Nach den Plänen des Bundesrates soll bis ins Jahr 2035 der durchschnittliche jährliche Energieverbrauch pro Person gegenüber 2000 um 35% gesenkt werden. Gleichzeitig soll der Stromverbrauch ab 2020 stabilisiert werden. Ob dies realistisch ist, bleibt dahingestellt. Schliesslich haben derart langfristige Ziele und Prognosen etwas Beliebiges. Ausserdem bieten sie Politikern die Möglichkeit, Verantwortung abzugeben, indem wirklich einschneidende Massnahmen in spätere Legislaturperioden verschoben werden können. Natürlich ist es denkbar, dass in dem geplanten Zeitraum ein rasanter technischer Fortschritt bei der Verbrauchseffizienz zur Zielerreichung beiträgt. Doch genau dieses Argument relativiert umgekehrt den Sinn solch ambitiöser Ziele. Erstens gibt es keine Kausalität zwischen dem technischen Fortschritt und den energiepolitischen Strategien in der Schweiz, denn die technologischen Entwicklungen werden kaum durch Regulierungen im Inland, sondern in erster Linie durch die Preisentwicklungen im globalen Kontext beeinflusst. Zweitens sind in dieser langen Frist nicht nur bei der Verbrauchseffizienz, sondern auch bei den Produktionstechnologien Innovationen zu erwarten. Vielleicht steht im Jahr 2035 die Energie günstig und umweltverträglich zur Verfügung. Besonders strikte Sparziele wären dann weder sinnvoll noch nötig – vielmehr würden die einschneidenden Massnahmen die schweizerische Wirtschaft einseitig belasten.
Schon heute gibt es Zeiten, in denen zu viel Energie auf dem Markt ist, etwa wenn stochastische Technologien wie Wind und Photovoltaik Strom im Überfluss bereitstellen. Warum sollte dann der Verbrauch reduziert werden? Wichtig ist in diesem Kontext weniger die absolute Energieeinsparung als vielmehr eine intelligente Anpassung des Konsums. Smart-Metering- bzw. Smart-Grid-Technologien machen dies bereits heute möglich. Das Zauberwort heisst Lastverschiebung: Strom wird vor allem dann verbraucht, wenn er zur Genüge vorhanden und günstig ist. Ein smartes System setzt jedoch smarte Tarife voraus, die sich eng am Markt orientieren. In der Schweiz fehlen dafür die Voraussetzungen, da wegen der unvollständigen Marktöffnung die Verbrauchertarife faktisch reguliert werden.
Weisse Zertifikate brauchen Liberalisierung
Für die Erreichung der ambitionierten Reduktionsziele schlägt der Bundesrat auch die Einführung «Weisser Zertifikate» vor. Häufig wird argumentiert, es handle sich dabei um ein marktwirtschaftliches Instrument, da der Zertifikathandel – mindestens theoretisch – höhere Effizienz zulasse als Normen und Verbote. Doch auch hier steht am Anfang eine politische bzw. administrative Vorgabe über die Höhe der angestrebten Verbrauchsreduktion. Diese muss in der Folge von den Stromversorgern bei ihren Kunden umgesetzt werden – beispielsweise über das Angebot von Energieberatungsleistungen. Die Kosten der Massnahmen können die Versorger über einen Zuschlag auf dem Energietarif an ihre Kunden überwälzen. Werden die Zielvorgaben vom Energieversorger übererfüllt, erhält er entsprechende Zertifikate, die er dann an Dritte verkaufen kann, die ihre Ziele bei den eigenen Verbrauchern nicht erfüllen konnten.
Die Schwächen dieses Instruments offenbaren sich erst auf den zweiten Blick:
- Einerseits setzt das System einen sehr aufwändigen administrativen Prozess voraus, denn die Einsparungen müssen von einer zentralen Behörde evaluiert werden. Dabei ist das Kriterium der «Additionalität» zu berücksichtigen: Resultieren Einsparungen auch ohne das Zutun des Versorgers – z.B. wegen des Wetters, Abwanderung der Bevölkerung oder energieintensiver Unternehmen, des allgemeinen technischen Fortschritts oder wegen anderer energiepolitischer Förderinstrumente –, können diese grundsätzlich nicht angerechnet werden. Im Kontext der teilweise schwer durchschaubaren Förderung der Energieeffizienz im föderalen schweizerischen System sowie der ausserordentlich grossen Energietarifdifferenzen dürfte die Feststellung der Additionalität in der Praxis besonders schwierig sein.
- Anderseits funktioniert ein System «Weisser Zertifikate» nur dann effizient, wenn ein intensiver Wettbewerb zwischen den Versorgungsunternehmen besteht. Auch das ist in der Schweiz aufgrund der mangelhaften Marktöffnung nicht der Fall. Ohne Konkurrenz haben die Versorger kaum Anreize, die Energiesparmassnahmen effizient umzusetzen, denn sie können die Mehrkosten ohne relevante Konsequenzen an die Endverbraucher überwälzen. Konsequenterweise muss dann der von den Versorgern bei ihren Endkunden eingeforderte Energiezuschlag von einer Behörde reguliert werden. Es droht ein ausufernder administrativer Prozess.
Preise und Wettbewerb als Alternative
Doch welche Möglichkeiten bleiben, um den Verbrauchern künftig sinnvolle Energiespar- und Effizienzanreize zu vermitteln? Nötig wäre in erster Linie ein funktionierender Markt. Anstatt über neue Abgaben und Zertifikate nachzudenken, sollte die Schweiz – vor allem bei der Elektrizität – die konsequente Marktöffnung vorantreiben. Heute profitieren noch (zu) viele Verbraucher von besonders günstigen Tarifen, die eine faktische Subventionierung darstellen. Der Markt alleine wäre fähig, die richtigen Preissignale für Verbrauchsreduktionen und/oder Lastverschiebung zu vermitteln. Einerseits signalisiert der Preis an der Strombörse sowohl kurz- als auch langfristige Knappheit oder Überfluss beim (europäischen) Angebot. Anderseits werden über die Einpreisung des CO2-Zertifikats in den Stromgrosshandelspreisen klimapolitische Ziele berücksichtigt. Weil die Schweizer Strommarktpreise vom europäischen Kontext bestimmt werden, trägt das Land schon heute die Konsequenzen der europäischen Klimapolitik und bräuchte das Rad nicht im Alleingang neu erfinden.
Lesen Sie hierzu auch das Interview von Urs Meister in der Luzerner Zeitung: «Erneuerbare fördern ist nicht sinnvoll».