Mario Gattiker, Staatssekretär im Staatssekretariat für Migration (SEM), sprach zum Abschluss des Think-Tank-Summits 2021 über das Einwanderungsland Schweiz und erläuterte die globale, die europäische und die nationale Säule der helvetischen Immigrationspolitik.

In seiner historischen Rückschau erinnerte Gattiker daran, dass die Schweiz während Jahrhunderten ein Auswanderungsland war. Unsere Emigranten seien klassische Wirtschaftsflüchtlinge gewesen, die in anderen europäischen Ländern oder auf anderen Kontinenten ein besseres Leben suchten. Der Paradigmenwechsel zum Einwanderungsland sei mit dem wirtschaftlichen Erfolg gekommen: Heute verfügt rund ein Viertel der Einwohner in der Schweiz über keinen Schweizer Pass. Dieser Anteil werde nur von Luxemburg und Liechtenstein übertroffen.

Es gebe eine Korrelation zwischen Reichtum, Erfolg und Innovation mit der Einwanderung. Die Schweiz sei stolz darauf, trotz hoher Einwanderung weder soziale Unruhen noch Gettos aufzuweisen, dafür über grosse soziale Kohäsion zu verfügen. Dies sei das Resultat einer weitsichtigen Politik. Migration brauche ein gutes Management. Eine erfolgreiche Migrationspolitik könne nicht nur auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes oder auf Sicherheitsansprüche Rücksicht nehmen, sondern müsse sich auch um nationale Zusammenarbeit, Integration, soziale Kohäsion, Wohnen sowohl eine gerechte Verteilung von Kosten und Nutzen von Immigration kümmern. In diesem Zusammenhang wies Gattiker auf die lange humanitäre Tradition der Schweiz hin.

Migration sei ein globales Phänomen, deshalb sei es für die Schweiz geboten, entsprechend global zu handeln. 85 Prozent der weltweiten Migranten befänden sich in Entwicklungsländern. Die Menschen blieben mehrheitlich in ihrer Region, und es sei eine Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, diese Länder bei der Bewältigung von Wanderbewegungen zu unterstützen – und dies im eigenen Interesse. Fehlende Unterstützung habe 2015 und 2016 zu den grossen Flüchtlingsströmen nach Europa geführt. Es gelte deshalb, den Menschen in ihren Ursprungsorten eine Perspektive zu geben.

Etwas Kopfschmerzen bereite ihm die europäische Ebene der Migrationspolitik: Die Schweiz befindet sich im Zentrum des Schengenraums, in dem sich die Staatsangehörigen frei bewegen können. Dies bedeutet, dass die Grenzkontrollen an den Aussengrenzen stattfinden müssen. Dies funktioniert jedoch nur, wenn die Regeln innerhalb des Schengenraums klar sind. Wir brauchen somit harmonisierte Asylgesetze und gemeinsame Standards. Ohne diese Standards konzentriere sich die Migration in Richtung der attraktivsten Umstände. Ausserdem gelte es anzuerkennen, dass die Länder an den Schengen-Aussengrenzen am schwersten mit der Flüchtlingsproblematik belastet seien. Es brauche deshalb Solidaritätsmechanismen, die den Druck von diesen Ländern nehmen. Hier gebe es noch grossen Handlungsbedarf, der bisher nur ungenügend wahrgenommen werde. Für eine resiliente Flüchtlingspolitik brauche es nicht weniger, sondern mehr «Europa».

Die nationale Ebene von Migrationspolitik schliesslich erhalte oft am meisten Aufmerksamkeit – doch eine Politik, die sich nur auf die inländischen Aspekte von Migration konzentriere, sei zum Scheitern verurteilt. So gesehen habe die Schweiz in den letzten Jahren vieles richtig gemacht, etwa durch ihr internationales Engagement und ihre Mitgliedschaft im Rahmen von «Schengen» und «Dublin». Mario Gattiker lobte explizit die solidarische Zusammenarbeit von Bund, Kantonen und Gemeinden. Solidarität und das Teilen von Verantwortung seien Werte der schweizerischen Migrationspolitik, die modellhaft für andere Staaten sein könnten.