Viele Länder sind durch die Covid-19-Pandemie hart getroffen worden. Knappes medizinisches Schutzmaterial führte vielerorts zu Exportverboten, oft gehörte Forderungen sind Re-Nationalisierung von Industrien und Selbstversorgung. Vergessen geht, dass es die internationale Arbeitsteilung ist, die zu einem wesentlichen Teil den Wohlstand sicherstellt – gerade auch in unserem Land. So konnte die Schweiz zwischen 1990 und 2016 die Öffnung am besten in zusätzliche jährliche Einkommensgewinne pro Kopf umsetzen, sie ist «Globalisierungsweltmeisterin» (Bertelsmann und Prognos 2018). Der wichtigste Grund dafür ist die enge wirtschaftliche Verflechtung mit dem EU-Binnenmarkt. Am wirtschaftlich stärksten – von allen Regionen Europas – profitiert Zürich vom ungehinderten Zugang zum zweitgrössten Markt der Welt, sechs weitere Regionen der Schweiz sind unter den Top Ten zu finden (Bertelsmann 2019).

Erster Pfeiler einer eidgenössischen Aussenhandelspolitik sollte deshalb die Sicherstellung des möglichst ungehinderten Zugangs zum europäischen Binnenmarkt sein. Dass der Bundesrat weiter auf Zeit spielt, das zukünftige Verhältnis zur EU zu klären, ist unverständlich. Dies schafft zusätzliche (Plan-) Unsicherheit für Unternehmen, die gerade jetzt angesichts der Corona-Pandemie äusserst stark unter Druck stehen. Insbesondere die Medizintechnikbranche – während Jahrzehnten Garant für eine wachsende Zahl an Arbeitsstellen in der Schweiz – steht vor neuen Hürden beim Export in ihren wichtigsten Absatzmarkt. Zwar hat die EU beschlossen, die neuen, restriktiveren Marktzugangsbedingungen um ein Jahr bis im Frühling 2021 aufzuschieben, doch damit ist für hiesige Unternehmen das Problem nicht gelöst. Die Schweiz sollte baldmöglichst ein klares, positives Signal zum seit Dezember 2018 vorliegenden, ausgehandelten Institutionellen Abkommen (InstA) aussenden.

Zweiter Pfeiler der Aussenhandelspolitik sollte die Vertiefung sowie der zügige weitere Ausbau des Netzwerks an Freihandelsverträgen sein. Heute bestehen, die EU-Mitgliedsstaaten nicht eingerechnet, Abkommen mit knapp 50 Ländern – ein internationaler Spitzenwert! Angesichts einer Schweizer Exportquote von 66% (Waren und Dienstleistungen gemessen am Bruttoinlandprodukt) wird der präferierte Marktzugang auch zur Wohlstandssicherung benötigt. Im Vergleich dazu liegt die Exportquote für das Vereinigte Königreich bei 30%, China 20% und USA 12% (2018; Worldbank 2020). Dies bedeutet: Würde die Schweiz, analog zum Vereinigten Königreich, den «Schwexit» vollziehen, wären die ökonomischen Auswirkungen auf den Wohlstand ungleich grösser, dito bei einem Handelskrieg wie ihn China und die USA führten. «Switzerland first» ist also angesichts der starken Aussenhandelsverflechtung unseres Landes keine opportune Strategie! Für die Weiterentwicklung des Freihandels-Netzwerkes der Schweiz sollten in den nächsten Monaten folgende zwei Abkommen im Vordergrund stehen, die unterschiedlich weit verhandelt bzw. diskutiert sind.

Angst vor Konkurrenz aus dem Ausland bedroht Schweizer Versorgungssicherheit: Hereford-Rinder in Uruguay. (Wikimedia Commons)

Unterschriftsreif ist das Abkommen der Efta-Staaten mit den Mitgliedsländern des Mercosur – Brasilien, Argentinien Uruguay und Paraguay. 2019 exportierte die Schweiz Waren im Wert von 3,4 Mrd. Fr., die Importe beliefen sich auf 689 Mio. Fr. (Eidgenössische Zollverwaltung 2020). Geplant ist, mittelfristig 95% der Schweizer Ausfuhren vollständig von Zöllen zu befreien. Da die Schweizer Exporte in Tarifklassen fallen, deren Zoll überdurchschnittlich hoch ist, betragen die prognostizierten Einsparungen beachtliche 180 Mio. Fr. pro Jahr (Seco 2020). Die Schweiz steht unter Zugzwang, das Abkommen zu ratifizieren, ansonsten hiesige Unternehmen gegenüber wichtigen Konkurrenten bald benachteiligt sein könnten. Denn auch die EU hat – kurz vor den Efta-Staaten – ein Abkommen mit den südamerikanischen Ländern abgeschlossen.

Noch im Stadium der informellen Gespräche befindet sich ein mögliches Freihandelsabkommen mit den USA – dem zweitwichtigsten Handelspartner der Schweiz nach Deutschland. Der Aussenhandel mit den Vereinigten Staaten war in den letzten Jahren äusserst dynamisch, in gewissen Monaten überflügelte der Austausch denjenigen mit Deutschland. 2019 erreichte das Handelsvolumen 100 Mrd. Fr. (Importe 38 Mrd. Fr., Exporte 62 Mrd. Fr.; Eidgenössische Zollverwaltung 2020). Mit 285 Mrd. Fr. an Direktinvestitionen sind Schweizer Unternehmen die siebtgrössten Investoren in den USA, Amerikaner gehören zu den zweitwichtigsten Investoren in der Schweiz (Schweizerische Nationalbank 2020). Bereits heute profitieren direkt 180’000 Beschäftigte in der Schweiz vom Waren- und Dienstleistungsaustausch mit den USA (umgekehrt 140’000), weitere 90’000 von den amerikanischen Direktinvestitionen (umgekehrt 320’000). Ein Freihandelsabkommen würde in der Schweiz mindestens 13’500 zusätzliche Stellen schaffen, in den USA wären es 27’500 – dies basierend auf dem gesteigerten Warenhandel (Dümmler und Anthamatten 2019). Weitere, stellenschaffende Effekte aufgrund des zusätzlichen Dienstleistungsverkehrs oder weiterer Direktinvestitionen sind mangels Daten nicht eingerechnet.

Nachdem die Schweiz 2006 dem Vorschlag der USA auf Aufnahme von Verhandlungen eine Absage erteilte, gilt es, die in den letzten rund zwei Jahren aufgebauten persönlichen Beziehungen auf höchster Ebene zu nutzen, um baldmöglichst formell die Verhandlungen zu starten. Dabei muss die Schweiz aus ihren Fehlern von 2006 lernen und den Agrarsektor auf eine partielle Öffnung vorbereiten. Das Momentum scheint inzwischen etwas verloren gegangen zu sein, doch gegeben die Herausforderungen der Pandemie, die Aussenhandelskonflikte sowie die anstehende Präsidentenwahl in den USA ist dies verständlich.

Die Versorgung mit medizinischer Schutzausrüstung, Desinfektionsmitteln und einzelner pharmazeutischer Wirkstoffe ist eine der Herausforderungen in Zeiten des Coronavirus. Doch um gegen zukünftige Krisen besser gewappnet zu sein, ist für die Schweiz nicht die Steigerung des Selbstversorgungsgrades zielführend, sondern die Erhöhung der Versorgungssicherheit. Dazu gehört eine überarbeitete Strategie für die Pflichtlager sowie der Aufbau paralleler Lieferstrukturen durch Unternehmen. Freihandelsabkommen unterstützen dies, indem die Basis des Aussenhandels breiter wird und die Klumpenrisiken sinken. So führte der Ausbau des Freihandelsnetzwerkes der Schweiz zu einer geografischen Diversifikation des Aussenhandels: Waren vor zehn Jahren 39 Länder notwendig, um 95% des Schweizer Aussenhandels abzudecken, sind es aktuell bereits 54 Nationen. Diese Breite an Handelspartnern ist auch in einer Pandemie-Situation wertvoll, in der zwar beinahe alle Länder der Erde betroffen sind, jedoch unterschiedlich stark, und der Höhepunkt der Infektionen zeitverschoben stattfindet.

Auch nach einer Krise unterstützen Freihandelsabkommen die Resilienz der einheimischen Wirtschaft: Je grössere der Kreis der möglichen Abnehmer, die über einen präferierten Marktzugang bedient werden können, umso schneller kann sich die Wertschöpfung erholen. Die internationale Verflechtung ist nicht nur im Normalfall, sondern auch in Krisenzeiten eine Stärke des Standortes Schweiz.

Dieser Beitrag ist im Jahresbericht 2019/2020 des Verbandes der Industrie- und Dienstleistungsunternehmen in der Schweiz, Swiss Holdings, erschienen.