Mit erneuerbarem Strom hergestellter («grüner») Wasserstoff wird von Experten und Politikern weltweit als Energieträger der Zukunft beurteilt. Ob als Speichermedium, im Schwerverkehr oder in der Stahlindustrie – überall sollen die Moleküle einen entscheidenden Beitrag zur grünen Transition leisten. Anfang Februar unterzeichnete die EU-Kommission bei ihrem Besuch in Kiew eine Absichtserklärung für eine Strategische Partnerschaft für Biomethan, Wasserstoff und andere synthetische Gase mit der Ukraine. Beide Seiten unterstreichen ihre Verpflichtung, die Abhängigkeit von Importen fossiler Brennstoffe, insbesondere von russischem Gas, zu verringern. Die Episode zeigt, dass der steigende Wasserstoffbedarf auch geopolitische Implikationen hat.

Neue Muster

Es ist davon auszugehen, dass Handel- und Investitionsströme mit Wasserstoff neue Interdependenzen schaffen. Zahlreiche kürzlich abgeschlossene Abkommen deuten darauf hin, dass sich diese von den auf Öl und Gas basierenden Abhängigkeiten unterscheiden werden. Beispielsweise möchte die EU bis 2030 zehn Millionen Tonnen grünen Wasserstoff importieren und ist dazu nebst der Ukraine auch Partnerschaften mit Ägypten, Kasachstan und Namibia eingegangen.

Grundsätzlich lässt sich grüner Wasserstoff überall herstellen. Die grossen Gewinner der Transformation könnten aber Länder wie Marokko oder Australien sein, die nebst guter Infrastruktur auch über genügend erneuerbare Energie und Wasserzugang verfügen, um das Gas effizient und kostengünstig herzustellen. Entsprechend werden sie in der Lage sein, Wasserstoff im grossen Stil zu exportieren. Zudem hegen auch Länder aus dem arabischen Raum wie Saudi-Arabien oder Oman die Ambition, Europa und die Asien-Pazifik-Region mit Wasserstoff zu versorgen.

Staaten wie Deutschland oder Japan sind hingegen auf Importe angewiesen. Entsprechend betreiben diese Länder eine aktive Wasserstoffdiplomatie, da ihre industriellen Ballungsräume entsprechend versorgt werden müssen. Dazu gesellt sich eine dritte Gruppe von Staaten wie China oder die USA, die ihren Bedarf mehr oder weniger selbst decken werden.

Chancen und Gefahren

Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft bietet nebst einem signifikanten Beitrag zur Energiewende auch zahlreichen Staaten die Möglichkeit, ihre Energiesicherheit bis zu einem gewissen Grad neu auszubalancieren. Aufgrund des grundsätzlich einfach kopierbaren Produktionsprozesses ist es unwahrscheinlich, dass Wasserstoff von einem Kartell monopolisiert oder als Waffe eingesetzt wird. Das Erpressungspotenzial ist also geringer als bei Öl und Gas. Vor diesem Hintergrund ergeben sich für klassische Industrienationen Win-Win-Konstellationen mit Entwicklungsländern. Erhalten diese frühzeitigen Zugang zur notwendigen Produktionstechnologie, erhöht sich die Energiesicherheit insgesamt.

Da sich der Wasserstoffmarkt in seiner Aufbauphase befindet, ist er naturgemäss noch fragmentiert. Allerdings könnte sich die Fragmentierung aufgrund von Rivalitäten zwischen den Grossmächten verfestigen. So ist Wasserstoff zunehmend Teil von konkurrenzierenden Infrastrukturinitiativen wie dem US-amerikanisch geführtem «Blue Dots Network» oder der chinesischen «Belt and Road Initiative». Verschiedene technische Standards z.B. bei Zertifizierungsverfahren könnten zu einer ineffizienten Wasserstoffwirtschaft und somit zu einer Nicht-Ausschöpfung des Dekarbonisierungspotenzials führen.

Kein Wasserstoffland?

In der Schweiz ist das ökonomische Potenzial zur Wasserstoffherstellung gering. Laut einem Bericht des BFE dürfte die Produktion höchstens neben Laufwasserkraftwerken oder Kehrichtverbrennungsanlagen sowie in Zeiten günstiger oder gar negativer Strompreise stattfinden. Folglich wird auch die Schweiz grünen Wasserstoff importieren müssen, denn dieser könnte z.B. in umgerüsteten Gaskraftwerken den Strombedarf im Winter klimaneutral und flexibel decken. Zugang zu den internationalen Wasserstoffmärkten ist somit unabdingbar, wenn die Schweiz mit grünem Wasserstoff ihre Versorgungssicherheit erhöhen möchte. Entscheidend dürfte insbesondere der Zugang zum EU-Binnenmarkt sein, es gilt aber auch Abkommen mit Drittstaaten in diesem Bereich in Betracht zu ziehen. Strategisch zentral wird die Einbindung der Schweiz in den geplanten European-Hydrogen-Backbone sein. Dieser Zug darf auf keinen Fall verpasst werden.