Der Frühling ist die Zeit der grossen Gefühle. Wer kennt es nicht? Es kribbelt, man wagt den ersten Schritt, und dann, nach schweisstreibenden Stunden, blickt man überglücklich auf eine blitzblank aufgeräumte Wohnung. Ja, nach einem gründlichen Ausmisten und Entrümpeln fühlen sich fast alle besser. Der Frühlingsputz hat denn auch in vielen Weltregionen Tradition. In einem «Kulturkreis» sucht man das Ritual des Aufräumens jedoch vergebens: in der politischen Kultur.

So erklären Politiker jeglicher Couleur zwar regelmässig, etwas gegen verstaubte Regeln und eine sich ausbreitende Bürokratie unternehmen zu wollen. Im politischen Alltag ist davon aber nur wenig zu spüren. Der Grund dafür ist simpel: Politiker müssen im medialen Kampf um Aufmerksamkeit bestehen. Mit neuen Regeln kann man sich öffentlich in Szene setzen. Das Aufräumen ist hingegen eine müssige Tätigkeit. Es ist damit kein Blumentopf zu gewinnen. Und so gilt frei nach Wilhelm Busch: Gesetze machen ist nicht schwer, sie abzuschaffen aber sehr.

Firmen ächzen unter Bürokratie

Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum, dass die Seitenzahl des Landesrechts zwischen 2000 und 2020 von knapp 23’000 auf gut 37’000 anstieg – ein Wachstum von über 60 Prozent in nur 20 Jahren. Inwiefern damit auch eine effektive bürokratische Mehrbelastung einhergeht, ist schwer zu sagen, denn die Quantität von Gesetzen sagt wenig über ihre Qualität aus. Allerdings deuten Umfragen darauf hin, dass der gesetzgeberische Aktivismus durchaus viele Nerven kostet.

So stuften 60 Prozent der über 1500 befragten Unternehmen im jüngsten Bürokratiemonitor des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) ihre administrative Belastung als «hoch» oder «eher hoch» ein. Nur 4 Prozent waren der Meinung, dass die Belastung seit 2018 abgenommen hat. Für diese trockenen Zahlen finden sich leicht entsprechende Geschichten aus dem Alltag. Erst kürzlich sorgte die Stadt Zürich für ein im wahrsten Sinne des Wortes «augenscheinliches» Beispiel: So wurden dort die farbigen Aussenbeleuchtungen von Restaurants behördlich eingeschränkt.

Was lässt sich nun tun gegen solche bürokratischen Regeln, die von vielen als störend empfunden werden? Appelle allein reichen bekanntlich nicht. Aus der Psychologie wissen wir jedoch: Rituale können helfen. Damit kann sichergestellt werden, dass auch lästige Pflichten regelmässig erledigt werden.

Finger drückt auf Delete-Taste einer Tastatur

Jedes Jahr soll eine Sessionswoche ausschliesslich dafür genutzt werden, unnötige und überflüssige Bestimmungen loszuwerden. (Adobe Stock)

Eine neue Behörde braucht es nicht

Diese Erkenntnis lässt sich auf den politischen Alltag übertragen. Avenir Suisse hat deshalb kürzlich das Konzept einer «Löschwoche» erarbeitet. Dabei handelt es sich um eine Art parlamentarischen Frühlingsputz. Jedes Jahr soll eine Sessionswoche ausschliesslich dafür genutzt werden, unnötige und überflüssige Bestimmungen loszuwerden. Eine solche Löschwoche hätte diverse Vorteile.

Erstens würden die Parlamentarier darauf sensibilisiert, dass gutes Legiferieren nicht nur das Hinzufügen, sondern auch das Entfernen von Regeln beinhaltet. Zweitens fokussierte sich die öffentliche Aufmerksamkeit während der Löschwoche auf genau diese Tätigkeit des Bereinigens; damit wären die politischen und medialen Anreize richtig gesetzt. Drittens wäre dieser Ansatz zum Bürokratieabbau schlank und institutionengerecht: Es würde keine neue Behörde benötigt, sondern die gewählten Volksvertreter wären auf eine einfache Art und Weise zum gesetzgeberischen Aufräumen angehalten.

Eine solche «Frühlingsputz»-Sessionswoche würde idealerweise von einer parlamentarischen Kommission vorbereitet werden. Zudem wäre die Kombination mit einem direktdemokratischen Element denkbar, um die Effektivität und Effizienz weiter zu erhöhen: Bürgerinnen und Bürger könnten über das Jahr hinweg störende Regulierungen und Vorschriften melden – wie sie beispielsweise bereits heute unerwünschte Telefonanrufe über eine Homepage dem Seco melden können. Die so erhobene Liste sollte veröffentlicht werden und als Input der vorbereitenden Kommission dienen.

«Red Tape Challenge» in Grossbritannien

Komplettes Neuland würde die Schweiz damit nicht betreten. Einen ähnlichen Prozess führte Grossbritannien in den Jahren 2011 bis 2014 mit der «Red Tape Challenge» durch. Unternehmen und Personen konnten dabei anonym ihre Vorschläge zur Löschung unzweckmässiger Regulierungen einbringen. Gesamthaft führte das zur Löschung oder Verbesserung von über 3000 Regulierungen. Damit sollen für den Privatsektor jährliche Einsparungen von 1,2 Milliarden Pfund erzielt worden sein.

Unaufgeräumte Gesetze kosten also nicht nur Nerven, sondern auch viel Geld. Eine Löschwoche kann hier Abhilfe schaffen. Das Konzept ist einfach und funktioniert auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene gleichermassen. Es gehört entsprechend besser früher als später eingeführt. Statt Session für Session neue Regularien anzuhäufen, sollen unsere Volksvertreter künftig während einer Woche im Frühjahr die Gesetze entrümpeln – damit werden sich am Ende alle im Lande besser fühlen.

Dieser Text ist in der «NZZ am Sonntag» vom 21. April 2024 erschienen.