Die enormen Überschüsse der Kantone gegenüber ihren zuvor budgetierten Defiziten waren kürzlich das Thema einer zweiteiligen Analyse. Weshalb die Fehlprognosen problematisch sind, lässt sich in Teil 1 nachlesen. Teil 2 diskutiert die Rückvergütung der Überschüsse an die Steuerzahler als Lösungsvorschlag. Tatsächlich existieren bereits ähnliche Regelungen in fünf US-Bundesstaaten.

Die Berechnung der auszubezahlenden Summe und die Modalitäten der Rückvergütung weichen aber deutlich von einer Ausgestaltung ab, wie Avenir Suisse sie für sinnvoll hält. In mindestens vier der fünf untersuchen Staaten besteht die eigentliche Motivation hinter den Rückzahlungen darin, das Staatswachstum langfristig einzugrenzen. Folglich sind sie oft gekoppelt an unterschiedlich ausgestaltete Einnahmelimiten. Die von Avenir Suisse diskutierte Rückvergütung soll hingegen generationengerechtes und bürgernahes Budgetieren fördern. Im Folgenden werden die Vorgehen der fünf Bundesstaaten näher betrachtet.

Oregon

Die wohl etablierteste und am umfangreichsten angewandte Rückvergütung von staatlichen Überschüssen findet in Oregon statt. Der sogenannte «Kicker» wird aktiv, wenn die Steuereinnahmen die Vorhersagen der staatlichen Ökonomen im Zweijahresbudget um zwei Prozent überschreiten. Dabei wird die Differenz zu den Vorhersagen rückvergütet, und zwar für den einzelnen Steuerzahler proportional zur Steuerschuld. Diese wird dann auf die nächste Steuerzahlung gutgeschrieben oder ausbezahlt, wenn im nächsten Jahr keine Steuern geschuldet sind.

Eingeführt wurde der Rückzahlungsmechanismus im Jahr 1979 – und 2000 sogar in der Verfassung verankert. Seit der Einführung wurde der Kicker in der Mehrheit der Jahre ausgezahlt. Die Dimension der Auszahlung, und damit der Fehleinschätzung der zuständigen Ökonomen, hat in den letzten Jahren jedoch neue Höchststände erreicht. Für die neuste Periode von 2021 bis 2023[1] beträgt die Rückzahlung 44% der bezahlten Steuern, zuvor wurde in keinem Jahr ein Kicker von mehr als 20% gewährt. Die rekordhohe Rückvergütung sei Folge der sehr viel höheren Steuereinnahmen, die in Oregon grösstenteils aus Einkommenssteuern bestehen, welche äusserst volatil sind. Die zweijährigen Budgetperioden tragen zur Ungenauigkeit bei.

Die grossen Abweichungen zum Budget haben einiges an Kritik von demokratischer Seite provoziert. Die pessimistische Budgetierung schränke den Staat ein, seine Aufgaben im adäquaten Ausmass zu erfüllen, da das Gesetz ein ausgeglichenes Budget von Ein- und Ausgaben verlangt. Werden dann die Überschüsse ausbezahlt, würden sie dem Staat auch für zukünftige Ausgaben entzogen.

Colorado

In Colorado ist die Rückvergütung der Überschüsse an eine rigide Ausgabenbremse gekoppelt. Das «TABOR Amendment» (Taxpayer’s Bill of Rights), das 1992 von der Stimmbevölkerung angenommen wurde, limitiert die staatlichen Einnahmen auf entweder die letztjährigen Einnahmen oder die letztjährige Tabor-Limite, je nachdem welches der tiefere Wert ist. Einzig um die Inflations- und die Bevölkerungswachstumsrate wird die Tabor-Limite erhöht. Da auch in Colorado das Gesetz ein ausgeglichenes Budget verlangt, werden mit der Einnahmegrenze auch gleich die staatlichen Ausgaben beschränkt. Inflationsbereinigt ist also kein Pro-Kopf-Wachstum des Staates erlaubt. Übersteigen die Einnahmen die Tabor-Limite, wird der Überschuss rückvergütet.

Die Rückvergütung geht einerseits an die Countys und andererseits an die Bevölkerung als «Sales Tax Refund». Wurde dieser 2022 noch gemäss sechs Einkommensstufen verteilt (höhere Steuerschuld bedeutet auch höhere Rückzahlung), gab es in 2023 einen Pauschalbetrag von 800 USD pro Person. Tabor unterliegt einer ähnlichen Kritik wie die Rückvergütung in Oregon. Zusätzlich wird argumentiert, dass die Kopplung an das blosse Bevölkerungswachstum z.B. die Entwicklung der Altersstruktur ausser Acht liesse. Erst im November 2023 unterlagen die Demokraten mit einem Versuch, die Tabor-Limite für 10 Jahre aufzuweichen.

Karte der USA, Staaten mit Namen beschriftet; Oregon, Colorado, Missouri, Michigan und Massachusetts hervorgehoben.

Die US-Bundesstaaten Oregon, Colorado, Massachusetts, Michigan und Missouri kennen unterschiedlich ausgestaltete Steuerrückvergütungen. (Adobe Stock)

Massachusetts

Das Gesetz «Chapter 62F» aus dem Jahr 1986 regelt die Rückvergütung von staatlichen Überschüssen in Massachusetts. Übersteigen die staatlichen Einnahmen eine an die Lohnentwicklung gebundene Limite, werden die zusätzlichen Einnahmen via einer Steuergutschrift in Prozent der jeweils bezahlten Einkommenssteuern rückvergütet. Dies ist im Jahr 1987 passiert – und dann mehr als drei Jahrzehnte nicht mehr. Erst wieder im Jahr 2022 kam es zu Rückzahlungen in der Höhe von ungefähr 14% der Einkommenssteuern.

Michigan

Vergleichsweise kurios muten die Geschehnisse in Michigan an. Eine bei der Bevölkerung in Vergessenheit geratene Regelung von 2015 löst eine Senkung der Einkommenssteuern aus, wenn die staatlichen Einnahmen einen Multiplikator der Inflation übersteigen. Dies war zum ersten Mal überhaupt im Jahr 2023 der Fall. Die erstmalige Anwendung war begleitet von Kontroversen.

Die demokratische Gouverneurin wollte als Teil einer Steuerreform für alle gleich hohe Rückzahlungen vornehmen, was die Einnahmen wieder unter die Limite gedrückt und die Steuersenkung verhindert hätte. Die Republikaner wendeten dies ab, darauf hoffend, dass dauerhafte Steuersenkungen resultierten. Die Regelung war jedoch so unklar formuliert, dass schliesslich ein Gericht darüber entscheiden musste, ob die Senkung laut Gesetz einjährig oder permanent ist. Das Urteil lautete auf einjährig.

Missouri

Missouri hat 1980 das «Hancock-Amendment» in der Verfassung verankert. Die maximal erlaubten Staatseinnahmen werden hierbei in Relation zu den Einkommen gesetzt. Der Anteil der Einnahmen an den Einkommen darf denjenigen von 1981 nicht überschreiten, ansonsten muss die Differenz proportional zur Steuerschuld rückvergütet werden. 1999 wurde der Mechanismus das letzte Mal ausgelöst.

Neuer Trend: Rückvergütungen als sozialpolitische Massnahme

In vier der fünf beschriebenen US-Staaten resultieren die Rückvergütungen aus dem Wunsch, das Wachstum des Staates einzuschränken. Kritik an den automatischen Rückzahlungsmechanismen kam daher wenig überraschend in erster Linie von Vertretern der Demokratischen Partei. Besonders in Oregon und Colorado, wo es häufig zu Auszahlungen kommt, wird die Abschaffung dieser Mechanismen immer wieder gefordert. Die Republikaner hingegen wollen die Rückvergütungen beibehalten, um jegliches Staatswachstum zu verhindern. Mittlerweile haben allerdings auch die Demokraten die Rückzahlungen für sich entdeckt. Ihre präferierte Modalität der Rückvergütung weicht aber von einer proportionalen Steuerrückvergütung ab. Der von den Demokraten bestimmte fixe Betrag pro Steuerzahler in Colorado kommt entsprechend einer sozialpolitischen Umverteilung gleich.

In den letzten Jahren sind auch Bundesstaaten ohne gesetzlichen Rückzahlungsmechanismus auf den Geschmack gekommen, Überschüsse auf eine umverteilende Art und Weise rückzuvergüten. Die Rückvergütung eines unerwarteten Überschusses im US-Staat Kalifornien wurde sogar in der Höhe umgekehrt proportional zum Einkommen gewährt. Mit solchen Subventionen können sich Politiker als grosszügig und volksnah profilieren. Begründet werden die Zahlungen mit der wirtschaftlichen Lage und der Inflation, die gerade Personen mit tiefen Einkommen stark treffen. Kaum beliebt macht sich hingegen, wer proportional zur Höhe der Steuerschuld den Besserverdienern höhere Beträge auszahlt. Die Überschüsse werden damit zum Spielball der Politik.

Die sachfremde Vermischung unterschiedlicher Anliegen

In den USA, wo die Dichte der sozialen Auffangnetze jene der Schweiz nicht ansatzweise erreicht, mag es verständlich sein, dass die Politiker Überschüsse an Menschen mit geringem Einkommen verteilen möchten, wenn diese Bevölkerungsgruppe mit den steigenden Lebenskosten zu kämpfen hat. Die Massnahme bleibt aber ein staatspolitischer Murks. Wenn Menschen wirklich auf (weitere) staatliche Zuschüsse angewiesen sind, dann sollten diese nicht davon abhängig sein, ob der Staat zufälligerweise einen Überschuss erzielt oder nicht. Leistungen des Staates – ob monetärer oder sachlicher Natur, sollten in einem politischen Prozess bestimmt werden, und nicht Ergebnis kaum steuerbarer Vorkommnisse sein. Die Aufgabenerfüllung oder Transfers an sachfremde Kriterien zu binden, ist staatsrechtlich wie ökonomisch fraglich: Der Staat sollte eine Ausgabe dann tätigen, wenn sie im öffentlichen Interesse liegt und effizient ist, nicht wenn zufälligerweise gerade das Geld dafür vorhanden ist.

Die Rückzahlungen in den USA sind meist die Folge der rigider Ausgabenbremsen. Auch diese verletzen die eben genannte Maxime und sind daher kritisch zu sehen: Sie schränken die politische Handlungsfähigkeit über Gebühr ein. Dass unter dieser Voraussetzung die Versuchung gross ist, unerwartete Überschüsse nach sozialpolitischen Kriterien rückzuverteilen, überrascht kaum.

Die Situation in der Schweiz ist derweil eine andere. Die Kantone haben klug ausgestaltete Schuldenbremsen statt starre Ausgabenbremsen, und es besteht eine soziale Absicherung. Die von Avenir Suisse vorgeschlagene proportionale Steuerrückvergütung verfolgt denn auch weder ein sozialpolitisches noch ein haushaltstechnisches Ziel. Vielmehr soll mit dem neuen Instrument die Problematik nicht budgetierter Überschüsse bei einer soliden Finanzlage angegangen werden. Das Ziel ist damit ein anderes als in den US-Bundesstaaten: Die Steuerrückvergütung soll die Generationenungerechtigkeit falscher staatlicher Budgetierung mildern.

[1] Die Rechnungsjahre sind nicht deckungsgleich mit den Kalenderjahren. Darum tangiert eine Zweijahres-Periode drei Kalenderjahre.