Die Schweiz ist wie Norwegen, Liechtenstein und Island ein assoziiertes Schengen-Mitglied. Eine Mehrheit von 54,6% der Stimmbevölkerung gab im Juni 2005 der Assoziation zu Schengen/Dublin eine direktdemokratische Legitimation. Wie im Abstimmungsbüchlein ersichtlich war, gab es damals diverse Sicherheitsbedenken. Das Aktionskomitee gegen einen Schengen -Beitritt beispielsweise fasste damals zusammen: «Schengen bringt offene Grenzen, mehr Kriminelle, mehr Schwarzarbeiter, tiefere Löhne, mehr arbeitslose Schweizer, fremdes Recht und schliesslich den EU-Beitritt» (Abstimmungsbüchlein, Seite 11). Über zehn Jahre später darf man konstatieren, dass die geäusserten Befürchtungen nicht eingetreten sind.

800 Millionen Grenzübertritte pro Jahr

Grossbritannien und Irland sind keine Schengen-Mitglieder und kontrollieren folglich Grenzen, was aufgrund der geografischen Lage relativ einfach durchführbar ist. Die Brexit-Verhandlungen haben allerdings deutlich gemacht, dass selbst auf einer Insel harte Grenzen politisch umstritten sind. Die Schweiz hingegen ist keine Insel. Umgeben von vier EU-Mitgliedstaaten und einem EWR-Land liegen wir im Herzen Europas und spielen die zentrale Rolle beim Nord-Süd-Verkehr von Personen und Gütern. Grenzregionen rund um Genf, Tessin und Basel zählen zu den dynamischsten Wirtschaftsräumen mit zahlreichen ausländischen Arbeitskräften. 2018 zählte die Schweiz 312‘325 Grenzgänger. Von der hürdenlosen Mobilität profitieren nicht nur die Schweizer Volkswirtschaft, sondern auch Schweizer Bürger. Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BfS) zeigen, dass 2015 total 805,5 Mio. Personen die Schweizer Grenze in Fahrzeugen und auf der Schiene passierten – das sind 91’952 Personen pro Stunde (exkl. Luftverkehr). Selbstverständlich erhöhen Pendler oder Einkaufstouristen diese Zahl aufgrund der Ein- und Ausreise. Dies zeigt aber auch auf, welche Konsequenzen systematische Personenkontrollen an den Grenzen mit sich bringen würden.

Häufigkeitszahlen Straftaten in der Schweiz 97-17 Die Anwendung der Schengen-Praxis betrifft aber nicht nur die oft in Grenzgebieten tätigen multinationalen Schweizer Unternehmen, sondern auch Schweizer Bergkantone mit erhöhtem Tourismusaufkommen aus Drittstaaten wie Indien, China, Thailand, Russland oder den Golfstaaten. Im Jahr 2017 wurden laut Staatssekretariat für Migration (SEM) 479’465 Schengen-Visa und 67’404 nationale Visa ausgestellt. Die grosse Nachfrage nach Schengen-Visa ist insofern dadurch begründet, dass Touristen neben der Schweiz noch andere europäische Länder bereisen wollen. Wäre die Schweiz kein Schengen-Mitglied, so müssten Touristen aus Drittstaaten für eine Europareise neben dem Schengen-Visum noch ein nationales Visum für die Schweiz beantragen – neben dem starken Franken ein zusätzlicher administrativer Aufwand, der nicht attraktivitätsfördernd wäre.

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Jede halbe Stunde ein Fahndungstreffer

Eine Grenzöffnung ohne Personenkontrollen birgt auf den ersten Blick Risiken für die innere Sicherheit. Diesem Umstand wurde mit dem Schengener Informationssystem (SIS) Rechnung getragen. Auf diese 1995 lancierte Datenbank mit mehr als 75 Mio. Einträgen hat die Schweiz dank Schengen-Assoziierung vollen Zugriff. Ohne Schengen-Assoziierung könnte ein zur Verhaftung in einem Schengen-Land ausgeschriebener Krimineller von Schweizer Zöllnern zwar kontrolliert werden, aber die Schweizer Behörden wüssten dabei möglicherweise nicht, dass es sich bei der Person um einen international Gesuchten handelt. Angesichts der zunehmend grenzüberschreitend agierenden kriminellen Netzwerke ist der SIS-Zugang von Vorteil. Dank Schengen erfolgten während zehn Jahren über 4000 Festnahmen. Es kann bei einem Einsatz weiterhin zentral sein, zu wissen, ob und in welchem Ausmass eine zur Fahndung ausgeschriebene Person bewaffnet ist. Die Anzahl der Fahndungstreffer hat sich im Vergleich zur Ära vor Schengen verdoppelt. Zahlen des Fedpol zeigen, dass dank SIS-Zugang im Jahr 2017 alle 30 Minuten ein Fahndungstreffer mit Bezug zur Schweiz erzielt wurde. Den Löwenanteil dieser Treffer macht illegale Migration aus.

Die vorliegende Statistik der polizeilich registrierten Straftaten in Relation zur ständigen Wohnbevölkerung zeigt, dass einige Delikte seit Inkrafttreten von Schengen Ende 2008/Anfang 2009 zwar rückläufig sind. Aufgrund dessen eine Kausalität zwischen dem Abkommen und sinkender Kriminalität herzustellen, wäre jedoch analytisch falsch. Denn der mit Schengen verbundene Anstieg der Fahndungstreffer müsste logischerweise auch zu mehr polizeilich registrierten Straftaten führen. Es kann jedoch angenommen werden, dass die Polizeiarbeit dank der internationalen Vernetzung an Wirksamkeit und Effizient zugenommen hat und damit eine abschreckende Wirkung erzielt. Dies könnte ein Umstand sein, welcher mit den rückläufigen Häufigkeitszahlen korreliert. Mit Sicherheit lässt sich jedoch feststellen, dass der befürchtete Kriminalitätsanstieg durch offene Grenzen dem Faktencheck nicht standhält. Bei genauerer Betrachtung der Zahlen für Einbruch-, Fahrzeug- und Entreissdiebstahl oder für Raub, Drohungen und Körperverletzung kann nicht von einem Anstieg des so genannten «Kriminaltourismus» gesprochen werden.

Weniger Asylgesuche und Kosten dank Dublin

Bei der Debatte rund um Schengen geht oft die Verknüpfung mit Dublin vergessen. Diese hat für das Binnenland Schweiz im Asylbereich klare Vorteile, weil gemäss Dublin-Verordnung einzig ein Staat für das Asylverfahren von Asylsuchenden zuständig ist. Während des Asylverfahrens werden Fingerabdrücke erstellt und in der Eurodac-Datenbank erfasst, um sicherzustellen, dass eine Person wirklich nur ein Gesuch stellen kann.

Ohne Schengen kein Dublin. Ohne Dublin kein Zugriff auf die Eurodac-Datenbank und Verweis auf den Dublin-Mechanismus. Asylsuchende mit einem negativen Entscheid aus Italien könnten ungehindert ein Zweitgesuch in der Schweiz stellen. Die Schweiz wäre dann verpflichtet, dieses zu prüfen. Es könnte eine Sogwirkung entstehen, die einen grossen Mehraufwand für unsere Behörden schaffen würde. Bei der Prüfung der Gesuche hätten unsere Beamten zudem keinen Zugriff auf Eurodac und auch nicht auf das SIS.

Warum wir Schengen/Dublin korrekt umsetzen sollten

Es liegt auf der Hand, dass Schengen nicht nur für die uneingeschränkte Mobilität der Bürger wichtig ist. Auch für den grenzüberschreitenden Handel, den Tourismus und das Asylwesen ist dieses Abkommen zentral. Unsere Souveränität ist dadurch nicht bedroht, ganz im Gegenteil. Schengen trägt dazu bei, dass unsere Polizei ihre Arbeit, mit Informationen reichlich versorgt, angemessen verrichten kann und stärkt damit einen Eckpfeiler staatlicher Souveränität. Kriminelle Organisationen arbeiten und operieren zunehmend transnational – auch in der Schweiz. Für die Gewährleistung der inneren Sicherheit und der damit einhergehenden individuellen Freiheit der Bürger ist daher eine korrekte Umsetzung von Schengen zentral.