. Zu diesen zählen alle Unternehmen, die ihre Gewinne lediglich in der Schweiz erzielen. Trotz niedrigerer Belastung tragen die Statusgesellschaften mit 4,6 Mrd. Fr. 28% zu den gesamten Unternehmenssteuern bei. Eine Statusgesellschaft ist also aus Steuersicht sechs Mal ergiebiger als ein ordentlich besteuertes Unternehmen. Auch tragen Statusgesellschaften nicht wesentlich zum heute oft lamentierten Anstieg der Bodenpreise oder zur Zuwanderung bei. Ein beschränkter «Fussabdruck» in der Schweiz stellt eine Voraussetzung für ihre Anerkennung als Statusgesellschaften dar.

Unter dem Druck der EU

Die Schweiz gerät angesichts ihrer Attraktivität für internationale Unternehmen zunehmend unter Druck, besonders vonseiten der EU, die die Steuerregimes der Kantone anprangert. Gemäss der Europäischen Kommission kommen solche Steuerprivilegien einer unzulässigen staatlichen Beihilfe gleich, die dem «Verhaltenskodex eines fairen Steuerwettbewerbs», wie ihn die EU versteht, widersprechen. Diese Kritiken lassen sich durchaus rechtlich und ökonomisch hinterfragen. Dennoch bleibt der politische Druck bestehen, von der latenten Drohung der Diskriminierung von Schweizer Unternehmen bis zur Kündigung von Doppelbesteuerungsabkommen.

Im Streit mit der EU haben Bund und Kantone im Mai dieses Jahres Massnahmen präsentiert, die nach dem absehbaren Wegfall der bestehenden Steuerregimes den Exodus der Statusgesellschaften verhindern sollten. Seit der Veröffentlichung des Berichts wurden die ursprünglich vorgelegten Vorschläge geschärft. Erste Priorität hat derzeit die Einführung neuer Steuermodelle, die eine reduzierte Besteuerung des Ertrags aus innovativen Aktivitäten (Forschung und Entwicklung, aber auch Einnahmen aus Lizenzen und weiteren Immaterialgütern) erlauben würden. Eine solche Strategie ist verständlich: Immaterialgütererträge gehören zu den mobilsten Erträgen multinationaler Unternehmen, sie drohen als Erste abzuwandern.

Die (nun bedrohten) kantonalen Steuerregimes waren ein Erfolg; nur logisch, dass man diesen mit anderen Mitteln erhalten will. Doch die Strategie bleibt nicht ohne Risiken. Obwohl die gesonderte Besteuerung von Lizenzen in der EU praktiziert wird, stehen die OECD (in ihrer Rolle als Steuerkommissar der G-20) und gewichtige Länder wie Deutschland dem Konzept kritisch gegenüber.

Eine weitere mögliche Reformmassnahme, die Bund und Kantone bisher nicht weiterverfolgten, ist die Privilegierung von Forschungs- und Entwicklungsausgaben. Bereits früher hatten Finanzwissenschaftler wie Christian Keuschnigg für diese Ausgaben eine Abzugsfähigkeit von 130% vorgeschlagen, wodurch die durchschnittliche effektive Steuerlast vieler Unternehmen gesenkt werden könnte. Damit könnte die Schweiz weitere multinationale Unternehmen mit mobilen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen anlocken und zugleich ansässigen Unternehmen die Möglichkeit bieten, vermehrt in die Forschung zu investieren. Aufgrund der positiven externen Effekte für die ganze Volkswirtschaft, die von F&E-Ausgaben ausgehen, lässt sich kaum eine andere steuerliche Privilegierung so gut rechtfertigen wie diese.

Eigenkapital besserstellen

Aus volkswirtschaftlicher Sicht erfreulich ist derVorstoss, einen Zinsabzug auf Eigenkapital einzuführen (Notional Interest Deduction). Damit könnten Unternehmen nicht nur die Fremdkapital-, sondern auch einen Teil der Eigenkapitalkosten vom steuerbaren Gewinn abziehen. Die steuerliche Bevorzugung von Fremd- gegenüber Eigenkapital entfiele – gerade auch im Bankensektor fördert sie die Überschuldung der Unternehmen und deren Krisenanfälligkeit. Wichtiger noch: Mit diesem Abzug wird die Doppelbesteuerung von Investitionen eliminiert, die mit Eigenkapital finanziert werden. Heute finanzieren Unternehmen Investitionen aus bereits versteuerten Mitteln (erste Belastung); der Ertrag dieser Investitionen wird dann durch die Unternehmensgewinnsteuer ein zweites Mal erfasst. Ein Eigenkapitalzinsabzug sorgt dafür, dass Investitionsentscheidungen nicht steuerlich beeinflusst werden – keine Kleinigkeit.

In den Hintergrund geraten ist jedoch eine generelle Senkung der ordentlichen Sätze, obschon diese die am wenigsten angreifbare und somit nachhaltigste Gegenmassnahme darstellt. So hat Irland den Satz von 12,5% auch während den dunkelsten Tagen der Finanzkrise gegenüber seinen EU-Partnern (und -Konkurrenten) verteidigt. Bestimmt: Eine Senkung der Sätze auch nur in den Kantonen, in denen die Statusgesellschaften konzentriert sind, darunter Genf, Waadt, Basel-Stadt und Zug, würde kurzfristig grosse Steuerausfälle verursachen. Die politische Schlammschlacht um die «Steuergeschenke fürs Kapital» scheint programmiert.

Doch es lohnt sich immer wieder, in Erinnerung zu rufen, dass die Unternehmensgewinnsteuer zu den schädlichsten Instrumenten im Steuerarsenal gehört. Die Besteuerung von Kapitaleinkommen vermindert den Anreiz, Kapital zu bilden, das heisst, zu sparen und in Maschinen oder Innovationen zu investieren. Damit wird die Volkswirtschaft auf einen niedrigeren Wachstumspfad geführt, von dem niemand weder Unternehmer noch Arbeitnehmer langfristig profitiert. Diese Einsicht, die erst 1988 von den zwei Finanzwissenschaftlern Christophe Chamley und Kenneth Judd rigoros hergeleitet wurde, hat die Meinung der Ökonomen zur Unternehmensgewinnsteuer radikal geändert nicht jedoch die der Politiker.

Mehr zu diesem Thema erfahren Sie in der Avenir-Suisse-Publikation «Zwischen Last und Leistung. Ein Steuerkompass für die Schweiz».

Der Artikel erschien am 02. November 2013 in «Finanz und Wirtschaft».