Dass viele Gemeinden ökonomisch mit Steuergeldern umgehen, ist nicht dem Standortwettbewerb im eigentlichen Sinne zu verdanken. Dieser wird durch den dreiteiligen Staatsaufbau gebremst und durch die kantonalen Finanzausgleichssysteme in manchen Fällen sogar komplett ausgeschaltet. Der Treiber für dieses vernünftige Verhalten ist in Wirklichkeit die direkte Demokratie.

Wie der Finanzausgleich zwischen den Kantonen (NFA) ist auch der Finanzausgleich innerhalb der Kantone ein wichtiges Puzzlestück für den Erfolg eines Landes, das die dezentrale Aufgabenerfüllung und die Gemeindeautonomie grossschreibt. Die meisten kantonalen Systeme stehen vor noch grösseren Herausforderungen als der jüngst wieder öfter diskutierte NFA auf Bundesebene.

Das fünfte Kantonsmonitoring von Avenir Suisse präsentiert deshalb erstmals eine umfassende Analyse und Wertung all dieser kantonalen Finanzausgleichssysteme. Dabei werden Fragen beantwortet wie: Haben die Gemeinden bei der Finanzierung und beim Vollzug ihrer Aufgaben die gleichen Kompetenzen? Findet eine klare Trennung von Ressourcen- und Lastenausgleich statt? Wer finanziert die Ausgleichszahlungen? Wie hoch sind diese? Stützt sich der Lastenausgleich auf Normlasten ab oder kompensiert er effektive Ausgaben? Wie viele Gemeinden sind völlig vom Finanzausgleich abhängig? Und: Wie sehr schwächt dieser den Standortwettbewerb? Die 12 insgesamt ausgewerteten Kriterien lassen sich grob in die Bereiche «Grundstruktur des Finanzausgleichs», «Umverteilungsintensität» und «Anreizwirkung der Transfers» einteilen (vgl. Abbildung).

Erstaunliches Freiburg

Aus dem Gesamtranking geht der Kanton Glarus als Sieger hervor. Er verdankt dieses Resultat jedoch vor allem seiner pionierhaften (aber kaum kopierbaren) Gemeindereform von 2011, die einen modernen, transparenten Finanzausgleich ohne nennenswerte Fehlanreize erst ermöglichte. Mindestens so bemerkenswert ist der zweitplatzierte Kanton Freiburg: Bis 2011 bestand ein völlig veraltetes System, das auf dem indirekten Finanzausgleich basierte. Subventionen des Kantons für kommunale Aufgaben wurden nach Finanzkraft der Gemeinden abgestuft, dafür leisteten die Kommunen Kostenbeteiligungen an kantonale Aufgaben. Abgelöst wurde es von einem radikal neuen System im Stile des NFA, das diesen in Sachen Einfachheit, Transparenz und Anreizwirkungen hinter sich lässt und beim Lastenausgleich neue Wege geht.

Hinter dem Wallis (Platz 3) und Schaffhausen (Platz 4) folgt ein breites Mittelfeld von 17 Kantonen mit teilweise groben Mängeln in ihrem Finanzausgleichssystem. Noch grösser ist der Reformbedarf in Graubünden, St. Gallen und Solothurn. Das Schlusslicht ist das Tessin, dessen System so gut wie alle «don’ts» eines modernen Finanzausgleichs auf sich vereint.

Anti-Wettbewerb

Die Studie fördert eine überraschende Erkenntnis zutage: Die Systeme zum interkommunalen Finanzausgleich würden es einem erheblichen Teil der ressourcenschwachen Gemeinden erlauben, sich folgenlos aus dem Standortwettbewerb auszuklinken. Die meisten Kantone garantieren ihren Gemeinden über den Finanzausgleich ein Mindestmass an Pro-Kopf-Einnahmen. Gemeinden, die diese sogenannte Mindestausstattung nicht mit eigenen Steuereinnahmen erreichen, müssten sich eigentlich nicht um Attraktivität bemühen, denn ein Anstieg ihrer Steuerkraft wird (zumindest solange die Mindestausstattung dadurch nicht übertroffen wird) 1:1 durch den Wegfall von Zuschüssen aus dem Finanzausgleich zunichte gemacht, respektive ein weiterer Rückgang der Steuerkraft im vollen Umfang vom Finanzausgleich kompensiert. Gesamthaft befinden sich beinahe 40 Prozent der Gemeinden in dieser Situation, mit grossen Unterschieden zwischen der Romandie und der Deutschschweiz: In der Romandie sind nur 2 Prozent aller Gemeinden betroffen, in der Deutschschweiz hingegen unglaubliche 56 Prozent. Der Grund dafür ist die in den meisten Deutschschweizer Kantonen sehr hohe Mindestausstattung.

Auch abgesehen von jedem Finanzausgleich lassen gewisse institutionelle Eigenschaften der Schweiz Zweifel darüber aufkommen, ob die Wettbewerbssituation zwischen den Gemeinden überhaupt ein Grund sein kann, warum sie sich um ihre Standortgunst bemühen. Diese Frage mag unscheinbarer Natur sein, sie trägt aber genauer betrachtet viel Zündstoff in sich: Schliesslich wird dem Kampf der Gebietskörperschaften um Steuersubstrat vom gesamten politischen Spektrum eine grosse Bedeutung bei der Gestaltung des Staatsapparates zugeschrieben, sei es – von linker Seite – als Fluch (ein Steuersenkungswettlauf, der die Qualität staatlicher Dienstleistungen aushöhlt, auf dem Buckel des Mittelstandes und der Armen ausgetragen wird und nur wenigen Reichen nützt) oder – von liberaler Seite – als Segen (der Wettbewerb als Disziplinierungsinstrument, der uns verhältnismässig schlanke, effiziente Verwaltungen beschert, und diese dazu anhält, sich ums Bürgerwohl kümmern).

Rolle der direkten Demokratie

In Wirklichkeit gäbe aber nur schon die vertikale Dreiteilung der Schweiz in die drei Staatsebenen den Gemeindeexekutiven gute Gründe, einen möglichst hohen Steuerfuss anzustreben, um sich ein komfortables Leben ohne Sparsamkeitsbemühungen leisten zu können, denn die Mehreinnahmen kämen ja vollständig der Gemeinde zugute, während die Gesamtsteuerbelastung aus Bundes-, Kantons- und Gemeindesteuern nur leicht anstiege. Auch reagieren die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapitel nicht so empfindlich auf die Steuerbelastung, dass Steuererhöhungen langfristig bestraft und -senkungen belohnt würden. Erst hier kommen dann zusätzlich noch die angesprochenen Effekte des Finanzausgleichs zum Tragen.

Ungeachtet dieser Umstände scheint der Standortwettbewerb in der Schweiz, gerade auch auf kommunaler Ebene, aber recht gut zu funktionieren. Zwar ist es schwierig bis unmöglich, dies in Zahlen zu messen, jedoch sind, wo man hinschaut, meist redliche Bemühungen festzustellen, die Steuerbelastung tief und die Qualität des öffentlichen Angebots hoch zuhalten.

In weiten Teilen ist das der direkten Demokratie und der Bürgernähe der kommunalen Einheiten zu verdanken: Ein Steuerzahler maximiert bei seinen Entscheidungen bestimmt nicht die Zielfunktion «Einnahmen der Gemeinde». Steuerfusserhöhungen haben und hatten in den meisten Gemeinden nur dann eine Chance bei den Bürgern, wenn sie sehr gut begründet waren. Gelegentlich wurde auch schon Gemeinden in offensichtlichen finanziellen Schwierigkeiten eine Erhöhung des Steuerfusses verwehrt. Steuersenkungen haben es da deutlich leichter, vor allem, wenn sie nicht in Bezug zum Abbau öffentlicher Leistungen gesetzt werden. Auch über die Wahlen nehmen die Stimmbürger Einfluss. Sie wählen Gemeindepolitiker, denen sie eine hohe intrinsische Motivation zutrauen, sich für ein möglichst gutes Verhältnis zwischen Steuerbelastung und Qualität der kommunalen Leistungen einzusetzen. Die Trefferquote wie auch die Kontrollmechanismen sind hierbei auf Gemeindeebene wegen der grösseren Nähe der Bürger zu den politischen Akteuren besser als in grösseren politischen Einheiten.

Diese intrinsische Motivation kommunaler (aber auch kantonaler) Politiker geht in der Tat manchmal sehr weit. In Gesprächen mit Lokal- und Regionalpolitikern ist oft der Stolz darüber spürbar, dass ihre Gemeinde, ihr Kanton eine sehr niedrige Steuerbelastung aufweist, die besten Leistungen bietet oder eine Krise ohne drastische Erhöhungen des Steuerfusses überwunden hat. Der Wettbewerb funktioniert hier indirekt. Die Konkurrenz zwischen den Gebietskörperschaften schafft Vergleichsmöglichkeiten und ermöglicht damit erst das Begehren oder die Forderung, «besser» als der Nachbar zu sein. Das ist die gute Nachricht; Gemeindepolitik wird offenbar von Menschen gemacht, die sich dem Wohl ihrer Gemeinde unabhängig von schnöden Ertragsmaximierungsüberlegungen verpflichtet fühlen.

Unnötig kompliziert

Wenn sich aber, um ein Beispiel aus dem Kanton Bern zu nennen, für den Staatshaushalt einer ressourcenschwachen Gemeinde der Zuzug eines Sozialhilfeempfängers eher lohnt als die Ansiedlung eines kleinen Unternehmens, dann läuft, ungeachtet der tatsächlichen Reaktion auf solche Fehlanreize, etwas schief.

Das Urteil über Finanzausgleichssysteme, die Leistung so verbreitet bestrafen, darf deshalb nicht milde ausfallen. Ebensowenig sollten die weiteren, teilweise groben Mängel ignoriert werden, die eine Mehrheit der kantonalen Systeme aufweist. Sie sind heute oft unnötig kompliziert, viele beinhalten artfremde Elemente (oft das Ergebnis politischer Kompromisse), in den meisten Kantonen sind sie mit jeder Überarbeitung umfangreicher geworden und einige sind schlicht veraltet. Sie sind zudem oft mit Fehlanreizen verbunden, die für das eigentliche Ausgleichsziel alles andere als zwingend sind. Ihre Funktion als Solidaritätsbeitrag für den Zusammenhalt einer heterogenen Schweiz könnten sie effizienter erfüllen.

Dieser Artikel erschien im «Kommunalmagazin» vom Dezember 2013.