Die Förderer von Avenir Suisse haben sich am Dienstag, 4. April, zum Annual Dinner im Zürcher Papiersaal getroffen. Das Thema des Abends lautete: «Hochschul- und Innovationsland Schweiz: Reformbedarf?». Nach Inputreferaten von Peter Grünenfelder und Patrik Schellenbauer diskutierte eine hochkarätige Runde die Frage, wie der Bildungsstandort Schweiz erfolgreich in die Zukunft geführt werden kann.

Der Ort des diesjährigen Annual Dinners in einer ehemaligen Papierfabrik sei nicht zufällig gewählt worden, erklärte Andreas Schmid als Präsident des Stiftungsrats in seiner Begrüssung. Er verstehe die Sihlcity als ein Sinnbild des permanenten Wandels der Schweizer Wirtschaft. Die Denkfabrik war in der Papierfabrik zusammengekommen, um die Frage zu diskutieren, wie im Innovations- und Hochschulbereich die Spitzenplätze in Zukunft gehalten werden können. Thomas Hammer, Präsident der Förderstiftung, spann Schmids Faden weiter: Der Think-Tank sei angewiesen auf Unabhängigkeit, um Fakten aufzuzeigen, die Einzelnen auch unangenehm sein können. Die neue Rekordzahl von über 140 Förderern garantiere eine tragfähige Basis für diese Unabhängigkeit und stelle sicher, dass Avenir Suisse keinen Partikularinteressen folgt.

«Switzerland first»

Laut einem Ranking der Weltbank liegt die Schweiz in Sachen Innovation und Wohlstand an der Spitze – «Switzerland first», wie Direktor Peter Grünenfelder in seinem Referat ironisch bemerkte. Entscheidend zu diesem Erfolg beigetragen hat unser «noch relativ liberaler» Arbeitsmarkt, die aussenwirtschaftspolitische Offenheit und die politische Stabilität. Der Wohlstand und die Innovationkraft hätten aber genauso mit dem Bildungssystem zu tun.

Wie aber ist es zu interpretieren, dass die öffentlichen Bildungsausgaben stärker steigen als das Bruttoinlandprodukt? Trotz hoher Investitionen in die Bildung gestalte es sich für die Wirtschaft zunehmend schwieriger, Mitarbeitende mit den richtigen Qualifikationen zu finden. Grünenfelder stellte die These in den Raum, dass die Ausbildung möglicherweise an den Arbeitsmarktbedürfnissen vorbeizielt. Unsere Hochschulen stünden vor der Herausforderung, Studierende für Aufgaben vorzubereiten, die angesichts der digitalen Veränderungen noch kaum vorauszusehen sind. Da die Wissenschaft zunehmend globaler, mobiler und kompetitiver wird, ergeben sich Spannungsfelder für die schweizerische Hochschullandschaft. Es ist zu bezweifeln, dass der Staat aufgrund dieser Dynamik als zentraler Planer auftreten kann. Aus Avenir-Suisse-Sicht ist ein Erneuerungsbedarf in Fragen der Governance, der Autonomie, der Steuerung und Finanzierung bei den Hochschulen gegeben, um dieser Dynamik zu begegnen.

Teure Spitzenplätze

Der Chefökonom Patrik Schellenbauer begann seine Ausführungen unter dem Titel «Liberale Eckwerte für eine erneuerte Hochschulbildung» mit einer Auslegeordnung der Hochschullandschaft. Dabei stellte er fest, dass Schweizer Universitäten gemäss den einschlägigen Rankings Spitzenplätze belegen, dass beinahe ein Viertel aller Schweizer Studierenden an Top-100-Universitäten eingeschrieben sind und dass die Hochschulen viele ausländische Master- und PhD-Studierende anziehen.

Dies lässt sich die öffentliche Hand einiges kosten. Die Ausgaben pro Studierendem gehören in der Schweiz zu den höchsten in der OECD und steigen weiter. Mit diesen Mitteln wird zwar durchaus Exzellenz finanziert.  Gleichzeitig ist nicht zu übersehen, dass die Schweizer Hochschulpolitik mehr von Regionalinteressen geprägt wird als von Effizienz. Das ist zum Beispiel daran ersichtlich, dass die Schweizer Tertiärbildung auf nicht weniger als 80 Hochschulstädte verteilt wird. Schliesslich verwischen die Profile der Hochschultypen (Universitäten, Fachhochschulen) immer mehr an Profil. Schellenbauer forderte mehr Ausdifferenzierung und Exzellenz ohne behördlichen Masterplan und eine arbeitsmarktnähere Studienwahl ohne Eingriff in die Wahlfreiheit. Abgeleitet davon stellte der Bildungsexperte von Avenir Suisse fünf Thesen für die nachfolgende Podiumsdiskussion auf:

  • Mehr öffentliche Mittel für die Hochschulen führen nicht zu mehr Qualität.
  • Hochschulpolitik ist zu oft Standortpolitik der Trägerkantone.
  • Echter Wettbewerb und Exzellenz ist nur mit mehr Autonomie zu erreichen.
  • Private Drittmittel gefährden die Unabhängigkeit der Forschung nicht.
  • Die Schweiz nützt ihr Potenzial als globaler Bildungsexporteur zu wenig.

Unter der Leitung von Jakob Schaad (Vizedirektor Avenir Suisse) diskutierten Christoph Eymann (Nationalrat, Präsident EDK 2013–2016), Dominique Foray (Wirtschaft und Innovationsmanagement EPFL), Christoph Franz (VR-Präsident Hofmann-La Roche) und Lino Guzzella (Präsident ETH Zürich).

«Ruhebänke in Arosa»

Als langjähriger Erziehungsdirektor und ehemaliger Präsident der EDK räumte Nationalrat Christoph Eymann ein, dass die These von der Standortpolitik leider stimme und zu wenig Koordination stattfinde. Lino Guzzella pflichtete bei: Wettbewerb sei die Quelle allen Fortschritts, aber es stelle sich die Frage, wie man diesen Wettbewerb in der auf Ausgleich bedachten Schweiz herbeiführe.

Ein anderes Tabu in der Schweizer Bildungspolitik sind private Drittmittel in der Forschung. Christoph Franz plädierte für ein ebenso ehrliches wie pragmatisches Vorgehen: Natürlich hoffe ein Pharmaunternehmen, irgendwann einen konkreten medizinischen Nutzen zu sehen, wenn Forschungsgelder fliessen. Aber abgesehen davon, dass er die Unabhängigkeit der Forschung generell für eine Fiktion halte, verfügten die Hochschulen über ein gesundes Selbstverständnis als wissenschaftliche Partner: Die Zusammenarbeit erfolge auf Augenhöhe, die Absicht bestehe darin, gemeinsam etwas zu bewirken. Mit Angst und Misstrauen sei dieses Ziel nicht zu erreichen, pflichtete Christoph Eymann bei: «Wenn Unternehmen fürchten müssen, durch Unterstützung von Hochschulen schlechte Presse zu erhalten, stiften sie womöglich lieber Ruhebänke in Arosa.»

Dass die Ausgaben für Hochschulbildung überproportional wachsen, beunruhigte die Runde weniger – im Gegenteil: Dominique Foray wies darauf hin, dass universitäre Bildung nicht nur der Forschung, sondern auch einem allgemeinen «Education Value» diene. Er plädierte für eine Trennung von Ausbildung und Zertifizierung durch eine unabhängige Drittpartei, um mehr Transparenz und Offenheit gegenüber disruptiver Innovation zu schaffen. Dies führte prompt zur Gegenfrage von Lino Guzzella, wie eine solche Kontrolle denn organisatorisch und finanziell zu bewältigen wäre.

«In Bildung investieren»

«Wir müssen in die Bildung investieren», zeigte sich Eymann überzeugt: In einem Land, das sich von der Industrie wegbewege, brauche es mehr Geld für die Wissenschaft. Allerdings sollte dieses Geld – anders als bisher – nicht mit der Giesskanne gleichmässig auf alle Hochschulen verteilt werden. Guzzella plädierte für eine «ungerechte Mittelverteilung», und dies aus gutem Grund: Schweizer Spitzenuniversitäten müssen sich in Zukunft mehr noch als bisher dem internationalen Wettbewerb stellen. Die ETH Zürich müsse sich gemäss Auftrag des Bundesrates in der Liga von Standford behaupten. Um das zu erreichen, benötige sie die ausreichende Autonomie und Handlungsfreiheit.

Dieser Befund mag in der föderalistischen Schweiz anmassend klingen, entspricht jedoch der Realität, wie ein Statement von Christoph Franz gegen Schluss zum Ausdruck brachte: «Wir brauchen die besten Köpfe weltweit – und wir bekommen sie auch», sagte der Chef von Roche. Wer sich an der Spitze halten wolle, müsse sich immer wieder neu erfinden. Eine Aufmunterung für Avenir Suisse, den Boden für Innovationen in der Schweiz weiterhin zu beackern, allen beharrenden Kräften zum Trotz.