Was ist ein Menschenleben wert? – Hundert sicherlich mehr als eines. Aber: Soll ich, wenn’s drauf ankommt, mein Nachbarskind retten oder hundert mir unbekannte Kinder auf einem anderen Kontinent? Dieses moralische Dilemma wird im vorliegenden Text bewusst ausgeblendet. Vielmehr wird die Frage nach der Effektivität von altruistischen Handlungen in den Vordergrund gestellt.
Der britische Philosoph William MacAskill beschreibt, dass ein effektiver Altruist mit seinen Handlungen grösstmögliche Wirkung entfalten möchte und dabei von ökonomischen Grundprinzipien – wie dem möglichst effizienten Einsatz der Ressourcen Geld und Zeit – geleitet wird. Er konzentriert sich auf das Konzept des Grenzertrags, also z.B. auf die Frage, wie viel ein zusätzlicher Spendenfranken in ein spezifisches Projekt zu bewirken vermag. Ein effektiver Altruist setzt sein Geld nicht für eine Spende ein, wenn einer Katastrophe hohe mediale Präsenz zukommt und daher bereits ausreichend Geld gesammelt wurde. Dann hätte sein zusätzlicher Spendenfranken kaum noch eine Wirkung. Auch würde er sein Geld viel eher in einem Land mit einer sehr hohen Armutsquote einsetzen als in einem wohlhabenderen Schwellenland, denn in ersterem kann er mit dem gleichen Betrag mehr bewirken.
Ein Franken ist nicht ein Franken
Im effektiven Altruismus entspricht ein Spendenfranken daher nicht einem Spendenfranken. Mit 50‘000 $ lässt sich ein einziges sogenanntes «qualitätskorrigiertes Lebensjahr» erzeugen, indem man ein Kaposi-Sarkom entfernt, das häufig bei HIV-Infizierten auftritt. Mit dem gleichen Geldbetrag lassen sich durch die Verteilung von Bettnetzen zur Bekämpfung von Malaria jedoch hundert qualitätskorrigierte Lebensjahre erzeugen. Ein anderes Beispiel: Die Erhöhung der Anzahl Schulbücher oder der Lehrpersonen hat kaum einen nachweisbaren Effekt auf die Schulleistungen der Kinder. Die positiven Auswirkungen eines Entwurmungsprogramms hingegen sind verblüffend. Die entwurmten Kinder verdienen zehn Jahre nach dem Programm 20% mehr und arbeiten durchschnittlich 3,4 Stunden mehr pro Woche als nicht entwurmte (MacAskill).
Auch in der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit könnte noch mehr bewirkt werden, wenn die Grundprinzipien des effektiven Altruismus stärker berücksichtigt würden. Die folgenden Argumente zielen nicht auf Budgetkürzungen ab, sondern versuchen konkretes Verbesserungspotenzial aus Sicht der Effektivität zu identifizieren.
Durch die Brille des effektiven Altruisten erscheint die geographische Dispersion der schweizerischen bilateralen Entwicklungszusammenarbeit nicht optimal: Es werden zu viele Länder berücksichtigt, anstatt die Mittel dort einzusetzen, wo die grösste Armut herrscht (siehe Grafik). In Sierra Leone, wo schätzungsweise 70% der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben, wurden im Jahr 2015 nur 0,1 Mio. Fr. eingesetzt, während in Peru, wo schätzungsweise 20% der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt, im gleichen Jahr 29,3 Mio. Fr. eingesetzt wurden. In Sierra Leone könnte mit einem Franken mehr bewirkt werden als in Peru – vorausgesetzt der Franken wird effektiv verwendet.
Neue Priorisierung der Ziele
Effektive Entwicklungszusammenarbeit bedarf einer Ziel-Priorisierung. Das zentrale Kriterium sollte die Kostenwirksamkeit der Projekte sein. Stehen zwei Interventionen mit gleich hohen Kosten zur Auswahl, ist diejenige zu finanzieren, mit der die grössere Wirkung erzielt werden kann. Eine Studie über evidenzbasierte Entwicklungszusammenarbeit legt nahe, dass es insbesondere im Gesundheitsbereich viele kosteneffektive Programme gäbe, die jedoch aufgrund anders gesetzten Prioritäten teilweise vernachlässigt werden.
Neben der Kostenwirksamkeit sollten auch Wirkungsstudien berücksichtigt werden, die wissenschaftlichen Qualitätsstandards genügen: Der Einsatz von randomisiert-kontrollierten Experimenten, Quasi-Experimenten und ökonometrischen Methoden ist zentral. Diesbezüglich sind Bestrebungen wie der «Impact Award», der jeweils die 2-3 qualitativ besten Wirkungsstudien unterstützt, wünschenswert. Solche Initiativen erhöhen das Bewusstsein für deren Einsatz und somit auch die Qualitätsstandards. Auch der vermehrte Einbezug bereits bestehender Forschungserkenntnisse sowie eine Verschiebung der Mittel in den Bereich Forschung und Entwicklung könnte bedeutende Wirksamkeitssteigerungen mit sich bringen.
Ein Widerspruch zwischen dem Handeln nach rationalen, ökonomischen Grundprinzipien und einer altruistischen Denk- und Handlungsweise kann auf den ersten Blick nicht festgestellt werden. Im Gegenteil: Nur die Verknüpfung einer ideologisch getriebenen Denkweise mit einer realitätszugewandten Umsetzung kann sicherstellen, dass eingesetzte Gelder auch tatsächlich das bewirken, was sie bewirken sollten.