Mit Berner Gemächlichkeit geht die politische Schweiz der Frage nach, wann und wenn ja mit welchen Klärungen oder ob überhaupt ein institutionelles Abkommen mit der EU abgeschlossen werden soll. Während der EU-Kommissionspräsident eine Wochenfrist ansetzt, um die strittigen Punkte des seit Dezember 2018 veröffentlichten InstA-Vertrags zu klären, herrscht in Bundesbern Courant normal.
Der Bundespräsident empfängt in der entscheidenden Woche den Präsidenten Kolumbiens zu einem Arbeitsbesuch; der Ständerat geht derweil am Tag, an dem die EU-Kommission die Börsenäquivalenz nicht mehr verlängert, der Frage nach, warum Baubewilligungen für Anpassungen von Rustici im Tessin durch die Berner Amtsbürokratie erschwert werden; und die Gewerkschaften weigern sich aufgrund anderweitiger terminlicher Verpflichtungen, der kurzfristigen Einladung des Generalsekretärs der EU-Kommission zu einem Treffen in Brüssel nachzukommen, obwohl sie selbst um ein solches Treffen nachgesucht haben.
Derweil passieren täglich Waren und Dienstleistungen von über 1 Milliarde Franken die Schweizer Grenze, wovon wieder rund eine Million Arbeitsplätze in der Schweiz abhängen. Alleine die chemisch-pharmazeutische Industrie exportierte im letzten Jahr für rund 50 Milliarden Franken Produkte in die EU-Länder.
Angesichts des Entscheidungsstillstands zum InstA stellt sich unweigerlich die Frage, welchen Weg die Schweiz zukünftig beschreiten will, wenn der vorliegende Vertrag bereits im Bundesrat keine Mehrheit findet. In Kauf genommen wird, dass die volkswirtschaftlichen Kosten eines erodierenden bilateralen Wegs mit längerer Zeitdauer immer höher werden. Fehlende «Updates des bilateralen Betriebssystems» bedeuten nicht den Erhalt des Status quo, sondern resultieren in der schleichenden Obsoleszenz der bilateralen Verträge.
Doch was sind die Alternativen zum InstA? Ein umfassendes Freihandelsabkommen (FHA) Schweiz – EU? Selbst der Bundesrat kommt zum Schluss, dass mit einem FHA anstelle der heute praktizierten sektoriellen Einbindung in den EU-Binnenmarkt das Marktpotenzial für Schweizer Unternehmen nur teilweise genutzt werden könnte. Entsprechend negativ wären die Wirkungen auf das BIP-Wachstum pro Kopf. Oder eine marktwirtschaftliche Kur mit einer unilateralen Öffnung, um die erodierenden Abkommen mit der EU wirtschaftlich aufzufangen? Aus liberaler Sicht begrüssenswert, doch bedauerlicherweise herrscht hierzulande nicht nur ein Entscheidungs-, sondern auch ein veritabler Reformstillstand.
Letztlich wird man also nicht darum herumkommen, den aktuellen Courant normal des Abwartens und Aussitzens zu durchbrechen, um den dynamischen Courant des erfolgreichen wirtschaftlichen Austauschs zu der mit Abstand wichtigsten Handelspartnerin auf eine zukünftig tragfähige Grundlage zu stellen.
Dieser Text ist am 27.6.2019 in der «Handelszeitung» publiziert worden.