In den Anfangstagen der Kantonsschule Limmattal hat die Lehrerschaft wohl kaum zu träumen gewagt, welche Hilfsmittel ihr im Jahr 2022 zur Verfügung stehen würden: Mussten sie in den 1970er Jahren die Schulunterlagen noch mit der Schreibmaschine abtippen, programmieren heute Schulklassen eigenständig den Arduino-Minicomputer, dessen Rechenleistung die technischen Mittel der Apollo-11-Mondmission um das Mehrfache übertrifft. Darüber hinaus können heute Schulstunden einfach per Mausklick stattfinden, ohne dass sich dafür eine Person im Schulzimmer befinden muss. Und zu guter Letzt sind Schülerinnen und Schüler unabhängig vom Unterricht dazu in der Lage, sich die Differentialrechnungen oder den Wiener Kongress nochmals erklären zu lassen – die Digitalisierung macht’s möglich.
Schüler- und Lehrerschaft sind innovativ unterwegs und scheinen, aus diesem unterrichtsbezogenen Blickwinkel, bereits gut gerüstet für die Zukunft zu sein. Gleichzeitig befindet sich das Bildungswesen als Ganzes im stetigen Wechselspiel mit den rasanten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Welche Prognose, die immer mit einer Portion Unsicherheit behaftet ist, lässt sich folglich über das zukünftige Bildungswesen stellen?
Mehr Bildung
Der Wandel hin zu einer von Technologie und Digitalisierung geprägten Dienstleistungsgesellschaft beeinflusst bereits heute die Sekundarstufe II in direkter Weise: Eine breitere Allgemeinbildung wird wichtiger, Schulfächer wie die Informatik werden entscheidend und die Zahl der Maturandinnen und Maturanden stetig grösser. Für das Jahr 2031 rechnet das Bundesamt für Statistik (BfS) mit rund 43’700 Absolventinnen und Absolventen. Das sind über 30 Prozent mehr als 2011. Gerade die Berufsmaturität hat in den letzten Jahren diesen Zuwachs geprägt. So ist allein zwischen 2000 und 2020 die Berufsmaturitätsquote von 8 auf 16 Prozent angestiegen. Auch in Zukunft wird sie nebst der gymnasialen Maturität eine zentrale Rolle spielen, denn der Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften ist immens:
Allein im Mint-Bereich und im Gesundheitswesen kann der Fachkräftebedarf langfristig nur gedeckt werden, wenn nebst der Zuwanderung aus dem Ausland die Teilzeitarbeitenden ihre Pensen erhöhen, ältere Berufstätige länger im Arbeitsmarkt bleiben sowie Maturandinnen und Maturanden sich vermehrt für eine Hochschulausbildung in diesen Sparten entscheiden. In diesem Zusammenhang geht das BfS in einer Prognose zum Bildungsniveau der Bevölkerung davon aus, dass im Jahr 2050 fast 60 Prozent der 25- bis 64-Jährigen eine tertiäre Ausbildung – sprich den Abschluss einer höheren Berufsbildung oder Hochschule – besitzen werden. Zum Vergleich: Heute liegt der Anteil der ständigen Wohnbevölkerung mit einem Hochschulabschluss oder einem höheren Berufsbildungsdiplom bei rund 45 Prozent, im Jahr 2000 waren es noch 24 Prozent.
Mehr Bildung, neue Finanzierung
Parallel zu den wachsenden Maturitätsklassen und steigenden Studierendenzahlen haben sich seit den 1990er Jahren die öffentlichen Bildungsausgaben teuerungsbereinigt fast verdoppelt. Nach den Ausgaben für das Sozialwesen sind sie mit einem Anteil von rund 15 Prozent der zweitgrösste staatliche Kostenpunkt, was den Stellenwert von Humankapital für die Schweiz unterstreicht. Dennoch stellt sich in Anbetracht des steigenden Bedarfs an hochqualifizierten Arbeitskräften sowie zunehmenden Matura- und Studierendenzahlen die Frage der zukünftigen Finanzierung. Öffentliche Mittel sind knapp, stets von verschiedenen Seiten umworben und zu einem wachsenden Teil bereits gebunden (z.B. im Bereich der Altersvorsorge als grösstem Ausgabeposten).
Eine Qualitätszunahme des Bildungswesens zukünftig an der Knappheit der Finanzmittel scheitern zu lassen, wäre aber für die rohstoffarme Schweiz eine schlechte Entscheidung. Stattdessen könnte darauf hingearbeitet werden, jeden Bildungsfranken möglichst effizient einzusetzen. Folglich sind innovative Vorhaben nicht nur im Klassenzimmer, sondern auch bei der zukünftigen Bildungsfinanzierung gefragt. Eine radikale Idee in diesem Bereich wäre es, Schülerinnen und Schüler ein öffentlich finanziertes «Bildungsgeld» zu vergeben. Bund und Kantone würden in diesem Fall nicht mehr direkt das Bildungsangebot bereitstellen, sondern – ähnlich wie bei einem zweckgebundenen Bankkonto – die Mittel den Auszubildenden über ein persönliches Bildungskonto zuteilen. Mit diesen Mitteln bezahlen die Schülerinnen und Schüler ihre individuell gewählte Bildungseinrichtung, die nun untereinander in Konkurrenz stehen.
Abhängig von der erreichten Bildungsstufe oder Institution wäre es dann denkbar, den Budgetbetrag zu erhöhen, sprich das noch verfügbare Bildungsgeld zu vergrössern. Auch könnte der finanziellen Situation individuell Rechnung getragen werden. Durch diesen Wechsel des Finanzierungssystems von der Angebots- zur Nachfragefinanzierung würde der Qualitätswettbewerb im Bildungsbereich belebt. Zudem würden die Geldströme transparent und die Kontoinhaber sich individuell mehr Gedanken darüber machen, wie sie das Geld von ihrem Bildungskonto genau einsetzen möchten. Mit solchen Anreizen könnte das gesamte Bildungssystem wiederum effizienter werden, so dass jeder Franken bestmöglich eingesetzt wird.
Nicht nur mehr, sondern auch längere Bildung
Unabhängig von der Finanzierungsfrage sind der Besuch von Gymnasien und Hochschulen sowie Schul- und Studienabschlüsse nur ein erster Schritt auf dem lebenslangen Bildungsweg. Denn der Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit verlangt bereits heute ein ständiges Dazulernen: Über 65 Prozent der 15- bis 64-Jährigen gaben 2016 an, in den vergangenen zwölf Monaten eine Weiterbildung besucht zu haben. Gerade Personen mit einem tertiären Bildungsabschluss nehmen öfters und länger an Weiterbildungen teil: Selbst im Pandemiejahr 2021 besuchte fast ein Drittel der Personen mit Tertiärabschluss vier oder mehr Bildungsaktivitäten, beinahe die Hälfte dieser Weiterbildungsteilnehmer investierte über 40 Stunden in eine Fortbildung.
Nicht zu unterschätzen ist zudem das informelle Lernen, also jener Wissensgewinn, der während der Arbeitszeit erzielt wird. In Anbetracht der allgemein steigenden Bildungsanstrengungen sowie der dynamischen, technologischen und wirtschaftlichen Entwicklung wird die Weiterbildung auch zukünftig ein essenzieller Teil des Bildungswesens bleiben. Für Schülerinnen und Schüler zählt also nebst den formellen Bildungsabschlüssen vor allem, sich die Neugierde, den Wissensdurst und die Lernbereitschaft über die Schulzeit hinaus zu bewahren.
Dieser Beitrag ist im «Schulmagazin der Kantonsschule Limmattal» (37/2022) erschienen.